- Politik
- Singles in der Pandemie
Der exklusive Corona-Buddy
Singles: Lieber kein Parallel-Dating und zwischen den Treffen Zeit verstreichen lassen.
Singles haben es in der Pandemie nicht leicht: Seit März sind die Clubs geschlossen - Orte, an denen man gut potenzielle Partner*innen kennenlernen kann. Konzerte fallen ebenfalls weg, dann wurden auch die Bars dicht gemacht, Kontaktbeschränkungen erschweren die Partner*innensuche zusätzlich. Wie also datet man in einer Zeit, in der physische Nähe gesundheitsgefährdend sein kann? Dieser Frage ist Andrea Newerla von der Justus-Liebig-Universität Gießen nachgegangen. Im Rahmen einer qualitativen Interviewstudie hat sie im Oktober und November 18 Personen befragt, wie sie physische Intimität und Intimpartnerschaften in der Corona-Pandemie gestalten. Elf davon waren Singles, sieben in einer nicht-monogamen Beziehung.
»Es gibt eine starke Exklusivitätsbewegung«, fasst Newerla im Gespräch mit »nd« ihre zentralen Erkenntnisse zusammen. »Das Gebot der Minimierung von physischen Kontakten erzeugt einen normativen Druck, sich für eine oder ausgewählte Personen zu entscheiden.« Heißt, Menschen in polyamourösen, also nicht-monogamen Partnerschaften, lösen ihr Beziehungsgeflecht in der Pandemie häufig auf und konzentrieren sich auf ihre »Kern-Partner*innen«. Das ist auch so gewollt: »Die Diskurse in der Öffentlichkeit kreisen um Familie und Ehepartner, also ein heteronormatives Modell«, so Newerla. »Polyamourös liebende Menschen sehen sich gezwungen, Exklusivität in ihre Partnerschaften zu bringen - was nicht dem entspricht, wie sie leben wollen«, erklärt die Intimitätsforscherin.
Singles wiederum machen in der Coronakrise vor allem Erfahrungen der Exklusion. Viele fühlten sich allein gelassen, die Angst vor Vereinsamung wachse. In einer Welt, in der alles verfügbar ist, herrscht auf einmal Unverfügbarkeit. Die Umgangsweisen damit sind unterschiedlich: Während manche das Dating ganz sein ließen, versuchten andere über medial vermitteltes Dating, also etwa Dating-Apps, trotz der eingeschränkten Kennenlernmöglichkeiten Intimbeziehungen anzubahnen. Denn gerade jetzt in den Wintermonaten, wenn sich viele in ihre Beziehungen zurückziehen und das Treffen mit Freunden draußen wegfällt, ist die Sehnsucht nach Nähe bei vielen Singles groß. Gleichzeitig herrscht ein großer moralischer Druck durch die Gesellschaft. »Die Leute müssen sich andauernd rechtfertigen, warum sie in der Pandemie überhaupt noch daten«, weiß Newerla aus ihren Interviews. Ob es legitim ist, seinen körperlichen Bedürfnissen nachzugehen oder diesen aus Rücksicht auf andere zu entsagen, sei letztlich jedoch eine individuelle Entscheidung, die auch Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann. »Viele leiden sehr darunter, dass sie niemanden haben, teilweise macht das die Leute richtig depressiv«, so die Soziologin.
In Zeiten von Lockdown und sozialer Distanz gehören Dating-Apps eindeutig zu den Krisengewinnern. Im ersten halben Jahr der Pandemie erhöhten sich die Nutzerzahlen beträchtlich. Die Match Group, zu der unter anderem die Dating-App-Firmen Tinder und Ok Cupid gehören, steigerte ihren Gesamtumsatz im zweiten Quartal, also den Lockdown-Monaten, im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um zwölf Prozent auf rund 555 Millionen US-Dollar. »Viele haben neu mit Dating-Apps angefangen, viele haben ihren alten Account aber auch reaktiviert, obwohl sie es eigentlich nicht so mögen, einfach weil es keine anderen Orte mehr gibt, wo man sich kennenlernen kann«, sagt Newerla, die schon seit mehreren Jahren zum Thema Online-Dating forscht. Diejenigen, die auf den virtuellen »Match« dann auch ein reales Treffen folgen lassen, legten in der Pandemie eine sehr viel achtsamere Dating-Praxis an den Tag, etwa indem sie eher serielles als Parallel-Dating praktizieren und zwischen den Treffen mehr Zeit verstreichen lassen, um etwaige Symptome zu prüfen. »Die Leute überlegen genau, wen sie daten und wie«, sagt die 42-Jährige.
Das Wie ist dabei gar nicht so einfach, denn neben der Schließung von Kennenlern-Orten wie Bars oder Clubs fallen ohne Theater, Kinos und Museen auch die Freizeitaktivitäten weg, bei denen man sich kennenlernen kann. In der Pandemie bleibt so nur die Wahl zwischen einem Treffen auf Abstand im Freien oder einer Einladung in die eigene Wohnung. »Die Leute haben keine Lust mehr auf Spazierengehen, wollen ihr Date aber auch nicht gleich mit nach Hause nehmen«, beschreibt die Berlinerin das Dilemma vieler Menschen auf Partner*innen-Suche. Wer dann jemanden gefunden hat, mit dem es passt, macht sehr viel eher Nägel mit Köpfen als zuvor. »Die Leute lassen sich eher auf unverbindliche, aber trotzdem exklusive Partnerschaften ein.« Diese Exklusivität ist nicht romantisch, sondern pragmatisch begründet: Wegen der coronabedingten Notwendigkeit, sich für eine Person zu entscheiden, legt man sich einen »Corona-Buddy« zu.
Dabei geht es nicht allein um Sex, die meisten suchten jemanden, dem sie körperlich nah sein können - jemanden zum Kuscheln. Von der Politik werde das aber oft nicht mitgedacht. »Allein lebende Personen werden nicht wirklich wahrgenommen, fühlen sich unsichtbar«, so Newerla. Anders in Belgien, dort hat die Regierung »Knuffelcontacten«, also Kuschelkontakte erlaubt, diese allerdings auf eine Person beschränkt. »Es gibt einen starken Backlash zu einem Modell, sich in Zweierbeziehungen einzurichten«, sagt Newerla. Ob dies nur eine Monogamie auf Zeit ist oder sich die Menschen darin einrichten, werde sich noch zeigen. Newerla bekommt regelmäßig Updates von ihren Interviewpartner*innen. »Der Enthaltungs-Imperativ bröckelt zunehmend, die Luft ist raus«, stellt sie fest. Eins ist für sie aber jetzt schon klar: »Intimbeziehungen und ihre Anbahnungsprozesse befinden sich in einem stetigen sozialen Wandel, gesellschaftliche Entwicklungen haben darauf Einfluss und umgekehrt. Unsere persönlichen Beziehungen sind also nicht einfach als ›private Angelegenheiten‹, sondern als sozial-hergestellte Prozesse zu verstehen.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.