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Tod im Winterquartier
Immer weniger Störche fliegen von Europa nach Afrika und zurück. Warum das so ist, wollen Wissenschaftler klären.
Alle Jahre wieder ziehen die heimischen Weißstörche in den Süden. Ein Teil zieht auf der Westroute in Richtung Südeuropa, ein anderer auf der Ostroute nach Afrika. Immer häufiger jedoch endet ihr Flug schon in Südeuropa. In Spanien scheinen Mülldeponien und Abfallberge genug Nahrung zu bieten, so dass sich die anstrengende und gefährliche Weiterreise für viele Tiere nicht mehr lohnt. Zwar können Fleisch, Fisch, vergiftete Essensreste und Keime auf den Deponien die Tiere auch krank machen. Doch die Nahrungssuche in natürlichen Habitaten sei viel aufwendiger, erklärt die Verhaltensforscherin Andrea Flack vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell.
Um das Reiseverhalten junger Weißstörche aus acht Populationen zu untersuchen, hatten Wissenschaftler 70 Störchen vor ihrer Abreise GPS-Sender angelegt. Die Tiere überwinterten in unterschiedlichen Regionen, wobei acht von ihnen unterwegs ums Leben kamen. Unter anderem untersuchten die Forscher, wie viel Energie die Tiere während ihres Fluges in die Fortbewegung investierten. So scheinen die Tiere weniger Energie zu verbrauchen, wenn sie in dichter besiedelten Regionen überwintern, was die Wissenschaftler u. a. auf einen geringeren Zeitaufwand bei der täglichen Nahrungssuche zurückführen. Die Ergebnisse ihrer Forschungen veröffentlichten sie im Fachjournal »Science Advances«.
Vom Ausbleiben des Weißstorches im Winterquartier profitiert der afrikanische Sattelstorch, der sich als Nahrungskonkurrent von kleinen Wirbeltieren wie Fischen, Schlangen, Fröschen, Nagetieren, Heuschrecken, Krebsen usw. ernährt. In diesem Jahr allerdings hätten die Millionen Heuschrecken, die am Horn von Afrika unterwegs waren, auch genug Nahrung für beide Storcharten und viele andere Vogelarten geboten.
Während die Störche aus Südeuropa im Frühjahr zumeist erholt anreisen, kehren aus Afrika immer weniger nach Deutschland zurück. Der Grund: Rastende Störche sind hier eine willkommene Nahrungsquelle für hungernde Menschen. Der tansanische Biologe Ignas Safari Mng’anya war den Funksignalen zweier besenderter Störche gefolgt, die 2016 nach Afrika gestartet waren und deren Spuren sich in Tansania, genauer gesagt in den Provinzen Kongwa und Mpwapwa, verloren. Er fand heraus, dass beide Störche mit Agro-Furan 5GR vergiftet wurden, einem hochtoxischen Insektizid, das in der EU seit 2007 verboten ist. Mindestens 50 Störche seien in der Region daran gestorben, schätzt der Mitarbeiter des Max-Planck-Instituts für Ornithologie. Mit Gift kann ein Jäger täglich bis zu 100 Störche erlegen. Als Köder dienen geflügelte Termiten, Schnecken und Ratten, die mit giftigen Chemikalien benetzt und dort ausgelegt werden, wo Enten und Störche nach Nahrung suchen. Nehmen die Vögel die Köder auf, sterben sie in einen qualvollen Tod.
Klimawandel und die Zerstörung von Lebensräumen sorgen dafür, dass die Lebensbedingungen für Mensch und Tier immer härter werden. Nicht nur in Tansania, auch in Uganda und Kenia werden Störche von Einheimischen gejagt, geschlachtet und auf den Märkten verkauft. Der Erlös dient afrikanischen Familien als Zubrot. In Zentraltansania klärte Vogelexperte Safari Mng’anya die Dorfbewohner inzwischen über die negativen Auswirkungen der Gifte auf, über die Auswirkungen auf die Störche, aber auch auf die Gesundheit der Menschen, welche sie verzehren. Nun plant der Nabu (Naturschutzbund), unterstützt von Natur- und Vogelschutzorganisationen, die Bevölkerung über die Folgen des Jagens mit Giften aufzuklären.
Je ärmer die Menschen vor Ort sind, desto schwieriger ist es, sie von der Jagd auf Störche und andere Vogelarten abzubringen, erklärt Werner Schröder, ehrenamtlicher Mitarbeiter des Nabu. Ob das Wissen um die Bedeutung des Weißstorchs für Europa, wo die Vögel im Sommer ihre Jungen aufziehen, die Sicht der Menschen auf diese Vogelart ändert, steht dahin. Der Nabu und seine Partnerorganisation Nature Tansania planen ab kommendem Jahr, in Schulen, Kirchen und auf Marktplätzen, in Zusammenarbeit mit den Dorfkomitees, über mehr Vogelschutz aufzuklären. Das käme nicht nur den Weißstörchen, sondern der gesamten bedrohten afrikanischen Vogelwelt zugute. Darüber hinaus soll über Spenden Kaninchen-, Hühner- oder Bienenzucht finanziert werden, um das Angebot an tierischen Eiweißquellen erhöhen. Das wiederum nützt den Einheimischen selbst. Zudem könnte eine Rekultivierung degradierter Böden und nachhaltige Landwirtschaft die Existenzgrundlagen der Menschen sichern helfen.
Hierzulande ist das Storchendorf Rühstädt in der Prignitz bekannt für seine Vielzahl an brütenden Storchenpaaren. Doch in diesem Jahr wurden gerade mal 27 Junge von 26 Paaren aufgezogen, klagt Bernd Ludwig. Der Leiter der Arbeitsgruppe Weißstorch beim Nabu Brandenburg ist besorgt über den Rückgang der Vogelzahlen. Um den Bestand halbwegs stabil zu halten, braucht es 2,4 Jungstörche pro Horstpaar. 2014 gab es hier noch 1424 Brutpaare, fünf Jahre später waren es 230 Paare weniger. Seit Jahren sinkt die Anzahl der Störche. Die Ursachen dafür sind komplex. Da ist zum einen die anhaltende Trockenheit in Brandenburg: Aufgrund des niedrigen Wasserstandes der Elbe zogen sich die Regenwürmer in tiefere Erdschichten zurück, wo sie für die Störche nicht mehr zu erreichen sind. Weil feuchte Bruchwälder, Bäche und Gräben in den letzten Dürresommern immer öfter austrockneten, finden Störche weniger tierische Nahrung. Die verwaisten Brutplätze im Lausitzer Becken zum Beispiel führen Experten auf die Grundwasserabsenkung in Folge des Braunkohletagebaus zurück.
Hinzu kommt die intensive Landwirtschaft mit ihren Monokulturen: Riesige Maisäcker bieten keinerlei Lebensraum für die Beutetiere der Störche. Und die wenigen Kleintiere und Insekten werden oft mit Pestiziden vergiftet. Doch wo die Lebensgrundlage fehlt, verhungern nicht nur die Jungen, viele Paare beginnen erst gar nicht mit dem Brüten. Umweltverbände fordern daher einen Wandel hin zu mehr extensiv bewirtschaftetem Grünland: Das würde nicht nur dem Überleben des Storches helfen, sondern auch dem der Feldlerche, des Rebhuhns sowie der bedrohten Insektenvielfalt.
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