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Hunderte Abstriche, sechs positiv
Im Thüringer Corona-Hotspot Hildburghausen haben Corona-Massentests für Kinder und Lehrkräfte auf freiwilliger Basis begonnen
Endlich, da ist es fast 10.30 Uhr, hat Tilo Kummer das kleine Plastikgehäuse in der Hand, in dem sein Corona-Schnelltest verpackt ist. Ein paar Augenblicke zuvor hatte er das Gesicht ein klein wenig verzogen, als ihm eine junge Frau ein langes Wattestäbchen in die Nase gesteckt hatte. Dann, als der Linke-Bürgermeister der Kreisstadt Hildburghausen den Schnelltest in der Hand hält, beginnt für ihn das Warten. Mal wieder an diesem Dienstag.
Warten: Das ist es, was den Auftakt der Corona-Massentests im Landkreis Hildburghausen kennzeichnet. Eigentlich hätte Kummer schon um 9.30 Uhr auf Sars-CoV-2 getestet werden sollen - als erster in seiner Stadt. Er wolle vor allem Eltern so die Angst vor den Tests an ihren Kindern nehmen, hatte Kummer im Vorfeld gesagt. Doch als Kummer schon viele Minuten vor seinem Termin in einem dafür ausgewählten Kindergarten eintrifft, muss er feststellen, dass niemand da ist, um ihm zu testen. Nicht lange nach ihm sind die ersten Eltern mit ihren Kleinkindern da. Dann stellt sich auch noch heraus, dass Tische und Stühle für die Teststation fehlen. Kummer muss sie erst aus dem kommunalen Bauhof heranschaffen lassen.
Dieser Massen-Schnelltest ist eine bundesweit bislang einzigartige Aktion. Alle Kindergartenkinder und Schüler sowie alle Lehrkräfte im Landkreis können sich auf eine mögliche Corona-Infektion testen lassen, wenn sie es wünschen. Würden alle wollen, wären müssten insgesamt etwa 11 000 Tests vorgenommen werden. Bisher hätten sich rund 3000 Kinder, Lehrer und Erzieher zur Teilnahme gemeldet, sagte Landrat Thomas Müller (CDU) am Mittwoch. Die Bereitschaft, das Angebot zu nutzen, steige nach anfänglicher Zurückhaltung spürbar.
Die Aktion verfolgt mehrere Ziele: Zum einen sollen alle Kinder und Pädagogen, deren Testergebnis negativ ist, tags darauf wieder in die Kitas und Schulen dürfen, die im Landkreis wegen der extrem hohen Corona-Fallzahlen grundsätzlich bis Mitte Dezember geschlossen sind. Zum anderen möchte man herausfinden, ob Kindergärten und Lehranstalten »Treiber« der Pandemie sind. Zu dieser Frage gibt es gegensätzliche Aussagen in verschiedenen Studien. Die Aktion in dieser Region könnte sie beantworten helfen.
Am Mittwoch liegt der Index im Landkreis nach Angaben des Robert-Koch-Instituts bei etwa 460 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb der letzten sieben Tage. Der bisherige Spitzenwert dort war vor wenigen Tagen erreicht worden und hatte bei 630 gelegen.
Wegen all der Warterei an diesem Tag ist es für die Kinder, die mit Kummer gemeinsam vor der Tür stehen, ein Glück, dass es in der Nacht geschneit hat. Vor dem Seiteneingang des Gebäudes liegt mehrere Zentimeter hoch der Schnee. Dick eingepackt in Schneeanzüge, Mützen und Schals nehmen die Kleinen ihn in Hand und freuen sich, wie schnell er schmilzt.
Die hier versammelten Eltern gehören zu den Menschen, die die Vorbehalte nicht nachvollziehen können, die es in der Region und im ganzen Land gegen die Tests und gegen die verordneten Corona-Beschränkungen gibt. Sie habe ihrer Tochter gesagt, dass sie kurz zum Arzt müsse, sagt die Mutter einer Vierjährigen, die ganz entspannt wartet. Damit sei die Sache erledigt gewesen. Als schließlich auch noch die Tische und Stühle im Kindergarten angekommen sind, geht es dann wirklich relativ schnell. Kummer wird tatsächlich als erster getestet - negativ. Dann sind die Kinder an der Reihe.
Am Mittwoch dann, als es erste, noch vorläufige Zahlen zum ersten Testtag gibt, deutet sich an, dass die Arbeitsthese zuzutreffen scheint, mit der unter anderem Thüringens Gesundheitsministerin Heike Werner (Linke) in die Aktion gegangen ist. Die lautet so: »Kindergärten und Schulen sind sichere Orte, sie sind auf keinen Fall Treiber des Infektionsgeschehens.« Denn: Von den etwa 900 Tests, die am Dienstag in Hildburghausen, gemacht worden sind, fielen nach Werners Angaben nur sechs positiv aus, drei bei Kindern, drei bei Erwachsenen.
Am Mittwoch sollten nach Angaben des Landrats insgesamt weitere 800 bis 1000 Tests stattfinden. Die Aktion laufe noch bis Freitag und werde bei Bedarf bis Montag verlängert. Gesundheitsministerin Werner bekräftigte, dass die Kosten für die Antigentests vom Land getragen würden. Es ständen insgesamt rund 11 000 Antigentests zur Verfügung.
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