- Berlin
- Berlin
Weg mit der Ausgangssperre
Nicolas Šustr hält die Berliner Verordnung für ineffizient
Stell Dir vor, es ist Ausgangssperre und fast niemand weiß es. So ist zumindest die Lage in Berlin. Denn eigentlich darf niemand raus. Außer es gibt einen triftigen Grund - und derer sind viele schon offiziell vorgesehen. Einkaufen, Termine, Bewegung und, und, und. Im Gegensatz zum Frühjahr sind auch keine Fälle bekannt, dass Leute, die auf einer Parkbank saßen und einfach nur ein Buch lasen, von Ordnungskräften wegen Verstoßes gegen die Verordnung behelligt worden sind. Und trotzdem ist das grundsätzliche Verbot, sich draußen zu bewegen oder aufzuhalten, der schwerwiegendste Grundrechtseingriff in der Bundesrepublik seit deren Gründung. Darum hat Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) recht, wenn er die Abschaffung der Ausgangssperre fordert.
Im praktischen Infektionsschutz bewegt man sich auf unsicherem Terrain, wenn bestimmte erlassene Regeln als überflüssig bezeichnet werden. So wie die Kneipenschließungen. Denn natürlich verhält sich nicht jeder ab dem dritten Bier total unvernünftig. Aber die Tendenz ist nun mal da - und es ist oft nicht die von A bis Z durchexerzierte Unvernunft, die die Infektionszahlen hat hochschnellen lassen. Die Regeln müssen einfach verständlich und leicht kontrollierbar sein, ansonsten scheitern sie schon daran, dass viele sie nicht begreifen. Solange aber das öffentliche Leben nicht komplett heruntergefahren wird, bringt diese löchrige Berliner Ausgangssperre konkret gar nichts. Sie öffnet jedoch der Willkür einzelner Ordnungshüter Tür und Tor.
In Brandenburg gilt nachts zwischen 22 und 6 Uhr eine viel härtere Ausgangssperre, in München werden gar um 21 Uhr schon die Bürgersteige hochgeklappt. Der Nutzen für den Infektionsschutz dürfte auch sehr begrenzt sein, allerdings spüren die dort lebenden Menschen die eingeschränkte Freiheit deutlich. Sollte dann noch die generelle Einschränkung auf einen 15-Kilometer-Radius in Hotspots kommen, wird es eng. Natürlich müssen die Infektionszahlen schnell herunter. Aber einfach mal prophylaktisch die Grundrechte einzuschränken ist ein gefährliches Spiel. Davon profitieren bedauerlicherweise gerade die Feinde von Freiheit und Demokratie.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.