Grenzwertige Querdenker

Deutsche und Polen protestieren in Frankfurt (Oder) gegen Corona-Maßnahmen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Superheld Captain Future verkleidet protestiert dieser Mann gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Er tut das bei Aktionen der Querdenker in Berlin, Köln, Braunschweig und Leipzig – und am Samstag in Frankfurt (Oder). Er trägt eine gelbe Maske, die zwei Schlitze für die Augen frei lässt und auch Mund und Nase nicht bedeckt. So mit dem Zug in Frankfurt (Oder) angekommen, läuft er durchs Bahnhofsgebäude. Das ist eine Provokation, denn bis vor die Tür gilt noch die Maskenpflicht. Doch der Mann fühlt sich als Kämpfer gegen den Faschismus. Bundespolizisten eskortieren ihn und seine Mitstreiter hinaus. Die Gruppe zieht weiter zur Uferpromenade unterhalb der Stadtbrücke, die ins polnische Słubice hinüberführt.

An der Promenade versammeln sich die Querdenker. Über die Brücke stoßen Hunderte Gleichgesinnte aus Polen dazu. Drüben in Słubice sind nur ein paar Kundgebungen mit jeweils fünf Teilnehmern genehmigt. In Frankfurt (Oder) jedoch kommen rund 1000 Menschen zusammen. Allerdings lässt eine Polizeikette die Leute erst zur Uferpromenade durch, wenn sie ordnungsgemäße Masken angelegt haben. Das tun sie auch pflichtschuldigst, aber nicht wenige nehmen die Masken nur wenige Schritte hinter der Kontrolle einfach wieder ab. Die Beamten können schwer dagegen vorgehen. Denn eine auffällig hohe Zahl von Querdenkern weist ärztliche Atteste vor, die sie von der Maskenpflicht befreien. Die Menge noch einmal zu durchkämmen, wer nun einen Attest hatte und wer nicht, ist praktisch unmöglich.

Oberbürgermeister René Wilke (Linke) hat gesagt: »Ich erwarte, dass es Konsequenzen hat, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden.« Immerhin tragen sehr viel mehr Querdenker eine Maske als bei solchen Veranstaltungen sonst üblich. Von der Bühne herunter wird auch immer wieder dazu aufgefordert. Wer keine Maske dabei hat, dem kann die Polizei eine geben. Der Anmelder der Demonstration ist aus Duisburg. »Wir sind ein reiselustiges Volk«, heißt es.

In Frankfurt (Oder) bestehe nur eine kleine Gruppe, die sich Freigeister nenne und jede Woche Aktionen mit zehn bis 20 Teilnehmern organisiere, bei der alle Auflagen beachtet werden, erläutert Stadtsprecher Uwe Meier. Drüben in Słubice soll es so etwas überhaupt nicht geben. Aber auch in Polen wurde weit außerhalb der Stadt mobilisiert. Von der Bühne herunter wird beteuert: »Wir sind keine Rechten.« Doch hinten stehen junge, breitschultrige Männer, von denen einer eine schwarz-weiß-rote Kaiserfahne als Tuch um den Hals trägt und ein anderer eine Jacke, die ihn als »europäischen Arier« ausweist. So geben sie sich als Reichsbürger und Neonazis zu erkennen. Aus Nauen wird der ehemalige NPD-Stadtverordnete Maik Schneider gesichtet. Weil er 2015 eine Turnhalle anzündete, in der Flüchtlinge untergebracht werden sollten, und wegen anderer Delikte soll er neun Jahre Haft absitzen. Das Urteil gegen ihn ist aber noch nicht rechtskräftig. Die Polen lassen sich nicht so auf den ersten Blick zuordnen. Doch unter ihnen sollen sich ebenfalls Nationalisten tummeln.

Insgesamt ist die Querdenkerszene vielfältig. Es mischen sich darunter grün angehauchte Impfgegner und sogar Linke. Jan Augustyniak ist das bewusst. Trotzdem organisierte das Bündnis »Kein Ort für Nazis Frankfurt (Oder)« die Gegendemonstration unter dem Motto »Maskenball statt Coronaleugner«. Sprecher Augustyniak begründet das damit, dass sich dieses Bündnis bewährt habe und man nicht extra ein neues schmieden müsse. Ihm kommen persönlich selbst Zweifel, ob alle Corona-Einschränkungen angemessen sind. Augustyniak, der für die Linke im Stadtparlament sitzt, hat zum Beispiel großes Verständnis für die Künstler, die protestieren, weil sie darunter leiden, dass Theater und Konzertsäle geschlossen sind. Auch die Gastwirte, die mit leeren Stühlen auf ihre Lage aufmerksam machen, tun ihm leid. Kein Verständnis hat er dagegen für Querdenker, die sich mit den Naziopfern Anne Frank und Sophie Scholl vergleichen – weil das eine irrwitzige Verharmlosung der Nazidiktatur darstellt. »Das Tragen der Maske ist keine Einschränkung der Meinungsfreiheit«, stellt Augustyniak klar.

Etwa 150 Menschen beteiligen sich an der Gegendemonstration, darunter auch der Linke-Kreisvorsitzende Stefan Kunath. Er sagt: »Gegen Verschwörungstheorien hilft eine Vision einer besseren Gesellschaft, in der Gesundheit keine Ware ist, sondern allen Menschen dient.« Marcus Winter von den Grünen arbeitet als Arzt im Krankenhaus in Beeskow. »Ich wünschte, ich wüsste nicht, wie gefährlich die Erkrankung ist«, erklärt er. Winter glaubt aber, dass nächstes Jahr ein Impfstoff gegen das Coronavirus verfügbar sein wird. »Wir haben den Sieg vor Augen«, macht der Mediziner Mut. »Denken ist in Ordnung, Querdenken ist in Ordnung«, meint er. Doch so verquer wie in der Querdenkerszene sollte es nicht werden, betont Winter.

Die Polizei teilt die Demonstranten in die Raster Grün, Gelb und Rot ein, hat die Landtagsabgeordnete Bettina Fortunato (Linke) gelernt. Grüne sind demnach friedfertig, Gelbe schließen sich erst an, wenn andere Radau machen. Rote kommen schon mit der festen Absicht, Krawall anzufangen. Nach Einschätzung der Polizei seien unter den Querdenkern keine Roten und nur 20 Gelbe dabei, berichtet Fortunato. Im Gegensatz zu anderen Orten, wo es bei Aktionen der Querdenker zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, bleibt es in Frankfurt (Oder) friedlich.

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