Alles verboten außer beten und arbeiten

Brandenburg verlängert und verschärft die Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Im alten Flughafen Schönefeld eröffnet an diesem Montag ein Corona-Impfzentrum, in dem medizinisches Personal der Bundeswehr eingesetzt wird. Es ist das dritte Impfzentrum Brandenburgs. Das Land hat sich hier einen Fehlstart geleistet. Erst am 7. Februar konnte mit 3.300 Impfungen an einem Tag eine insgesamt fünfstellige Zahl erreicht werden. Dabei bekam Brandenburg mittlerweile fast 60.000 Impfdosen geliefert. Es wäre also deutlich mehr möglich gewesen.

Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) hatte zunächst noch beleidigt geschimpft, es werde nur gemeckert. Am Freitag musste sie im Landtag einräumen, dass die Kritik berechtigt ist. Gilt es doch, im ersten Schritt so schnell wie möglich 200.000 über 80-jährige Brandenburger gegen das Coronavirus zu schützen, in den Pflegeheimen die 50.000 Bewohner sowie das Personal und in den Kliniken die Ärzte und Krankenschwestern, die auf den Corona-Stationen und in der Notaufnahme arbeiten.

Stattdessen geht es Vielen wie der Nachbarin von Linksfraktionschef Sebastian Walter. 60 mal wählte sie vergeblich die Telefonnummer 116 117, um einen Termin für eine Impfung zu bekommen. Beim 61. Versuch kam sie endlich durch - nur um dann zu erfahren, dass sie in Barnim im Moment noch keinen Termin erhalten könne.

In der laufenden Woche kommen die ersten 2.400 Dosen des neuen Impfstoffs der Pharmafirma Moderna, am 18. Januar die nächsten 19.500 Dosen von Biontech. Es hakt also nicht bei den Lieferungen, sondern bei der Organisation.

In einer solchen Situation verlängerte das rot-schwarz-grüne Kabinett nun die Beschränkungen zur Eindämmung der Pandemie bis zum 31. Januar. Gaststätten und viele Geschäfte bleiben geschlossen und es müssen nun auch Betriebskantinen dicht machen - es sei denn, die Belegschaft kann anders nicht versorgt werden. Denn in den Betrieben läuft wie selbstverständlich die Produktion weiter.

Linksfraktionschef Walter bemerkte dazu: »Es wird nicht funktionieren, wenn alles verboten ist außer beten und arbeiten.« Walter hält beispielsweise den 15-Kilometer-Radius für Symbolpolitik. Zu Dritt durch den Wald zu flanieren, könne ein Vermögen kosten, aber in den Großraumbüros hocken die Beschäftigten weiter aufeinander - auch in der Landesverwaltung. Wörtlich sagte Walter: »Während wir den privaten Bereich massiv einschränken, lassen wir die Menschen in vollen Zügen und Bussen zur Arbeit fahren. Jeder Spaziergang in diesem Land ist mittlerweile strenger reguliert als die Arbeitsplätze.«

Private Besuche sind nur noch durch eine einzige nicht im Haushalt lebende Person gestattet, ausgenommen Kinder bis zum vollendeten 14. Lebensjahr. Und seit Sonnabend gilt für alle brandenburgischen Landkreise und kreisfreien Städte, in denen es in den vergangenen sieben Tagen mehr als 200 Ansteckungen mit dem Virus je 100.000 Einwohner gab: Die Bewohner dürfen sich nur noch in ihrem Landkreis beziehungsweise ihrer kreisfreien Stadt und maximal 15 Kilometer über deren Grenzen hinaus bewegen. Das gilt allerdings nicht, wenn man beruflich unterwegs ist, zum Arzt muss, etwas besorgen will oder einen Verwandten besuchen möchte. Verhindert werden soll aber, dass alle zum Skilaufen in den Harz reisen, sobald drei Zentimeter Schnee liegen, wie SPD-Fraktionschef Erik Stohn sagte. Gegenwärtig verzeichnen nur der Barnim, Oberhavel, Märkisch-Oderland und Brandenburg/Havel Werte unterhalb der Marke 200. Aufgehoben wurde jetzt die nächtliche Ausgangssperre. Die Schulen bleiben geschlossen, sollen aber zuerst berücksichtigt werden, sobald das Infektionsgeschehen Lockerungen zulässt.

Die Zahlen sind im Moment wenig verlässlich. Alles geriet durcheinander, weil über Weihnachten und Neujahr kaum getestet wurde und die Meldungen der Gesundheitsämter nicht lückenlos waren. Es gab am 4. Januar sicher mehr als 296 Neuinfektionen und in die 1.595 Infektionen vom 7. Januar - es war die bisher höchste Zahl - flossen bestimmt viele Nachmeldungen ein, wie Ministerin Nonnemacher erläuterte. Voraussichtlich erst in acht Tagen werden die Zahlen wieder ein genaueres Bild der Lage vermitteln. Klar sei aber: »Die Krankenhäuser segeln hart an der Überlastungsgrenze.« In märkischen Kliniken werden 1.120 Corona-Patienten behandelt, 251 von ihnen auf der Intensivstation. 187 müssen beatmet werden. Tote hat es bislang 1.490 gegeben.

Damit wird die Verlängerung und Verschärfung des Lockdowns begründet. Die Polizei soll stichprobenartig überprüfen, ob sich die Bevölkerung an die 15-Kilometer-Regel hält. »Es kann sein, dass man erwischt wird«, warnte Innenminister Michael Stübgen (CDU). Aber wahrscheinlich ist das weder in Brandenburg noch in Berlin.

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