Eine halbe Stelle für literarisches Erbe

Die Stadt Oranienburg bezahlt künftig einen Mitarbeiter für die Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Am kommenden Sonntag um 15 Uhr sollte der Liedermacher Hans-Eckardt Wenzel in der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte in Lehnitz auftreten. Dort wollte er aus seinem Buch über den Filmemacher Konrad Wolf lesen, das er gemeinsam mit Ex-Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) geschrieben hat. Wegen der Coronakrise kann das so nicht stattfinden. Wenzel kam bereits am Dienstag in die Gedenkstätte, las aus dem Buch und ließ sich von dem Literaturwissenschaftler Paul Werner Wagner befragen. Das Ganze wurde aufgezeichnet, das Video wird nun am Sonntag von der Friedrich-Wolf-Gesellschaft ins Internet eingestellt.

Mit solchen Veranstaltungen und mit der Gedenkstätte hätte bald Schluss sein können, wenn es jetzt nicht endlich nach jahrelangem Ringen gelungen wäre, die Stadt Oranienburg dazu zu bewegen, eine halbe Stelle für die Gedenkstätte im Ortsteil Lehnitz zu finanzieren. Dafür eingesetzt hatte sich unter vielen anderen auch die frühere Landtagsabgeordnete Gerrit Große (Linke), die als sachkundige Einwohnerin im Sozialausschuss des Stadtparlaments sitzt.

Der Schriftsteller und seine Söhne

Der politisch engagierte Arzt und Autor Friedrich Wolf (1888-1953) starb in Lehnitz. Zu seinen berühmten Theaterstücken gehört »Cyankali«. In dem Drama prangert er das durch illegale Abtreibungen verursachte Elend von Arbeiterfrauen an.

Friedrich Wolfs Sohn, der Regisseur Konrad Wolf (1925-1982), emigrierte als Achtjähriger nach Moskau und kehrte 1945 als Rotarmist nach Deutschland zurück. Davon handelt sein Spielfilm »Ich war neunzehn« (1968). Er drehte auch die bekannten Streifen »Sterne« (1959) und »Der geteilte Himmel« (1964).

Die Friedrich-Wolf-Gesellschaft zählt rund 200 Mitglieder. Vorsitzender war seit 2012 der Literaturwissenschaftler Paul Werner Wagner, der sich aber unlängst aus der Funktion zurückzog. Neuer Vorsitzender ist nun Thomas Naumann, der jüngste Sohn von Friedrich Wolf. af

Der Schriftsteller Friedrich Wolf (»Professor Mamlock«, »Weihnachtsgans Auguste«) und sein Sohn, der Regisseur Konrad Wolf (»Ich war neunzehn«, »Solo Sunny«), haben sich einen Platz in der Kunstgeschichte gesichert. Straßen sind nach ihnen benannt, außerdem trägt die Grundschule in Lehnitz den Namen des Vaters und die Filmuniversität in Potsdam-Babelsberg den des Sohns.

Doch der Friedrich-Wolf-Gedenkstätte am Alten Kiefernweg 5, die das Erbe des Schriftstellers pflegt und die sich auch dem Schaffen seiner Söhne Konrad und Markus widmen möchte, drohte das Aus. Friedrich Wolf hatte dort die letzten fünf Jahre seines Lebens verbracht. Seine Witwe Else kaufte das Haus später. Es gehörte ihr bis zu ihrem Tod 1973. Per Testament ließ sie es in Volkseigentum übergeben, und so erbte nach der Wende das Land Brandenburg das Areal. Vorher hatten sich Angestellte der DDR-Akademie der Künste darum gekümmert, heute leisten Ehrenamtliche der Friedrich-Wolf-Gesellschaft diese Arbeit, so gut es geht. Doch es geht immer schlechter, weil die Aktiven älter werden und zum Teil schon hochbetagt sind.

Am 26. Oktober beschloss die Stadtverordnetenversammlung endlich, 40 000 bis 45 000 Euro pro Jahr für eine halbe Personalstelle zu bewilligen. Das soll zunächst für drei Jahre gelten und danach immer wieder um drei Jahre verlängert werden, »wenn keine gravierenden Gründe entgegenstehen«. Die Linke und die Grünen haben komplett dafür gestimmt, die SPD mit Ausnahme einer Enthaltung, außerdem Bürgermeister Alexander Laesicke (parteilos) sowie zwei Stadtverordnete der FDP und eine von der CDU. Dagegen waren die übrigen Stadtverordneten der CDU, einer von der FDP und ein Pirat sowie die gesamte AfD. 18 zu zwölf lautete das Ergebnis - bei fünf Enthaltungen.

»Ich bin etwas erschöpft, aber vorsichtig glücklich«, kommentiert Gedenkstättenleiterin Tatjana Trögel das lange Hin und Her um die Finanzierung. Endlich werde es möglich sein, wieder regelmäßige Öffnungszeiten zu ermöglichen und gemäß der Satzung der Friedrich-Wolf-Gesellschaft zu forschen, zu publizieren und mit Schülern zu arbeiten. Mit dem Historiker Jens Ebert, der an verschiedenen Ausstellungen zum Zweiten Weltkrieg mitgearbeitet hat, ist eine geeignete Besetzung für die halbe Stelle bereits gefunden. Anfang 2021 soll er loslegen dürfen. Sein Arbeitsvertrag konnte aber leider noch nicht unterzeichnet werden, weil die Stadt die Mittel - Sachkosten inklusive - erst im Zuge eines noch zu beschließenden Haushalts für das Jahr 2021 bereitstellen werde, erläutert Trögel. Es gebe viele Projektideen, für die nun auch Fördermittel beim brandenburgischen Kulturministerium beantragt seien. So habe man sich überlegt, im Garten eine Bühne einzurichten.

Der Klinkerbau gehört zu einer Siedlung von 20 Häusern, die in den Jahren 1938 bis 1943 für die Familien von Testpiloten der Ernst-Heinkel-Flugzeugwerke AG errichtet worden sind. Für die in der Rüstungsproduktion tätige Firma Heinkel mussten Häftlinge des Konzentrationslagers Sachsenhausen schuften. Auch zum Bau der Siedlung wurden KZ-Häftlinge herangezogen. Das KZ wurde im April 1945 von sowjetischen und polnischen Soldaten befreit. Kranke und von den Entbehrungen der Haft ausgemergelte Menschen sind dann zur Pflege und Erholung in der erst kurz zuvor von ihren Bewohnern verlassenen Siedlung untergebracht worden. Else und Friedrich Wolf zogen 1948 ein, als das Land Brandenburg prominenten Wissenschaftlern und Künstlern Häuser in der Siedlung zur Verfügung stellte.

Ein Gebäude mit einer derartigen Geschichte sollte weiterhin dazu dienen, an Friedrich Wolf zu erinnern. Schließlich war er ein Kommunist mit jüdischen Wurzeln. Die Stadtverwaltung hatte aber nicht zuletzt aus Furcht vor hohen Sanierungskosten lange gezögert, sich stärker als bisher für die Gedenkstätte zu engagieren. Dabei beruhigte Gedenkstättenleiterin Trögel, dass zunächst nur die alte Ölheizung dringend ersetzt werden müsste, auch wenn noch andere Baumaßnahmen wünschenswert wären. So hieß es denn in der Beschlussvorlage für das Stadtparlament, dass das Haus sich in einem für sein Alter verhältnismäßig guten Zustand befinde und nach Aussage Trögels abgesehen von der Erneuerung der Heizungsanlage kurzfristig keine Erhaltungsmaßnahmen notwendig seien.

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