Suchttherapie mit Hindernissen

In den Gefängnissen sind überdurchschnittlich viele Menschen mit Drogenerfahrung inhaftiert. Ihre medizinische Versorgung ist häufig noch nicht angemessen

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.

Pandemie-Bedingungen sind auch für die Ärzte in den Gefängnissen eine Herausforderung. Größere Ausbrüche blieben bislang zwar aus. Aber nicht nur das Alltagsleben, Arbeitsplätze und Besuchsregeln sind anzupassen, sondern bestimmte Versorgungsprobleme existieren schon länger. Mit diesen beschäftigten sich kürzlich Ärzte bei den jährlichen »Gefängnis-Medizin-Tagen«, die jetzt zum fünften Mal stattfanden.

Um die 280 feste Arztstellen gibt es im bundesdeutschen Strafvollzug mit 179 Gefängnissen - immer ist ein Teil nicht besetzt. Die Bezahlung ist deutlich schlechter als zum Beispiel in Kliniken und rangiert in Sachen Beliebtheit bei Ärzten in der Nähe der Arbeitsplätze im öffentlichen Gesundheitsdienst. In Bayerns 36 Justizvollzugsanstalten (JVA) sind zum Beispiel vier Arztstellen ausgeschrieben, außerdem zwei für Psychologen und fünf für Pflegekräfte. Eine Unterversorgung ist aber nicht nur personell gegeben, sondern auch an den Gesundheitskosten je Gefangenen ablesbar. Diese liegen nämlich deutlich unter den durchschnittlichen Ausgaben für gesetzlich Versicherte, in Sachsen zum Beispiel bei zwei Drittel der Durchschnittsausgaben von etwa 3000 Euro. Auch wenn es hier unterschiedliche Berechnungsmodi gibt, müsste das anders sein, denn die Mehrheit der Gefangenen ist überdurchschnittlich vorbelastet - viele sind drogenabhängig oder haben psychische Erkrankungen.

Gefängnismediziner kritisieren seit Langem, dass bestimmte Versorgungsleistungen nicht bis in die JVA hinein verfügbar sind, darunter Tests auf Hepatitis oder HIV - obwohl sie gesetzlich vorgeschrieben sind. Diese Krankheitsbilder treten besonders häufig auch bei Drogenabhängigen auf, die Nadeln gemeinsam benutzen. Ein weiteres Thema, das mit Abhängigkeitserkrankungen zusammenhängt und die Gefängnisärzte bewegt, ist die Substitutionstherapie. Sie ist für Menschen gedacht, die an einer Opioidabhängigkeit leiden. Sie erhalten bestimmte Medikamente, darunter Methadon, mit dem Ziel, substanzfrei leben zu können, oder den Schaden durch die Sucht zu minimieren. Am erfolgreichsten ist eine solche Therapie, wenn sie durch Sozialarbeit oder psychotherapeutisch begleitet wird.

Der Sozialwissenschaftler Heino Stöver, einer der Tagungsleiter der jährlich stattfindenden »Gefängnis-Medizin-Tage«, verweist im »Hessischen Ärzteblatt« darauf, dass ein Drittel der Männer im Strafvollzug und die Hälfte der Frauen dort Erfahrungen mit Opiaten haben oder von ihnen abhängig sind. Er nennt als eines der Hauptprobleme der medizinischen Versorgung in den JVA, dass die Inhaftierten dort nicht in der Gesetzlichen Krankenversicherung sind. Der Staat übernimmt hier Kosten und Verantwortung für die Versorgung. Die JVA haben jeweils ihr eigenes Versorgungssystem, in das neben Gefängnisärzten auch niedergelassene Ärzte eingebunden sind.

Gefangene mit Suchtproblemen und in einer Substitutionstherapie haben eigentlich Anspruch auf einen Arztkontakt einmal wöchentlich. Auch das mag einer der Gründe sein, dass erst relativ wenige Gefangene - wiederum sehr unterschiedlich je nach Bundesland - eine solche Behandlung erhalten; durchschnittlich sind es bundesweit nur 24 Prozent der Opioidabhängigen. Eine entsprechende Therapie kann auch daran scheitern, dass die zuständigen Ärzte keine entsprechende Fortbildung absolviert haben. Freie Arztwahl ist für die Gefangenen nicht gegeben. So bleibt im Konfliktfall nur der Klageweg. Als beispielhaft nennt Stöver die Bundesländer Bremen und Nordrhein-Westfalen, wo allen Nachfragen nach einer Sub-stitutionsbehandlung entsprochen wird.

Weitere Themen bei den »Gefängnis-Medizin-Tagen« waren der menschenwürdige Umgang mit Sterbenden oder die Kranken- und Altenpflege bei alten und behinderten Inhaftierten. Eine Rolle spielten außerdem die Chancen der Telemedizin. Hier wurde in Bayern ein Pilotprojekt an sieben JVA gestartet, die teils kein eigenes medizinischen Personal haben. Bernhard Rösch, seit 14 Jahren Arzt in der JVA Würzburg, hofft, dass im nächsten Jahr die im Projekt angewandten Methoden im ganzen Bundesland eingeführt werden. Dann könnte eine Notdienstversorgung besser gesichert werden: In kritischen Fällen vor allem an Wochenenden erhält der zuständige Pflegedienst telemedizinisch ärztliche Anleitung.

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