Doppelstadt mit Doppelstandards
Frankfurts Oberbürgermeister René Wilke (Linke) setzt auf Abschiebungen als Abschreckungsmaßnahme
Fast 7000 Bürger mit Migrationshintergrund leben in Frankfurt (Oder). Damit zählt die 58 000-Einwohner-Stadt zu den Kommunen mit dem höchsten Ausländeranteil in Brandenburg. Dass Polen nach den Deutschen die größte Gruppe bilden, liegt wohl an der Grenzlage. Gemeinsam mit dem polnischen Slubice, der früheren Dammvorstadt am gegenüberliegenden Oder-Ufer, vermarktet sich Frankfurt gern als europäische Doppelstadt. Mit 814 Personen bilden gebürtige Syrer die drittgrößte Gruppe der Bevölkerung.
Vor zweieinhalb Jahren geriet diese Gruppe in den Fokus der Öffentlichkeit: Vor allem junge Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland und aus anderen Ländern aus dem arabischen Raum erschütterten das Sicherheitsgefühl der Frankfurter. Der Lennépark und ein angrenzendes Einkaufsareal im Stadtzentrum wurden zum Schauplatz von Drogenhandel, Körperverletzungen, Diebstahl und Auseinandersetzungen.
Als eine Gruppe Flüchtlinge Ende August 2018 die Diskothek »Frosch« überfiel und Besucher attackierte - auch unter den Angegriffenen befanden sich Flüchtlinge -, war das Maß für Oberbürgermeister René Wilke (Linke) voll. Er brachte als erster Politiker in Brandenburg Ausweisungsverfahren gegen acht sogenannte Intensivtäter auf den Weg. Er berief sich darauf, dass unbescholtene Flüchtlinge sein Vorgehen gutheißen. Dieses Vorgehen sorgte dennoch für Aufsehen und brachte ihm Kritik auch aus der eigenen Partei ein. Ein deutscher Krimineller wird nur vor Gericht gestellt. Eine Doppelbestrafung für straffällige Flüchtlinge durch die zusätzliche Ausweisung lehnt die Linke ab.
In Frankfurt (Oder) hat sich die Lage inzwischen beruhigt. Eine Häufung schwerer Straftaten durch zugezogene Ausländer hat es nach Angaben der Stadtverwaltung seitdem nicht mehr gegeben. Allein auf die Ausweisungen - drei sind bereits entschieden, aber es wurde noch niemand abgeschoben - will der Oberbürgermeister die Entspannung in Frankfurt (Oder) aber nicht reduzieren. Die Stadt habe »vielschichtig« reagiert, mit integrativen, vorbeugenden und auch restriktiven Mitteln, sagt er. »Wir haben beispielsweise unsere Ausländerbehörde so umgestellt, dass die Mitarbeiter dort jetzt besseren Zugang zu Migranten finden, selbst ein stärkeres kulturelles Verständnis für ausländische Zuwanderer entwickeln und manche Konflikte so leichter gelöst werden können«, sagt das Stadtoberhaupt.
Das bestätigt Mirko Marschner, der Leiter der Ausländerbehörde. Von seinen zehn Mitarbeitern haben inzwischen vier einen Migrationshintergrund und kommen von der Frankfurter Europa-Universität »Viadrina«. »Wir haben diese Stellen gezielt ausgeschrieben, und es hat sich gelohnt«, sagt er. Der ägyptischen Kollegin oder dem Mitarbeiter aus der Ukraine falle es leichter, syrischen oder tschetschenischen Migranten beispielsweise begreiflich zu machen, warum sie in Deutschland für vieles einen Antrag ausfüllen müssten, um etwas zu erreichen oder zu bekommen, erläutert Marschner. Mit ihren Integrationsangeboten und Präventionsbemühungen komme die Stadt aber auch an Grenzen, gerade bei jungen Flüchtlingen.
»Wir zeigen potenziellen Straftätern schon vorher die ausländerrechtlichen Konsequenzen auf: Was also passiert, wenn sie nicht einen anderen Weg als den kriminellen einschlagen«, ergänzt Steffen Wenzek. Er leitet das Ordnungsamt, dessen Mitarbeiter regelmäßig die Bereiche in der Stadt kontrollieren, die als Brennpunkte für mögliche Straftaten gelten. Die Stadt sei damit auf einem guten Weg, ein Ende jedoch noch lange nicht in Sicht, bekennt Wenzek.
Dass sich die Lage entspannt hat, sieht auch der Vorsitzende des Integrationsbeirates, Thomas Klähn, so. Allerdings gingen sämtliche Integrationsmaßnahmen an der betreffenden Gruppe junger arabischer Männer vorbei, meint er. »Die sind verunsichert und ohne Perspektive, werden von der eigenen Familie unter Druck gesetzt oder eben fallengelassen. Drogen spielen eine Rolle, sozialpädagogische oder Suchtberatungsangebote fehlen«, fasst Klähn zusammen. Er ist Mitbegründer des Vereins »Vielfalt statt Einfalt«, der sich seit Jahren für die Integration der Flüchtlinge in der Stadt engagiert und viele persönliche Kontakte hat. »Es müsste speziell für diese Gruppe junger Männer eine Kombination aus Drogenberatung, beruflicher Orientierung und Qualifizierung unter den Aspekten migrationsspezifischer Rahmenbedingungen sein«, sagt Klähn. Ein erster Ansatz könnten Gesprächsrunden in vertrautem Rahmen sein.
»Mit allen nur freundlich reden reicht halt nicht«, sagt hingegen Oberbürgermeister Wilke. »Wir haben einen großen Instrumentenkoffer und sollten den im Ernstfall auch nutzen. Eine Ausweisung ist dabei allerdings praktisch das letzte Mittel.« Wilke würde nicht zögern, dieses Mittel wieder zu nutzen, wie er sagt. Die Stadt habe gezeigt, dass sie konsequent handele, und habe damit wie erhofft abschreckende Wirkung erzielt.
Das Brandenburger Innenministerium begrüße es, wenn Ausländerbehörden bei erheblich straffällig gewordenen Ausländern alle zur Verfügung stehenden Mittel nach dem Aufenthaltsgesetz nutzten, sagt Sprecher Andreas Carl. »Deswegen haben wir Frankfurt auch in den konkreten Rechtsfragen zu Ausweisungen beraten und im Frühjahr eine Taskforce zur Abschiebung von Straftätern gegründet.« Ob andere Kommunen das Mittel der Ausweisung inzwischen ebenfalls anwenden, kann Carl nicht sagen. In der Taskforce würden Ausweisungen künftig besser erfasst und kommunale Ausländerbehörden bei den Verfahren unterstützt, sagt er. dpa/nd
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