- Politik
- Dannenröder Forst
Es geht um mehr als ein Waldstück
Umweltaktivisten im Dannenröder Forst verlieren ein Baumhaus nach dem anderen, doch sie geben nicht auf
Viel ist nicht mehr übrig vom Wald und von den Barrios. Barrios heißen die »Baumhausdörfer«, welche von den Aktivist*innen in die Bäume gebaut wurden. Eine Plattform nach der anderen wird am Samstag geräumt. Währenddessen bewachen Reihen von Polizist*innen die Räumungs- und simultan beginnenden Rodungsarbeiten. Dabei kommen sich fallende Bäume und Menschen in Bäumen wie am Boden gefährlich nahe. Außerhalb des Absperrbands stehen Spaziergänger*innen und Aktivist*innen. Im Hintergrund spielt ein Musiker »Die Gedanken sind frei« auf dem Saxofon.
Der Protest im Wald ist vielfältig. Die Initiative »Familien für den Danni« trifft sich Samstagmittag für eine Demonstration durch den Wald. Kinder laufen unter den Baumhäusern und rufen »Danni!« Aus den Baumhäusern schallt es zurück: »bleibt!«
Gleichzeitig haben sich auch 50 Menschen der sogenannten »Swing Force« in die Bäume gehängt. Swings sind eigenhändig gebaute Schaukeln, mit denen man sich selbstständig in einigen Metern Höhe in die Bäume befestigen kann. Andere Besetzer*innen hängen in Hängematten in schwindelerregender Höhe oder schlafen in Baumhäusern. Die Strukturen sind immer besetzt, auch nachts, »sonst werden die einfach zerstört«, meint eine Aktivistin.
Am Samstagabend radelt ein schätzungsweise 12-jähriger Junge an einer Gruppe zusammenstehender Aktivist*innen vorbei und ruft ihnen zu: »Fünf Cops räumen dahinten Barrikaden weg!« Er schaut die Gruppe erwartungsvoll an, die Leute sind jedoch zu müde und können sich nicht mehr aufraffen. Am nächsten Tag geht es wieder früh weiter.
Als Aktivist*innen den Hundertschaften der Polizei im Wald am Sonntag gegenüberstehen, ist die Stimmung angespannt. Gerodet werden soll heute nicht, denn es ist der erste Advent. Geräumt aber schon, und das wollen die Aktivist*innen, die frühmorgens im Camp aufgebrochen sind, verhindern. Sie wollen die zu räumende Fläche besetzen.
Die Polizei ist vorbereitet und droht mit dem Einsatz von zwei Wasserwerfern, die durchgehend brummen und blinken. Nass werden bei Temperaturen knapp über den Gefrierpunkt ist sehr unangenehm. Also entscheiden sich die 300 bis 400 Aktivist*innen, stattdessen weitere Barrikaden zu bauen.
Im Wald gibt es jeden Tag solche Szenarien, und auch die Sprache ist gespickt mit einer Kampfesrhetorik. »Verloren haben wir das Schiff«, sagt ein junger Aktivist am Samstagabend im Gasthaus Jakob. »Aber richtig Probleme hatten sie damit.« Mit Schiff beschreiben die Besetzer*innen ein mehrstöckiges Baumhaus.
Erschöpfte und bemalte Menschen lehnen sich abends gegen die Heizungen in dem einzigen beheizten Raum, in dem es Tee und Internet gibt. Draußen ist es kalt, in der Nacht friert es. Den ganzen Tag hebt sich der Nebel nicht von den Feldern. In der Dunkelheit sieht man nur das Blaulicht der Polizeiwagen und die Scheinwerfer, die vom Camp der Polizei in den Wald hineinstrahlen.
Die Aktivist*innen hier finden es falsch, wenn an einem Großprojekt festgehalten wird, das vor 40 Jahren geplant wurde und mit einer enormen Umweltzerstörung einhergeht. Das sei einfach nicht mehr zeitgemäß, meint Puma*. Er hält einen Bruch des Baubeschlusses für weitaus sinnvoller als einen Bruch mit dem Pariser Klimaabkommen. Die 1,5-Grad-Grenze sei nicht mehr einzuhalten, wenn man alle vor Jahren geplanten Projekte umsetzen würde.
Um auf die dringliche Klimaproblematik aufmerksam zu machen, sind viele der Aktivist*innen in den Wald gekommen. Den meisten geht es nicht nur um den Danni, sondern auch um die »allgemeine Klimakrise«. Raban*, 23 Jahre alt, sieht die Besetzung und den Protest als »Symbolprojekt«. Es gehe darum, dass solche Entscheidungen in den Landes- und Bundesregierungen in Zukunft nicht so leicht gefällt werden. Raban glaubt auch, dass mit der Besetzung des Hambacher Forstes, den Ende-Gelände-Aktionen und der Besetzung des Dannenröder Waldes eine Bewegung heranwächst, die zivilen Ungehorsam als legitimes Mittel des Widerstands für sich beansprucht. Viele Menschen hier im Wald sind jung und politisiert durch die Fridays-for-Future-Demonstrationen.
Puma* hingegen war schon in der Anti-AKW-Bewegung aktiv. Er ist jenseits der 40 und bewundert die Organisation des Protests: »Die basisdemokratischen Strukturen, die wir damals schon in Ansätzen hatten, wurden weiterentwickelt, und das funktioniert beeindruckend gut.« So werden zum Beispiel sämtliche Entscheidungen in sogenannten »Deli-Plena« beschlossen, kurz für Delegierten-Plena. Jede Bezugsgruppe schickt eine Person zu einem solchen Treffen. Dort werden die Entscheidungen im Konsens getroffen.
Die Polizei berichtet derweil von brennenden Barrikaden, während die Aktivist*innen von »Lagerfeuer« sprechen. Die Polizei redet von »gewalttätigen Angriffen auf Polizeikräfte«, und die Besetzer*innen sehen die Sicherheit der in den Bäumen hängenden Aktivist*innen gefährdet. Seit Beginn der Rodungsarbeiten sind bereits einige Menschen bei der Evakuierung durch die Polizei gestürzt. Dieses Wochenende hat sich bisher niemand verletzt.
Klar ist: Der Kampf um den Wald wird auch nach diesem Wochenende weitergehen. Und das mit weiterhin viel Getöse und zahlreichen Aktionen, denn den Besetzer*innen geht es darum, die Rodungsarbeiten zu behindern und hinauszuzögern, um so maximale mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen.
*Die genannten Namen sind sogenannte Waldnamen - eigens für Aktionen des zivilen Ungehorsams ausgedacht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.