• Berlin
  • Rassismus in der Coronakrise

Sündenböcke der Krise

Asiatisch gelesene Menschen sind seit Ausbruch der Pandemie verstärkt Hass ausgesetzt

  • Bosse Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

Berlin, das ist für viele eine kosmopolitische, multikulturelle Metropole. Auf Plakaten des Stadtmarketings wird dieses Image gepflegt. Vielfältigkeit und Toleranz werden hier hochgehalten. Berlin ist bunt. Schaut man einmal hinter die Fassade der Werbung und Wohlfühlrethorik gerät dieses Bild ins Wanken. Rechte Gewalt findet nicht bloß in Sachsen oder Thüringen statt, sondern auch inmitten der Hauptstadt.

»Berlin hat den Ruf einer weltoffenen Stadt und ist zu Recht Stolz darauf«, sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung. Viele Menschen seien sich der Realität rechter Übergriffe jedoch nicht bewusst, die auch in Berlin zum Alltag gehören. Dies führe dazu, dass die Erfahrungen von Betroffenen in der Öffentlichkeit oft kaum thematisiert würden. »Eine couragierte Stadtgesellschaft zu sein, bedeutet aber, sich in Betroffene und ihre Belange hineinzuversetzen und dem Hass mit Solidarität und Anteilnahme zu begegnen«, so Kahane.

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Mit der Kampagne »BerlinzeigtCURAge« will die Amadeu-Antonio-Stiftung darauf aufmerksam machen, dass auch in Berlin viele Menschen tagtäglich mit der Bedrohung durch rassistische, antisemitische, homofeindliche und andere Formen von Hassgewalt leben. Zusätzlich sollen Spenden für den Opferfonds Cura für Betroffene rechter Gewalt gesammelt werden. Die Kampagne mit Plakatmotiven und Social-Media-Aktionen wird bereits zum dritten Mal durchgeführt. Während der Fokus im vergangenen Jahr angesichts des Anschlags von Halle auf antisemitischer Gewalt lag, steht in diesem Jahr antiasiatische Gewalt im Vordergrund.

Laut Amadeu-Antonio-Stiftung hat sich die Situation im Zuge der Covid-19-Pandemie verschärft. Die allgemeine Unsicherheit habe zu einer Suche nach Schuldigen geführt, die stigmatisierte Gruppen besonders zu spüren bekommen. Ein Phänomen in Zeiten der Pandemie ist laut den bezirklichen Berliner Registerstellen für rechte Gewalt die Diskriminierung von asiatisch wahrgenommenen Menschen. Dazu kommt eine verstärkte Verbreitung antisemitischer Verschwörungsideologien. Insbesondere die zahlreichen Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen würden hierfür ein Forum bieten.

»Wir haben beobachtet, dass digitale Gewalt zugenommen hat, da sich im Zuge der Pandemie das soziale Leben viel in den digitalen Raum verlagert hat«, sagt Ibo Muthweiler vom Cura-Opferfonds zu »nd«. So seien stigmatisierte Gruppen zunehmend Shitstorms und Hass im Netz ausgesetzt. Besonders am Anfang der Pandemie waren davon verstärkt als asiatisch wahrgenommene Menschen betroffen: »Asiatisch gelesene Menschen wurden auch vorher schon diskriminiert, jetzt werden sie auch noch für die Pandemie verantwortlich gemacht und sind online und offline rassistischer Gewalt ausgesetzt«, so Muthweiler. Rechte Gewalt richte sich jedoch nie nur gegen Einzelne, sondern betreffe immer auch ganze Gruppen, so der Experte. Gerade in Berlin müsse auch nicht betroffenen Einwohner*innen klargemacht werden: »Nicht alle Menschen können sich in der Öffentlichkeit gleichermaßen sicher bewegen.«

Die siebenwöchige Kampagne, die von der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung gefördert wird, ist jedoch nur ein Aspekt. Der Hauptteil der Arbeit des Fonds besteht in der finanziellen Unterstützung von Betroffenen. »Für viele Betroffene sind Übergriffe mit hohen Kosten verbunden, hier versuchen wir unbürokratisch zu helfen«, so Muthweiler. »Wenn aufgrund eines Übergriffs zum Beispiel eine neue Brille finanziert werden muss oder ein Umzug nötig wird, kann das Kosten erzeugen, die bei der Betrachtung rechter Gewalt oft außer Acht gelassen werden«, erklärt der Experte. Neben der Sensibilisierung für das Thema sollen mit der Kampagne Spenden für die Arbeit des Opferfonds gesammelt werden.

Die ist bitter nötig, denn bereits vor dem Ausbruch der Pandemie waren rechte Angriffe in Berlin auf einem konstant hohen Niveau. Aufgrund unterschiedlicher Kategorisierung und Registrierung verzeichnen die Registerstellen unterschiedlich viele Übergriffe. Reach Out, die Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, verzeichnete 390 Angriffe für das Jahr 2019. Das schwule Anti-Gewaltprojekt Maneo registrierte im selben Zeitraum 559 Gewalttaten mit homo- oder trans*feindlichem Hintergrund - ein Höchstwert. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) erfasste in Berlin insgesamt 881 antisemitische Vorfälle, darunter 33 Angriffe. Für alle Phänomene ist dabei zu bedenken, dass sich nicht alle Betroffenen an die zuständigen Stellen wenden.

Um Rassismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit besser bekämpfen zu können, hat die Staatsanwaltschaft Berlin im September die Zentralstelle Hasskriminalität eingerichtet. 2019 sind in Berlin laut Leiterin Ines Karl 2410 Fälle von Hasskriminalität registriert worden, die meisten davon im Internet. »Wir gehen aber von einem sehr starken Dunkelfeld aus, das wir aufhellen wollen«, so die Oberstaatsanwältin, die vor allem die Zahl der Verurteilungen steigern will. Andernfalls würden sich Täter bestärkt fühlen, weitermachen und unter Umständen die Intensität steigern. In Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Institutionen wie der Amadeu-Antonio-Stiftung soll dieser Kreislauf durchbrochen werden.

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