Science-Fiction im Realmodus

Die BBC-Serie »Years and Years« zeigt so klug wie unterhaltsam, was Populismus aus einer Nation macht

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer Ende vorigen Jahres beschlossen hat, Anfang des laufenden eine Endzeitstory mit maximalem Gruseleffekt bei minimaler Unglaubwürdigkeit zu zeigen, konnte sich kein furchteinflößenderes Szenario ausdenken als dieses: Donald Trump bleibt US-Präsident. So grauslich beginnt eine BBC-Serie, die ab Donnerstag auf ZDF.Neo läuft und die kurz nach Joe Bidens Sieg, ach eigentlich schon seit dem Amtsantritt seines Kontrahenten 2017 noch schier undenkbar erschien. Aber denkbar ist alles, seit Donald Trump vor einer Woche zum Putsch geblasen und der Weltgeschichte damit ein weiteres Schreckensdatum hinzugefügt hat.

Mitte des ersten Teils gewinnt Trump die Wiederwahl und bleibt damit - wenn schon nicht real, so doch fiktional am Hebel der Weltmacht. Nach Ideen von Showrunner Russell T Davies (»Doktor Who«) beginnt damit ein Katastrophenfilm im Normalmodus, der alle negativen Aspekte unserer digitalen Wirklichkeit sechs Folgen lang unumgänglich auf den Kollaps der Demokratie zusteuern lässt. Während sich die britische Trump-Wiedergängerin Viv Rook mit brutaler Regelverachtung zur künftigen Regierungschefin in Großbritannien aufschwingt, erzählt »Years and Years« über 15 Jahre hinweg das Leben der Großfamilie Lyons im Bann des Populismus.

Just, als die politisch ambitionierte Millionärin Rook - mit fabelhaftem Zynismus verkörpert von Emma Thompson - in einer Talkshow bei radikaler Verletzung aller Konventionen das Rampenlicht der Medienwelt betritt, bringt Rosie Lyons einen Jungen zur Welt, der im Gleichschritt mit einer ereignisreichen Umwelt aufwächst.

Lincoln Lyons 1. Geburtstag: Trump triumphiert aufs Neue und sein Onkel Daniel macht seinem Freund einen Heiratsantrag. Sein 2. Geburtstag: Peking annektiert eine Insel im südchinesischen Meer und Daniel heiratet Ralph. Der 3. Geburtstag: Russland besetzt die Ukraine und Ralph entpuppt sich als Querdenker. 4. Geburtstag: Eine Flüchtlingswelle erreicht England und Rooks fremdenfeindlicher Aufstiegskurs treibt Keile bis tief ins Private. 5. Geburtstag: Kurz vor Amtsende bombardiert Trump China und die Lyons zittern gemeinsam bei Oma Muriel (Anne Read) in Manchester vor dem drohenden Atomkrieg. Der wird zu Beginn des zweiten Teils zwar eben so noch abgewendet; bildet jedoch die Basis für ein Chaos, in das selbst stabile Gesellschaften und Nationen zurzeit ebenso schlittern wie Freundeskreise und Familien.

Bei »Years and Years« hat das Publikum also die außergewöhnliche Wahl, ein und denselben Plot emotional an sich heranzulassen oder abstrakt von sich fernzuhalten. Die chronologische Eskalation darin kann man demnach als Science-Fiction oder Zustandsbeschreibung lesen. Liebe und Gemeinsinn darf dabei ebenso gern im Vordergrund stehen wie Hass und Spaltung. Zur besten Sendezeit gibt uns ZDF.Neo damit die Chance, uns entspannt zurückzulehnen oder entnervt aufzuspringen. Legen wir also kurz mal den Mantel des Schweigens über die unsägliche Synchronisation und quälen uns daran vorbei zum Wesenskern dieser wirklich klugen Serie: der Frage, was in einer Zeit des kollektiven Exhibitionismus politisch ist, was privat?

Nicht, dass Regisseur Simon Cellar Jones darauf irgendwelche Antworten hätte. Seine Versuchsanordnung aber schafft es ohne allzu viel Effekthascherei, künftige Existenzfragen nie beliebig, aber moralinfrei zu stellen. Zum Beispiel die nach Bethanys Wunsch, transhuman zu werden, indem sie ihren Geist hochlädt und den Körper tötet. Sie selbst hält das für eine ganz reale Option der anstehenden KI-Revolution, ihre Eltern sehen darin den Irrsinn einer entfesselten Wirklichkeitsverachtung.

Wer hat recht? In »Years and Years« sind es die Jahre, die vergehen, dank denen sich Auswege ergeben. Spätestens als Viv Rook Premierministerin wird und ihr Land in den Faschismus zu hetzen droht, wird es schwer, sich aufs individuelle Schicksal einer diversen Familie zu konzentrieren. Denn man merkt bald: sie steckt in uns allen.

»Years and Years« ab 14. Januar auf ZDF.Neo

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