Risiko als entscheidende Kategorie

In Deutschland werden ähnliche Kriterien zur Covid-19-Impfung verhandelt wie in Großbritannien

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Großbritannien ist eines der am stärksten von Covid-19 betroffenen Länder Europas. Noch vor den EU-Staaten begann das scheidende Mitglied der Union am Dienstag mit den Impfungen gegen Sars-CoV-2. Großbritannien hatte auch, schneller als die Europäische Arzneimittelagentur EMA, schon in der vergangenen Woche eine Notfallzulassung für den Impfstoff des Mainzer Herstellers Biontech und seines US-Partners Pfizer erteilt. Mit der EMA-Zulassung wird noch im Dezember gerechnet.

Die Prioritäten bei der Anwendung werden jenseits des Kanals ähnlich gesetzt wie es sich auch für Deutschland andeutet: 80-Jährige, Mitarbeiter und Bewohner in Pflegeheimen sowie besonders gefährdetes medizinisches Personal erhalten die Impfung als erste. Dabei handelt es sich um etwa sechs Millionen Menschen. Bis zum Jahresende sollen vier Millionen dieser Impfstoffdosen in das Vereinigte Königreich kommen, damit könnten zwei Millionen Menschen je zwei Mal geimpft werden - also erst ein Drittel der Risikogruppe. Insgesamt sind 40 Millionen Dosen des Pfizer-Biontech-Vakzins bestellt, die für 20 Millionen Briten reichen würden, etwa ein Drittel der Bevölkerung. Außer diesem Wirkstoff setzt London auf den Impfstoff des britisch-schwedischen Pharmakonzerns Astra-Zeneca. Dieser ist zwar nicht ganz so wirksam, aber deutlich einfacher zu handhaben, weil für Lagerung und Transport nur normale Kühlschranktemperaturen nötig sind und nicht 70 Grad unter Null wie bei der Biontechversion. Bei Astra-Zeneca hat die britische Regierung insgesamt 100 Millionen Dosen bestellt.

Anders als in Deutschland absehbar, können oder sollen sich britische Impfwillige nicht selbst um den Termin kümmern. Der britische Gesundheitsdienst NHS ruft an, hieß es. Mit dem genauen Prozedere der Massenimpfung beschäftigen sich auch in der Bundesrepublik in diesen Tagen Gesundheitspolitiker in Bund und Ländern. Bis Donnerstag 12 Uhr haben die Länder Zeit für Stellungnahmen, dann werde die Empfehlung für die Reihenfolge der zu Impfenden nach Gruppen laut Gesundheitsministerium veröffentlicht, eine Rechtsverordnung folge noch im Dezember.

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hatte am Montag den Aufschlag gemacht, und insgesamt sechs Gruppen definiert. Zu der mit dem höchsten Risiko, die als erste geimpft werden soll, gehören bis zu neun Millionen Menschen. Das sind über 80-Jährige, Heimbewohner, Pflegekräfte und Beschäftigte in Notaufnahmen, auf Covid-19-Stationen und etliche weitere. Die weiteren Kategorien sind nach Altersgruppen abwärts eingeteilt - sowie nach einer Skala der Systemrelevanz. Beschäftigte in den Bereichen Feuerwehr, Bundeswehr, Polizei, ÖPNV oder Abfallwirtschaft finden sich dort in der fünften Gruppe mit »gering erhöhter Priorität« wieder, gemeinsam mit den Menschen im Alter von 60 bis 65 Jahren. Zur sechsten (und größten) Gruppe mit »niedriger Priorität« gehören etwa 45 Millionen Menschen.

Diese Priorisierung kann noch geändert werden, nicht nur bis Donnerstag. Denn es könnte sein, dass die verschiedenen Impfstoffe bei bestimmten Altersgruppen besser oder schlechter anschlagen, so das Gesundheitsministerium. Jedoch kommt bereits jetzt Kritik an der Aufteilung und dem geplanten Vorgehen. Nach Ansicht der Deutschen Stiftung Patientenschutz ist die Gruppe mit oberster Priorität zu groß. Deshalb müssten zunächst die Pflegebedürftigen und Schwerstkranken die Chance auf eine Impfung bekommen, erst danach Menschen, die in medizinischen und pflegerischen Bereichen arbeiten.

Noch prinzipiellere Bedenken äußerte der gesundheitspolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Achim Kessler. Er fordert wegen der weitreichenden ethischen Fragen bei einem zunächst nicht ausreichenden Impfstoff für die Priorisierung eine Entscheidung des Bundestages. Eine Rechtsverordnung sei nicht ausreichend.

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