Innenministerium unter Druck

Aussagen im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss erschüttern Mecklenburg-Vorpommern.

  • Daniel Lücking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Aussagen des Verfassungsschutzchefs von Mecklenburg-Vorpommern, Reinhard Müller, und des Staatssekretärs im Schweriner Innenministerium, Thomas Lenz (CDU), verliefen turbulent ...

Zumindest in der Linksfraktion haben wir das mit ziemlicher Fassungslosigkeit verfolgt. Nach der desaströsen ersten Vernehmungsrunde in Berlin hatten wir dann eine Sondersitzung des Innenausschusses des Landtags. Da erhielten wir einen kleinen Einblick, wie groß der Schaden ist, der da dem Ansehen des Landes Mecklenburg-Vorpommern zugefügt wurde. Ich wundere mich, warum Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) das so stillschweigend hinnimmt. Ihre Sicherheitsbehörde steht jetzt seit Wochen in den Negativ-Schlagzeilen – da muss Schwesig doch reagieren.

Peter Ritter
Im Landtag in Schwerin sorgten die Aussagen von Verfassungsschutzchef Reinhard Müller und Staatssekretär Thomas Lenz für Aufregung. Peter Ritter, Innenpolitiker der Linken in Mecklenburg-Vorpommern, kritisiert, dass bislang keine Konsequenzen aus den öffentlich gewordenen Verfehlungen gezogen wurden. Mit ihm sprach Daniel Lücking.

Wie geht der neue Innenminister Torsten Renz (CDU) mit den Entwicklungen um?

Bislang herrscht da ein ziemliches Schweigen im Walde. Auch in der Innenausschusssitzung hat er sich sehr zurückgehalten. Einerseits kann ich das nachvollziehen, weil er erst wenige Tage im Amt des Innenministers ist. Andererseits ist Torsten Renz lange genug im Landtag und hat auch die Debatten zu den Sicherheitsbehörden lange mitverfolgt. Ich erwarte, dass er bald sein Schweigen bricht und dann die notwendigen Konsequenzen zieht. So, wie es jetzt läuft im Verfassungsschutz und im Innenministerium, kann es einfach nicht weitergehen.

Sein Vorgänger Lorenz Caffier (CDU) stolperte über einen privaten Waffenkauf. Ist das alles, was ihm anzulasten ist?

Ich glaube nicht, dass es nur dieser Waffenkauf ist. Derzeit ist nicht klar, wann welche Informationen im Innenministerium vorgelegen haben. Es ist daher anzunehmen, dass Lorenz Caffier nicht über alles informiert war, was in seinem Haus passiert ist. Sollte er informiert gewesen sein, dann stellt sich natürlich die Frage, warum er nicht viel eher die Reißleine gezogen hat. Die offenen Fragen betreffen den NSU-Komplex, die Nordkreuz-Problematik und nun auch das Breitscheidplatz-Attentat – das dürfte eine spannende Caffier-Aussage in Berlin werden.

Wie bekommt man die Sicherheitsbehörden denn nun wieder aus den Negativschlagzeilen heraus?

Dass sich der Verfassungsschutz irgendwie reformieren lässt, glaube ich nicht. Wir haben schon nach dem ersten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages gesehen, dass die Empfehlungen nicht umgesetzt wurden. Weniger Schlapphut-Mentalität, mehr Transparenz und Öffnung in Richtung der Gesellschaft – das alles hat nicht stattgefunden. In Mecklenburg-Vorpommern hat man auch nicht die Möglichkeiten bei der Kontrolle des Verfassungsschutzes erweitert. Die Parlamentarische Kontrollkommission wurde sogar verkleinert.

Welche konkreten Maßnahmen sehen Sie?

Jetzt hilft nur noch ein konsequenter personeller Neuanfang. Die letzte Aussage von Lenz zeigte ja schon, dass er vom Verfassungsschutzchef Müller Abstand nimmt. Lenz hat aber mittlerweile eingeräumt, dass die nicht erfolgte Informationsweitergabe fachlich für den Verfassungsschutz noch tragbar gewesen, politisch aber ein Fehler war. Wer dafür die politische Verantwortung übernehmen soll, dazu schweigt die Innenbehörde. Das ist nicht länger haltbar. Und was heißt überhaupt »fachlich noch tragbar«? Es gibt Gesetze für das Handeln des Verfassungsschutzes. Da fällt der Interpretationsspielraum sehr gering aus. Ich bin gespannt, ob Renz das in den wenigen Monaten, die er noch im Amt sein wird, in der Behörde reformieren kann.

Lenz hat sich von Müller distanziert und die beiden Verfassungsschutzmitarbeiter diskreditiert. Das glich einer öffentlichen Abrechnung ...

Das waren ziemliche Räuberpistolen, die Lenz da erzählt hat. Das waren ziemliche Räuberpistolen, die Lenz da erzählt hat. Seinen Mitarbeitern eine James-Bond-Manier nachzusagen, zu behaupten, sie hätten zu viele Filme geguckt – so geht man mit Unterstellten nicht um. Aber Lenz und Müller haben bemerkenswerterweise, wohl aber völlig unbeabsichtigt, deutlich gemacht, dass das V-Leute-System eben nicht funktioniert. Darin liegt auch beim NSU einer der Kardinalfehler. Das Grundprinzip »Quellenschutz geht über alles« geht früher oder später schief. Ich sehe derzeit weder eine Führungskultur noch eine angemessene Fehlerkultur in der Behörde.

Lenz hat in seinen Aussagen immer wieder auch geheime und eingestufte Informationen öffentlich preisgegeben. In Berlin wurde er darauf hingewiesen und am Folgetag wiederholte er die Informationen vor dem Landtag in Schwerin. Zuletzt nannte er öffentlich auch die Anzahl von Mitarbeitern im Verfassungsschutz. Ist das für einen Staatssekretär vertretbar?

Der Stellenplan der Abteilung Verfassungsschutz ist Bestandteil des geheimen Haushaltsplanes. Darüber darf auch die Parlamentarische Kontrollkommission nur hinter verschlossenen Türen beraten. Lenz behauptete in der Innenausschusssitzung, die Berliner Informationen seien heruntergestuft worden und nun öffentlich. Belegen konnte er das bisher nicht. Die Debatte darüber ist noch nicht beendet.

Sie hoffen nach den Aussagen nun auf Unterstützung der Parlamentarier*innen aus Berlin.

Wir haben damit gute Erfahrungen gesammelt, als es um den NSU-Komplex ging. Ich erhoffe mir, dass wir aus erster Hand erfahren, wie es im Breitscheidplatz-Untersuchungsausschuss ablief. Lenz behauptet, Linke und Grüne hätten ein Interesse, seine Behörde schlecht zu reden. Im Bundestag schien die Kritik aber fraktionsübergreifend zu sein. Das muss nun auch in Schwerin deutlich werden. Da wäre es gut, wenn die Obleute in Schwerin im Innenausschuss erscheinen.

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