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Den hohen Tieren hinterher
Kolonialgeschichte, Blutdiamanten und der Louvre: Die Serie »Lupin« adaptiert die Geschichte des Meisterdiebs ins heutige Frankreich
Arsene Lupin, auch genannt der »Gentleman-Dieb«, ist seit über 100 Jahren eine Kultfigur der französischen Kriminalliteratur. Mit »Lupin« gibt es nun auch eine zeitgemäße, flott inszenierte Serie, frei erzählt nach Motiven dieses faszinierenden, in Frankreich und Kanada auch heute noch sehr populären Stoffs. In den fünf, im heutigen Frankreich angesiedelten Episoden geht es auch explizit um Rassismus und Klassenunterschiede, was der Serie ebenso eine politische Dimension wie auch hohe Aktualität verleiht. Zwischen 1905 und 1935 veröffentlichte Maurice Leblanc mehr als 20 Romane über den mit allen Wassern gewaschenen, bildungsbürgerlichen Einbrecher und Trickbetrüger, der stets mit Monokel und Zylinder abgebildet wird. Im Lauf der Jahrzehnte gab es zahlreiche Bearbeitungen des Stoffs, unter anderem weitere Romane anderer Autoren, Comics, mehrere Mangas, aber auch Filme und Serien. Hierzulande hat der SWR in den vergangenen Jahren eine ganze Hörspielreihe mit Abenteuern des Gauners herausgebracht, der auch gerne als anarchisches Gegenstück zum britischen Meisterdetektiv Sherlock Holmes gesehen wird. Ob tatsächlich der französische Anarchist und Einbrecher Marius Jacobs als Vorbild für Leblancs Kunstfigur diente, ist umstritten. Der erfolgreiche Autor selbst stritt das immer wieder ab.
Bei Netflix spielt Omar Sy, vielen aus dem französischen Drama »Ziemlich beste Freunde« (2011) bekannt, den in Paris lebenden Assane Diop, einen Mann, der Leblancs Romane nicht nur als Inspiration für seine genialen Gaunereien nutzt, sondern sich auf diese Weise auch am ehemaligen Arbeitgeber seines Vaters rächen will. Denn sein aus dem Senegal stammender, alleinerziehender Vater, vor Jahren zu Unrecht ins Gefängnis gekommen, hat sich dort erhängt und ließ den Sohn als Teenager allein zurück. Hat den Vater sein damaliger Chef, ein einflussreicher Unternehmer, übers Ohr gehauen und ihn mit Hilfe eines korrupten Polizeibeamten in den Knast gebracht? »Lupin« erzählt davon, wie der mittlerweile zum erwachsenen Mann und geschickten Trickbetrüger gewordene Assane seine mysteriöse Familiengeschichte aufrollt und versucht, die Geschichte seines verstorbenen Vaters und dessen angeblichen millionenschweren Diebstahl herauszufinden.
Assane Diop nutzt wie sein Vorbild Arsene Lupin jede Menge Verkleidungen, wobei er immer wieder als prekär Beschäftigter im schicken Paris unterwegs ist. Mal entwischt er auf dem Fahrrad als Lieferbote auf fast schon akrobatische Weise der Polizei im Jardin de Luxembourg, dann schuftet er mit anderen People of Color als Putzkraft im Louvre, wo er natürlich nebenbei etwas ausbaldowert. Der geniale Raubzug lässt erwartungsgemäß nicht lange auf sich warten und hat es wirklich in sich. Aber auch als angeblicher Millionär mit gefaktem Lebenslauf und im schicken Anzug mischt er auf einer teuren Auktion mit und diniert ganz selbstverständlich in feinen Restaurants. Hinterher läuft er wieder mit Kapuzenpulli und altem Mantel durch die Straßen wie ein Obdachloser. Oder er tänzelt zu Hip-Hop wie ein Jugendlicher aus den Banlieues durch die Straßen, um später als vermeintlicher Polizist einer rassistischen alten Dame die in Belgisch-Kongo erbeuteten Diamanten abzujagen. Diop weiß den gesellschaftlichen Schein zu nutzen, ist ein begnadeter Schauspieler und führt andere mit seiner kaum zu überbietenden Dreistigkeit erfolgreich und auf äußerst witzige Weise an der Nase herum. »Lupin« ist aber keine Serie, die lediglich außergewöhnliche Kriminalfälle und abenteuerliche Bonmots zeitgemäß in einem hippen Paris aneinanderreiht.
Die fünf Folgen der ersten Staffel arbeiten sich vielmehr in einer komplexen Erzählstruktur an der migrantischen Familiengeschichte von Assane Diop ab, die in einem engen Abhängigkeitsverhältnis mit der Unternehmerfamilie verknüpft ist, bei der sein Vater arbeitete und mit deren Tochter Diop selbst eine Affäre hatte. Dabei geht es in Rückblenden immer wieder in die 90er Jahre zurück, wodurch die Serie ein ganzes gesellschaftspolitisches Panorama in Sachen Rassismus und Klassenzugehörigkeit auffächert - von der Schule, dem Wohnumfeld in heruntergekommenen Blocks, über die Universität, das Berufsleben bis hin zu Diops eigener junger Familie. Ein befreundeter Kunsthändler steht ihm ebenso immer wieder zur Seite wie eine investigative Journalistin. Deren kleiner, stets frech bellender Hund heißt »J’accuse«, benannt nach dem öffentlichen Brief von Emile Zola 1898 im Zuge der Dreyfuss-Affäre, der geistesgeschichtlich als Geburtsstunde des Begriffs der »Intellektuellen« gilt.
Denn Solidarität ist ein wichtiger Bestandteil in dieser Geschichte und grundlegend für das Gelingen von Diops genialen Schachzügen, in denen der Gauner, der seine Beute auch mal mit Bedürftigen teilt, den Betrügereien der hohen Tiere hinterherstöbert. Dabei geht es um hohe Kapitalsummen, Versicherungsbetrug und Waffenverkäufe. Aber auch die Kolonialgeschichte Frankreichs spielt immer wieder eine Rolle. Insofern transportiert die Serie nicht nur sehr geschickt die schon bekannten Geschichten und Motive um Arsene Lupin ins heutige Paris, sondern inszeniert auch sehr spannend die jüngere französische Historie.
»Lupin«, verfügbar auf Netflix
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