Wer sind die Querdenker?

Empirische Daten zeigen eine eher ältere und gebildetere Bewegung, die nach rechts wandert - Forscher vermuten Zusammenhang zwischen Infektionen und AfD-Stimmen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Politiker und zivilgesellschaftliche Initiativen blicken teils mir Sorge auf weitere angekündigte Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. Hooligans, Neonazis und Querdenker-Gruppen mobilisieren für Samstag massiv nach Dresden, auch im europäischen Ausland wird für die Proteste in der Elbestadt geworben. Dazu will man Silvester in Berlin aufmarschieren, Sicherheitsbehörden zeigen sich alarmiert.

In der öffentlichen Debatte wird bei Fragen zu möglichen Auflagen und Verboten auch immer wieder die Zusammensetzung der Protestteilnehmer diskutiert. Nach Einschätzung des Vorsitzenden der Innenministerkonferenz gehört im Schnitt etwa ein Drittel der Teilnehmer zur rechtsextremen Szene. »Das merkt man an Symbolen und Fahnen, die dort auftauchen«, sagte der thüringische Innenminister Georg Maier gegenüber Medien. Der SPD-Politiker sprach sich für strengere Kontrollen und eine Überprüfung durch den Verfassungsschutz aus. Ähnliches hatten jüngst auch Bremens Innensenator Ulrich Mäurer und der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan J. Kramer, gefordert.

Neben den Mutmaßungen über die Querdenker-Unterstützer gibt es derweil auch erste vorsichtige empirische Daten. Die Forscher Fabian Virchow und Alexander Häusler haben jüngst beispielsweise ein Gutachten für das Netzwerk für Extremismusforschung in Nordrhein-Westfalen erarbeitet. Die ausführlichsten Daten entspringen bisher aber einer Studie des Baseler Soziologen Oliver Nachtwey und seiner Kollegen Nadine Frei und Robert Schäfer. Demnach wollen 30 Prozent der Querdenken-Anhänger bei der kommenden Bundestagswahl ihre Stimme der AfD geben. Brisant: Noch bei der letzten Wahl vor drei Jahren hätten 21 Prozent die Grünen und 17 Prozent die Linke gewählt, die AfD habe nur 14 Prozent bekommen. Soziostrukturell handele es sich um eine eher ältere und gebildetere Bewegung. Das Durchschnittsalter beträgt 47 Jahre, 31 Prozent haben Abitur, 34 Prozent einen Studienabschuss, der Anteil Selbstständiger ist höher als in der Gesamtbevölkerung. Querdenken sei »eine Bewegung, die mehr von links kommt, aber stärker nach rechts geht, sie ist jedoch enorm widersprüchlich«, resümiert Nachtwey,

41 Prozent der Befragten vertrauen demnach mehr ihren »Gefühlen als Institutionen und Experten«. Fremden- und Islamfeindlichkeit seien schwach ausgeprägt, der Nationalsozialismus werde seltener verharmlost als in der Gesamtbevölkerung. Religion spiele keine große Rolle, aber man betrachte sich selbst als »erwacht«. Antisemitische Stereotype seien verdeckt verbreitet. Vor allem der anthroposophisch-esoterische Teil des grünen Milieus habe sich von seiner Mutterpartei entfremdet, vermutet Nachtwey.

Die Befragungen wurden in TelegramGruppen der Anhänger vorgenommen, die Ergebnisse sind jedoch nicht repräsentativ. Die Forscher werteten 1150 Fragebögen aus, die sie an Mitglieder der Chatgruppen verschickt hatten, zudem bezogen sie Interviews mit Demonstranten und eigene Feldbeobachtungen in die Untersuchung ein.

Der Soziologe und Direktor des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft, Matthias Quent, hat sich indes mit der Frage beschäftigt, ob es einen Zusammenhang zwischen den Infektionszahlen in einer Region und der dortigen Unterstützung für die AfD gibt. Seine Kollegen untersuchten dafür die Daten von 400 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland außerhalb Berlins. »Die Korrelation zwischen dem AfD-Wahlergebnis bei der Bundestagswahl 2017 und der Coronainzidenz laut RKI vom 4. 12. 2020 findet sich nicht nur in Einzelfällen, sondern ist auch statistisch stark und signifikant«, führt der Wissenschaftler aus. Dies gelte für Ost- und mit wenigen Ausnahmen auch für Westdeutschland, wobei der Zusammenhang in den Bundesländern unterschiedlich ausfalle. Am stärksten sei er in Sachsen.

»Es ist naheliegend, dass soziale und politische Orientierungen Einfluss in Sozialräumen sowohl auf Wahlergebnisse als auch auf die Verbreitung von Corona nehmen und dabei rechter Populismus und Extremismus den Zusammenhalt und die Bekämpfung der Pandemie gefährden«, so Quent. Der Forscher verweist jedoch darauf, dass dies bisher nur Zwischenergebnisse sind und die Thesen einer weiteren Überprüfung bedürfen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch andere Ursachen eine Rolle spielen.

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