In der preußischen Puppenstube
Potsdams Stadtmitte wird zunehmend mit barocken Fassaden versehen. Der Landeskonservator sieht darin eine Krise der Architektur
»Das wird ja kein preußisches Museum«, stellt Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) mit Blick auf das neue Stadtquartier am Alten Markt als erstes klar. Und lässt damit gleich tief blicken, was ihn an der Diskussion um den Wiederaufbau des historischen Karree am Landtag mit seiner barocken Fassade am meisten schmerzt. »Dort soll urbanes Stadtleben entstehen, eine lebendige Innenstadt mit Wohnen in verschiedenen Preissegmenten, Plätzen zum Verweilen und Orten der Kreativität«, betont Schubert. »Es soll dort auch Studentenwohnungen geben.«
Vor 30 Jahren hatte die Stadtverordnetenversammlung den Grundsatzbeschluss gefasst, auf dem weitgehend noch als Nachkriegsbrache existierenden Alten Markt »eine behutsame Wiederannäherung an den historischen Stadtgrundriss« zu schaffen. Im kommenden Jahr sollen bereits die Rohbauten der künftigen Stadthäuser aus der Baugrube wachsen, die vor einem Jahr anstelle der abgerissenen Fachhochschule entstanden ist. Darunter Häuser mit Fassaden, die auf das barocke Vorbild verweisen. Aber auch Stadthäuser im modernen Stil. »Stadtentwicklung braucht in Potsdam lange Linien«, sagt Schubert mit Blick auf die drei Jahrzehnte seit dem Grundsatzbeschluss. Viel zu lange sei über die Fassaden, statt über die Nutzung der Gebäude gestritten worden. »Wie können wir Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen gleichermaßen in Potsdam eine Heimat bieten«, müsse die zentrale Frage sein.
Diese Frage stellt auch die Initiative Stadt für alle, in der sich vor allem junge Potsdamer gegen diese Gestaltung der Neuen Mitte stemmen. »Einmal ist überdeutlich, dass diese Mitte vor allem für Touristen, Menschen mit einem hohem Einkommen und als Aushängeschild der Stadt dienen soll - und viel weniger für die Menschen in der Stadt«, sagt Sprecher Holger Zschoge. Dies führe zu steigenden Mieten, die auch in der unmittelbaren Altstadt viele Gewerbetreibende nicht mehr zahlen könnten.
Reiche Mäzene machen Stadtpolitik
Mehrere Bürgerbegehren gegen diese Entwicklung seien von der Stadt ignoriert worden, klagt Zschoge. »Unterdessen können reiche Mäzene mit ihren Spenden ganz real Stadtpolitik machen.« Er verwies dabei auf Fernsehmoderator Günter Jauch und Software-Milliardär Hasso Plattner, die etwa für den Wiederaufbau der Stadtschlossfassade des neuen Landtags Millionensummen gespendet hatten. »Nicht zuletzt ist der Neuaufbau der eigentlich ja gar nicht mehr vorhandenen Potsdamer Mitte klarer Ausdruck einer konservativen, zum Teil rechtsnationalen und identitätsstiftenden Stadtpolitik«, bilanziert Zschoge.
Auch Landeskonservator Thomas Drachenberg blickt mit gemischten Gefühlen auf die Potsdamer Neue Mitte: »Die von der Stadt gesehene Notwendigkeit von Leitbauten zur Sicherung der Architekturqualität von Neubauten sehe ich als Zeichen für eine Krise der zeitgenössischen Architektur an«, sagt Drachenberg. Es werde einer zeitgenössischen Architektur offenbar nicht zugetraut, die Wiederentstehung der früheren Quartiere mit neuer Sprache qualitätvoll zu begleiten. »Künftige Denkmalpfleger-Generationen werden vermutlich von einem Zeitalter der Rekonstruktion in Potsdam sprechen«, fürchtet der Landeskonservator. »Das bildet schon jetzt nicht mehr das Meinungsspektrum in der Stadtgesellschaft ab.«
Einige hundert Meter vom Alten Markt entfernt wächst seit zwei Jahren der Turm der Garnisonkirche empor. Im kommenden Jahr soll der Turm seine voll gemauerte Höhe bis zur Aussichtsplattform bei 57 Metern erreichen und damit wieder weithin sichtbar sein. »Ob wir dass Ziel erreichen, hängt aber davon ab, wie lang und hart der Winter wird«, sagt Wieland Eschenburg von der Stiftung Garnisonkirche. »Denn gemauert werden kann nur bei Temperaturen über fünf Grad plus.« Neben dem Turm solle im kommenden Jahr auch das inhaltliche Konzept der neuen Garnisonkirche sichtbar werden, betont Eschenburg.
Doch auch an der Garnisonkirche ist der Streit um die Gestaltung der Stadt noch nicht ausgefochten. Denn direkt an dem Kirchturm steht das Rechenzentrum aus DDR-Zeiten, das noch bis 2023 als Arbeitsquartier für Künstler und Kreative genutzt wird. Oberbürgermeister Schubert wünscht sich, an dieser Stelle eine geglückte Verbindung zumindest der Gebäude zu schaffen. Nach langem vergeblichen Bemühen gehe es damit nun voran, freut sich Schubert. »Die Betreiber des Rechenzentrums und die Stiftung Garnisonkirche haben sich bereit erklärt, gemeinsame Pläne für das Areal zu erarbeiten.«
Baustart für Synagoge ungewiss
Nach mehr als zehn Jahren Debatte weiter ungeklärt ist noch der Neubau der Potsdamer Synagoge, die genau zwischen Garnisonkirche und dem Landtag entstehen soll. Nach langem Streit zwischen verschiedenen jüdischen Gemeinden Potsdams über die Gestaltung und den Betrieb dieses jüdischen Gemeindezentrums sollte im Frühjahr endlich Baubeginn sein. Doch der Konflikt ist zwischen den jüdischen Landesverbänden neu aufgebrochen. Nun ist der Baustart wieder ungewiss. »Wir dürfen auch bei der Synagoge nicht den Fehler machen, dass wir uns von der inhaltlichen Diskussion wegbewegen und nur noch über die Fassade reden«, mahnt Schubert. »Wir müssen unseren jüdischen Mitbürgern, die teils schon seit 30 Jahren wieder hier leben, endlich ein Zuhause geben.« dpa
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