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Die Tage sind schlimmer als die Nächte

In den Obdachloseneinrichtungen zusammenrücken ist in der Pandemie nicht erlaubt

  • Ulrike von Leszczynski
  • Lesedauer: 3 Min.

»Fast überall heißt es nur noch weg, weg, weg, raus, raus«, berichtete Sprecherin Barbara Breuer. Allein zwischen 8 Uhr abends und 8 Uhr morgens greife das System der Kältehilfe mit Notübernachtungen. Doch dann müssten die Menschen zurück auf die Straße.

»Den ganzen Tag laufen, damit man nicht einfriert.« So beklagen sich viele Obdachlose zur Zeit bei ihren Helfen. Selbst Behörden verlangten nun telefonische Anmeldungen und Terminbuchungen für ihre Warteräume, sagte Breuer. Der Frust unter den Obdachlosen sei groß.

»Wir sind dabei, weitere Angebote für obdachlose Menschen zu schaffen, in denen sie sich auch tagsüber aufhalten können«, erklärt Stefan Strauß, Sprecher der Senatssozialverwaltung. Zurzeit liefen dazu Gespräche mit der Senatsfinanzverwaltung und den Bezirken. In der Startphase sei die Kältehilfe in diesem Jahr extrem unbefriedigend angelaufen, ergänzte Strauß. Mittlerweile sei die Kapazität von mehr als 1000 Notübernachtungsplätzen unter coronagerechten Bedingungen in den Bezirken erreicht. Nach den bisherigen Erfahrungen reiche das auch. Die Angebote seien im Moment zu rund 80 Prozent ausgelastet. Doch es gibt sie eben meist nur in der Nacht.

Wie viele andere soziale Träger habe die Stadtmission tagsüber Essensausgaben oder ihre Kleiderkammer wegen der Abstandsregeln von drinnen nach draußen verlegen müssen, berichtete Sprecherin Breuer. »Für die Alten und Kranken muss das die Hölle sein.« Die Verelendung wachse. Allein Breuer kennt rund 20 Rollstuhlfahrer unter den Gästen der Stadtmission. Oft seien Amputationen der Grund, weil Füße oder Beine erfroren.

Die Pandemie macht in der Obdachlosenhilfe alles komplizierter. Statt 125 Plätze kann die zentrale Notunterkunft der Stadtmission in der Lehrter Straße nahe am Hauptbahnhof nur noch 80 anbieten. In eiskalten Nächten schnell mal zusammenrücken wie früher - das ist nicht mehr erlaubt. Anders als sonst ist die Unterkunft nun ab Mitternacht geschlossen. Denn Voraussetzung für den Einlass ist ein Schnelltest auf das Virus.

»Jeden Abend haben wir rund ein bis zwei Positiv-Schnelltests«, schildert die Sprecherin. Die Betroffenen übernachteten dann in Isolierzimmern. Ein PCR-Test am nächsten Tag bestätige die Ergebnisse nicht immer. Doch wer auch beim Labortest positiv sei, könne auf die Quarantänestation. Sie sei für Obdachlose einmalig in Deutschland.

Tests stünden für Obdachlose ausreichend zur Verfügung, sagt Stefan Strauß. Doch nicht jede Notübernachtung kann sie anbieten, wenn medizinisches Personal fehlt. »Wir rechnen damit, dass der Bedarf an Quarantäne- und Isolationsplätzen ab Dezember stark steigen wird«, ergänzt Strauß. Diese würden in der Lehrter Straße deshalb von 16 auf 28 Plätze erweitert. Am gleichen Standort sollen ab Anfang Dezember 100 bis 120 weitere Isolations- und Quarantäneplätze dazukommen.

Ein Krankenwagen werde dann Gäste anderer Notübernachtungen mit positivem Schnelltestergebnis dorthin fahren. Das klappt allerdings schon jetzt nicht immer. »Ein Mann ist nach einem positiven Testergebnis einfach weggelaufen«, berichtet Breuer. Viele andere Obdachlose hielten sich aber an die Auflagen.

Allein die Stadtmission schickt zur Zeit zwei Kältebusse und einen Suppenbus auf die Straße. 750 Nothilfepäckchen gibt sie zusätzlich jeden Tag aus. Dafür fehlt Manches: Helfer, die Stullen schmieren, große gesponserte Obstlieferungen - und vor allem Geldspenden. Im Pandemie-Frühjahr habe das manchmal besser geklappt, resümierte Breuer.

Berlins Obdachlose haben sich nach Einschätzung der Helfer im Vergleich zu früher verändert. Sie sind älter, kränker, internationaler - und ein Fünftel sind inzwischen Frauen. 70 bis 80 Prozent aller Gäste hätten heute psychische Erkrankungen, erklärt Breuer. »Das hat extrem zugenommen. Da kommen wir mit den normalen Mitteln nicht mehr weiter.« dpa

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