Deutsche Ratspräsidentschaft unter Erfolgsdruck

Das letzte Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der laufenden Ratsperiode dreht sich um ihre großen Baustellen und ernste interne Konflikte

  • Peter Steiniger
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Uhr tickt immer lauter: Ende Dezember endet die Übergangsphase zur Regelung der künftigen Beziehungen zwischen der Europäischen Union und ihrem zum 1. Februar 2020 nach 47 Jahren ausgetretenen Mitgliedsstaat Großbritannien. Bis dahin gelten die bisherigen Regeln und Standards, partizipieren die Briten weiter am freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Kapital und Personen im EU-Binnenmarkt. Politisch haben sie in den Gremien der Staatenfamilie allerdings nichts mehr mitzureden.

Ob die EU und das Vereinigte Königreich nach der Scheidung wirklich weiter Freunde bleiben, ist kurz vor Ende dieser Trennungsphase noch völlig offen. Den oft beschworenen »gemeinsamen Werten«, auf die sich eine neue Form der Partnerschaft stützen soll, stehen vor allem ökonomische Interessen beider Seiten im Weg. Hinzu kommt, dass die Brexiteers um den in seiner Rolle überforderten britischen Premierminister Boris Johnson im Netz ihrer großspurigen Versprechen, die einen schnellen Aufschwung durch völlige Rückgewinnung nationaler Selbstbestimmung verhießen, gefangen sind. Für den Vorabend des am Donnerstag und Freitag in Brüssel stattfindenden EU-Gipfels der 27 Staats- und Regierungschefs hatte sich Johnson nun für ein persönliches Treffen mit der deutschen EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen angekündigt. Dass die Front der Brexit-Hardliner in London etwas bröckelt, verdeutlichte bereits der Rücktritt des Johnson-Beraters Dominic Cummings und des Kommunikationschefs der Regierung Lee Cain Mitte November. Erst am Dienstag nahm die britische Regierung Teile eines Gesetzesentwurfs zurück, die den Bestimmung im EU-Austrittsabkommen zur Nordirland-Frage widersprachen. Das britische Unterhaus aber geht diesen Schritt nicht mit und macht einen harten Brexit wieder wahrscheinlicher.

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Schon angesichts der knappen Frist bis zum echten EU-Aus für Großbritannien lässt sich der Gordische Knoten auch mit einem Vis-a-vis auf höchster Ebene kaum noch lösen. Bis zuletzt hat die britische Regierung in den zähen Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit der EU hoch gepokert, um bei einem faktischen Verbleib in Binnenmarkt und Zollunion dem einheimischen Kapital Vorteile im Konkurrenzkampf zu sichern. Der parallele Streit um Fischereirechte, der in der EU vor allem Frankreich tangiert, ist dagegen nur ein kleiner Fisch. Ein harter Schnitt zwischen der EU und Großbritannien bedeutet nicht nur die Rückkehr zu Handelshemmnissen, sondern hat auch negative Konsequenzen für Tausende britische Bürger, die sich in EU-Staaten niedergelassen haben oder dort arbeiten.

Ein Durchbruch im Streit 5 vor 12 wäre etwas, was sich als Erfolg der deutschen EU-Ratspräsidentschaft auch die Bundesregierung gutschreiben könnte, die nicht nur in der Migrations- und Asylpolitik hinter ihren Zielen zurückblieb. Die Chancen dafür stehen jedoch schlecht. Und der EU-Gipfel inmitten der Coronakrise hat auch ohne das Hickhack mit der Johnson-Regierung genug Baustellen. Zuallererst soll das Treffen ein neues Klimaziel der EU bis 2030 vorgeben. Eine Einigung mit Vorbehalten auf »mindestens 55 Prozent« weniger an »Netto-Treibhausgasemissionen« als 1990 - auf dem Papier - ist wahrscheinlich. Wie beim angestrebten ebenso komplexen Brexit-Handelspakt bildet dann das EU-Parlament eine weitere schwierige Hürde.

Vor Beginn des Brüsseler Meetings lag über ihm der Schatten des Vetos von Polen und Ungarn zu EU-Haushalt und Coronahilfen im Streit um den bereits aufgeweichten Rechtsstaatsmechanismus. In der Debatte war bereits ein Plan B, um zumindest den beschlossenen Corona-Hilfsfonds in Höhe von 750 Milliarden Euro an den beiden aufsässigen Mitgliedern vorbei zu lancieren. Am Mittwoch war von einer Einigung der deutschen EU-Ratspräsidentschaft mit ihren politischen Freunden in Warschau und Budapest die Rede. Dortige Sorgen, dass der autoritäre Staatsumbau von Seiten der EU tatsächlich einmal geahndet werden könnte, dürfte der Kompromiss noch einmal gemindert haben. Das Kräftemessen mit Brüssel hat den Graben zu den osteuropäischen EU-Mitgliedern dennoch vertieft.

Sanktionen sind auch im Fall der Türkei als Reaktion auf ihre militärischen Expansionsbestrebungen und die umstrittene Erdgassuche im östlichen Mittelmeer nicht in Sicht, obwohl das Thema in Brüssel auf der Tagesordnung steht. Unter anderem Deutschland und Ungarn möchten es weiter bei Solidaritätsadressen an die EU-Mitglieder Griechenland und Zypern belassen. Dafür soll der türkische Präsident Erdogan Europa vor Flüchtlingswellen weiter abschotten.

Scharfe Kritik an diesem Kurs übt Sevim Dagdelen, Obfrau der Bundestagsfraktion Die Linke im Auswärtigen Ausschuss. Die Politikerin fordert insbesondere, dass sich die Bundesregierung »auf dem EU-Gipfel, wie von Griechenland gefordert, für ein europaweites Waffenembargo gegen die Türkei« einsetzt und »alle Rüstungsexporte aus Deutschland an den Autokraten Erdogan« sofort stoppt.

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