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Schnapskirschen im »Thälmanns«
In Müncheberg ist ein soziokultureller Begegnungsort in Gefahr.
Felix Brückmann hat keine Langeweile. Wenn er welche hätte, dann würde er gleich hier, im »Thälmanns« in Müncheberg, ein Café bewirtschaften. Oder nebenan. Oder gegenüber. Auf der Thälmannstraße, die dem Begegnungsort »Thälmanns« vor knapp drei Jahren seinen Namen gab, stehen jede Menge Läden leer. »Im Sommer, da hast du da drüben auf der Ecke Sonne bis zum Abend«, schwärmt auch Friederike Fuchs. Fuchs und Brückmann sind trotz des grauen Dezembertags, an dem die Sonne leider nicht mal eine Sekunde zu sehen war, und trotz der aktuellen Corona-Lage voller guter Ideen. Das mag am Ort selbst liegen, auch wenn er jetzt für öffentliche Veranstaltungen geschlossen ist. Denn hier ist seit 2018 einiges passiert, was es in Müncheberg vorher so noch nicht gegeben hat.
Durch eine Ausschreibung der brandenburgischen Staatskanzlei für Projekte, die Menschen zur Seite stehen, die eine Rückkehr in die Region erwägen, der sie einst aus unterschiedlichen Gründen den Rücken gekehrt haben, hat der Verein Kultus aus dem nahe gelegenen Buckow hier Räume angemietet und zwei Teilzeitstellen geschaffen. Entstanden sind ein Büro, ein Atelier für Kinder, ein großer Raum für Begegnungen, dazu eine Küche und ein kleiner Tresen.
Die Räume sind freundlich und farbenfroh gestaltet. »Vieles wächst hier auf Vertrauen«, erklärt Felix Brückmann. Rund 30 Menschen seien kontinuierlich involviert, viele von ihnen ehrenamtlich. Das Wochenprogramm war voll, bevor die Pandemie zuschlug: Nähzirkel für alle, Basteln für Kinder aus der Flüchtlingsunterkunft und aus der Stadt, gemeinsames Kochen von Flüchtlingen und Ortsansässigen, Stammtisch-Training gegen rechte Parolen, Treffen von Engagierten von »Offenes MOL (Märkisch-Oderland)«. Der Kreis hatte sich nach einem antirassistischen Festival der Initiative »Wann wenn nicht jetzt?« zusammengefunden, die im Wahljahr 2019 durch ländliche Regionen Ostdeutschlands getourt war, um dem Aufwind der rechten AfD mit Solidarität und Menschenfreundlichkeit entgegenzutreten.
Und natürlich kommen viele potenzielle Rückkehrer*innen und fragen nach Wohnung, Kindergartenplätzen, Jobs. »Nicht bei allem können wir helfen«, meint Brückmann, Aber der Bedarf sei enorm. Nichtsdestotrotz läuft Ende des Jahres die Finanzierung durch die Staatskanzlei aus - die Stadt hat bereits signalisiert, dass sie die Weiterfinanzierung ablehnen wird.
»Wir haben uns für Müncheberg entschieden, weil es hier so viel Leerstand gibt«, erklärt Brückmann, der im Vorstand von Kultus sitzt. Den Jugendhilfe-Träger gibt es bereits seit 1994, da war Brückmann gerade mal acht Jahre alt. Der heute 34-Jährige kennt den Verein, für den er sich nun hauptamtlich engagiert, seit er selbst die Angebote der offenen Jugendarbeit in Anspruch genommen hat. »Wir hatten eine tolle Zeit«, sagt er, der die Region nie verlassen hat. Dafür sind viele Jugendfreunde gegangen - Berlin liegt nur eine knappe Stunde entfernt.
Brückmann bleibt in Buckow, absolviert im Rathaus eine Lehre als Verwaltungsfachangestellter. Einige Jahre später kommen die ersten alten Kumpel wieder, es zieht sie zurück in die Märkische Schweiz, die hier malerisch zwischen Berlin und der Oderlandschaft liegt. Gemeinsam mit dem Verein Kultus eröffnen sie mitten im touristisch geprägten Buckow das »Lokal«, ein kleines ehrenamtlich und kollektiv betriebenes Zentrum, in dem sich vor allem junge Familien treffen, Kurse für Kinder und kulturelle Veranstaltungen stattfinden. Betrieben wird auch der »Kultourbus Otto« - ein alter Linienbus, der zu Kino, Theater und Konzertbühne für Kinder und Jugendliche zugleich umgebaut wurde. Unterwegs ist er in der strukturschwachen und mobilitätsarmen Region unter dem Motto: »Wenn die Menschen nicht zur Kultur kommen können, muss die Kultur zu den Menschen kommen«. Auf seiner Dachterrasse könne man sogar tanzen, erklärt Brückmann stolz zum »rollenden Jugendclub«.
Ein bisschen von all dem steckt nun auch im »Thälmanns«. Nur ist Müncheberg nicht Buckow. »Hier herrscht eine reflexhafte Ablehnung jeder Eigeninitiative von unten«, sagt Friederike Fuchs. »Das wirkt fast so verheerend wie die Kahlschlagpolitik der AfD andernorts.« Fuchs ist keine Dagebliebene und keine Rückkehrerin, sondern eine Zugezogene. Seit bald zehn Jahren lebt die Mittfünfzigerin in einem drei Kilometer entfernten Dorf. Aufs Land habe sie als ehemalige Wahlberlinerin schon lange wieder gewollt, länger jedenfalls, als sie dann doch in Kreuzberg geblieben ist, erinnert sich die Architektin. An politisches Engagement hatte sie dabei nicht gedacht, sagt sie lächelnd. Aber der rassistische Schub in der Gesellschaft nach dem Sommer der Migration 2015, der Rechtsruck mit den hohen Wahlgewinnen der AfD bei der brandenburgischen Landtagswahl, das betraf sie auch persönlich. Plötzlich grüßte der Nachbar nicht mehr, mit dem es jahrelang ein Auskommen gab. In manchen Müncheberger Wahllokalen erhielt die AfD bis zu 43 Prozent der Stimmen, die rechte Partei sitzt als stärkste Fraktion im Rathaus, in dem die Linkspartei mit Uta Barkusky die Bürgermeisterin stellt.
In diesen Zeiten braucht es einen Ort wie das »Thälmanns« zum Austausch und zur Begegnung, findet Fuchs. Dass die Rechten über »Steuerverschwendung« schimpfen und in sozialen Medien provozieren, wenn in der Hitze mal die Blumen vorm Haus vertrocknen, lässt sie eher kalt: »Sie nehmen jeden Angriffspunkt, den sie finden können.« Als im Sommer zu einem gemeinsamen Kochen und Essen mit Bewohner*innen der Gemeinschaftsunterkunft geladen wurde, gab es anschließend eine Anzeige.
Fuchs hat auch die Schriftstellerin Manja Präkels eingeladen. Die kam und las vor zwei zehnten Klassen aus ihrem Buch »Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß« über eine Jugend Anfang der 1990er Jahre im brandenburgischen Zehdenick, geprägt von brutaler rechter Gewalt. Auch dafür gibt es im »Thälmanns« einen Platz: Geschichten, von denen viele noch immer nichts hören wollen. Ob und wie es trotz der erwartbaren Absage der Stadt im neuen Jahr weitergeht, ist nun die große Frage.
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