Für zwei Drittel Fuß- und Radverkehr

Volksinitiative für Verkehrswende in Brandenburg übergab fast 29 000 Unterschriften

  • Wilfried Neiße, Potsdam
  • Lesedauer: 4 Min.

Auf Fahrrädern war man gekommen: Die Volksinitiative »Verkehrswende Brandenburg jetzt« übergab am Mittwoch unter strikter Beachtung der Corona-Vorschriften 28 584 Unterschriften an Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD).

Initiator Fritz Viertel, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs Deutschland (VCD), dankte ausdrücklich dafür, dass das Parlament unter dem Eindruck der Corona-Pandemie die Frist zum Sammeln der Unterschriften zweimal um drei Monate verlängert hatte. Die Volksinitiative sammelte seit dem 15. August 2019 Unterschriften für ihre Anliegen. Weil ein halbes Jahr länger Zeit war, ist das Projekt »trotz Corona nicht im Sande verlaufen«, wie Viertel anmerkte. Nun hoffe er auf »wohlwollende Prüfung«.

Ihren »allergrößten Respekt« bekundete Parlamentspräsidentin Liedtke dafür, dass sich die Initiative durch die Unmöglichkeit, im Lockdown vor Kaufhallen und an anderen öffentlichen Orten mit den Listen zu stehen, nicht entmutigen ließ und fast 10 000 Stimmen mehr vorlegte, als für den Erfolg einer Volksinitiative unbedingt notwendig sind. Die Initiative fordert, die Kapazität des Öffentlichen Personennahverkehrs zu erhöhen, an allen Orten für verlässliche Bus- und Bahnverbindungen zu sorgen, überall sichere Rad- und Fußwege anzulegen und die Möglichkeit der Mitnahme von Fahrrädern in öffentlichen Verkehrsmitteln zu verbessern.

Der Landeswahlleiter prüft nun die Gültigkeit der Unterschriften. Danach hat der Landtag dann vier Monate Zeit, sich zu dem Anliegen zu verhalten.

In Brandenburg wurden seit der Wende 1990 in beträchtlichem Umfang Radwanderwege angelegt, der Regionalverkehr im Berliner Umland wurde erneuert, sämtliche Autobahnen wurden saniert, viel Geld wurde in die Erneuerung von Landes- und Kreisstraßen gesteckt, und es entstand auch eine bedeutende Anzahl von Ortsumgehungen für den Autoverkehr. Der Löwenanteil der öffentlichen Mittel wurde für Autofahrbahnen verbaut. Die Zahl der Pkw hat sich seit 1990 verzehnfacht.

Auf der anderen Seite sind mehr als zehn Prozent des Schienennetzes stillgelegt worden, Hunderte Bahnhöfe und Haltestellen werden nicht mehr betrieben, die Zahl der Zugbegleiter wurde reduziert, das Angebot an Bussen und Bahnen gerade im ländlichen Raum ausgedünnt. Man wolle keine warme Luft durch die Landschaft fahren, hieß es immer zur Rechtfertigung: Durch die Landflucht und das massenweise Übersiedeln gerade jüngerer Brandenburger in die alten Bundesländer war ein starker Rückgang der Fahrgastzahlen zu verzeichnen. Auch der Umfang des Gütertransports auf der Schiene und durch Binnenschiffe sank ständig.

Doch der Klimawandel erfordert dringend eine Verkehrswende. Mit ihrem Anliegen rennt die Volksinitiative bei der Landespolitik offene Türen ein. Die oppositionelle Linke hatte am Dienstag ihren »Fahrplan für sozial-ökologische Mobilität in Brandenburg« vorgelegt (»nd« berichtete). Der Abgeordnete Christian Görke wies darauf hin, dass vieles aus dem Konzept deckungsgleich mit den Wünschen der Volksinitiative sei. Das ist kein Wunder, arbeitet doch der VCD-Landeschef Fritz Viertel als Referent für die Linksfraktion und hat das Konzept gemeinsam mit Görke geschrieben. Zu den »Schnittmengen« zählte Görke die Anliegen, den Anteil von Bus und Bahn sowie Fahrrad und Fußgängern am Gesamtverkehr von 48 auf 65 Prozent zu steigern und stillgelegte Bahnstrecken dort zu reaktivieren, wo das vernünftig sei.

Weil seit Ende 2019 die Grünen in Brandenburg zusammen mit SPD und CDU regieren, findet sich die Verkehrswende auch im Koalitionsvertrag. »Zumindest auf dem Papier bietet der Koalitionsvertrag eine große Chance für den Radverkehr in Brandenburg. Insgesamt sind wir zufrieden: Es gibt mehr Geld und mehr Personal für Radverkehrsförderung, auch soll es gesetzliche Änderungen geben«, freute sich Stefan Overkamp, Landesvorsitzender des Fahrradclubs ADFC.

»Wir haben diese Volksinitiative für eine ökosoziale Verkehrswende in Brandenburg immer unterstützt, genauso wie wir es bei den Volksinitiativen gegen Massentierhaltung und für die Artenvielfalt getan haben«, betonte die Grünen-Landeschefin Alexandra Pichl. »Damit hat die Brandenburger Zivilgesellschaft innerhalb weniger Jahre gleich drei Volksinitiativen mit grünen Inhalten zum Erfolg geführt.« Zwar zeige ein Vergleich der Forderungen der Volksinitiative mit dem Koalitionsvertrag und dem Handeln der Landesregierung, dass einige der Forderungen bereits angegangen wurden, sagte Pichl. »Dennoch wollen wir der Volksinitiative noch weiter, ja so weit wie möglich entgegenkommen. Darüber werden wir mit unseren Koalitionspartnern verhandeln.«

Der Koalitionsvertrag wurde allerdings zu einer Zeit formuliert, als in Brandenburg noch von ständig höheren Steuereinnahmen geträumt werden durfte. Inzwischen gibt es coronabedingt eine radikal andere Finanzsituation. Und wie sich die auf weitere Maßnahmen für eine Verkehrswende auswirkt, bleibt abzuwarten.

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