- Politik
- Kapitol
Wo war die Polizei?
Kaum Sicherheitskräfte gegen Kapitol-Stürmer im Einsatz
»Es gibt zwei Amerikas«, twitterte die Aktivistin Julia Carter am Mittwoch, als Tausende Trump-Anhänger das Kapitol in Washington stürmten, um ihren Noch-Präsidenten Donald Trump in seinem Wahn zu bestätigen, dass er die Wiederwahl doch nicht verloren hatte. Ihr Tweet zeigt zwei Bilder. Auf dem einen behelmte und bewaffnete Polizisten, die Demonstrierende auf einer Black-Lives-Matter-Demonstration zu Boden knüppeln. Das andere zeigt die siegestrunkenen Trump-Fans nach dem erfolgreichen Sturm auf das Regierungsgebäude, mit Maga-Mützen und Konföderiertenflaggen.
Ein anderer Tweet zeigt ein Video, auf dem die Protestierenden die Stahlbarrikaden vor dem Kapitol verschieben und das Gelände betreten. Daneben gerade mal eine Handvoll Polizist*innen, die keinerlei Anstrengungen unternehmen, einen von Rechtsextremisten initiierten Sturm auf ein Regierungsgebäude zu verhindern. »Sie lassen die einfach rein????«, schreibt die Userin entsetzt über ein Video, das zeigt, dass ein Polizist den Sicherheitszaun sogar zu öffnen scheint. Ein weiteres Foto zeigt einen Protestierenden, der ein Selfie mit einem Polizisten macht. Mitglieder des US-Kongresses mussten sich in Sicherheitsräumen verstecken, während Männer, bekleidet mit Pullovern, auf denen der Holocaust verherrlicht wird, ihre Büros demolieren. Ein Foto zeigt einen Mann am Schreibtisch der demokratischen Politikerin Nancy Pelosi, die Füße auf der Tischplatte. Auf einen ihrer Ordner hat er die Worte »Wir werden keinen Rückzieher machen« geschrieben.
Zum Zeitpunkt des lange angekündigten Aufmarsches der Trumpanhänger*innen waren 115 Wachleute im Dienst, 225 weitere in Bereitschaft. Die Nationalgarde wurde erst eingesetzt, nachdem das Kapitol bereits gestürmt worden war. Insgesamt wurden 52 Menschen inhaftiert, viele ließ die Polizei einfach so gehen, manchen half sie beim Hinablaufen der Treppe.
Angesichts der massiven Polizeieinsätze gegen die antirassistischen Demonstrationen anlässlich des von einem Polizisten ermordeten Afroamerikaners George Floyd im letzten Jahr kommt man nicht umhin zu fragen, was jetzt plötzlich mit dem Polizeiapparat der USA passiert ist?
Am 1. Juni 2020 hatte sich eine Black-Lives-Matter-Demonstration vor dem Weißen Haus versammelt. Um die Versammlung in Schach zu halten, waren neben stellenweise berittenen Einheiten der Washington und der US Park Police über 5000 Mitglieder der Nationalgarde und ein Militärhubschrauber vor den Wohnsitz des Präsidenten beordert worden. Sie gingen mit Tränengas, Schlagstöcken und Gummigeschossen gegen die Demonstrant*innen vor, unter anderem, damit Donald Trump vor einer gegenüberliegenden Kirche ein Fotoshooting absolvieren konnte. Selbst ein Mitglied der Nationalgarde räumte später ein, dass es sich um »exzessive Gewaltanwendung« gehandelt habe. Am 2. Juni fand eine friedliche Versammlung vor dem Lincoln-Memorial statt, auf dessen Stufen sich ein schwer bewaffneter Polizist an den anderen reihte. Am 3. Juni wurden die Teilnehmer*innen einer antirassistischen Demonstration in Washington erneut mit Tränengas attackiert. 88 Menschen wurden festgenommen.
Es sind keine zwei Amerikas, von denen Julia Carter schreibt. Es ist ein Land, in dem der Rassismus tief verwurzelt ist. Daher wird die Black-Lives-Matter-Bewegung als Angriff auf den Rassisten und dessen ideales Amerika gewertet - und hart bekämpft. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass in einem Land, in dem die Polizisten, die den Afroamerikaner Jacob Blake mit sieben Schüssen ermordet haben, freigesprochen werden, andere Polizist*innen Neonazis in das Kapitol eindringen lassen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.