Revolution der Milliardäre

Die Hippies im Silicon Valley haben ihre Ideale nie verraten: mehr zu verdienen.

  • Tom Wohlfarth
  • Lesedauer: 4 Min.

Ideologiekritik ist da am nötigsten, wo die wenigsten merken, dass sie es überhaupt mit Ideologie zu tun haben. Unsere schöne neue digitale Welt ist so ein Fall. Wenn innerhalb weniger Jahre unsere gesamte Erfahrungswelt scheinbar auf den Kopf gestellt wird, kommt das Denken nur schwer hinterher. Und das gilt sowohl für die Konsumenten als auch für die Produzenten der neuen Technologien.

Der in Stanford im Silicon Valley lehrende deutsche Literaturwissenschaftler Adrian Daub hilft uns in seinem Buch »Was das Valley denken nennt« auf die Sprünge. Denn nur weil man behauptet oder denkt, man denkt, heißt das bekanntlich noch lange nicht, dass man es auch tatsächlich tut. Daub beschreibt seine Unternehmung als »Ideengeschichte an einem Ort, der gerne so tut, als hätten seine Ideen keine Geschichte«.

Denn wohl kaum etwas ist so bezeichnend für die Valley-Ideologie wie die Vorstellung, etwas völlig Neues, noch nie Dagewesenes hervorzubringen. Daub zeigt, dass dies keineswegs der Fall ist.

Der Hauptstrang der Geschichte dieses vermeintlich global-universalen »Denkens« verläuft schlicht durch die Lokalhistorie der San Francisco Bay Area, wo das Silicon Valley beheimatet ist, und zwar in Gestalt von »jenem anderen Exportschlager Kaliforniens […] der Gegenkultur der sechziger Jahre«. Denn hier wurden viele heutige Ideologeme der Techbranche geprägt: etwa die Idee des »Aussteigens«, die Hoffnung auf neue Formen der Kommunikation, aber natürlich auch eine halbgare Vorstellung von Revolution.

Hier muss also zunächst mit einem anderen Mythos aufgeräumt werden, nämlich dass es sich bei der Gegenkultur um eine ausschließlich antikapitalistische Bewegung gehandelt habe, die erst in einem zweiten Schritt von der Kulturindustrie geschluckt worden sei. Daub: »Die Wahrheit ist, dass ein Großteil der Gegenkultur auf die Wirtschaft ausgerichtet war.« Denn: »Den Hippies war vollkommen klar, dass sie die Regierung im fernen Washington nicht erobern konnten, aber die Wirtschaft schien dezentralisierter und durchlässiger zu sein. Dort ließ sich der Marsch durch die Institutionen antreten.« Nur ging auf diesem Marsch irgendwann das ursprüngliche Ziel verloren.

In ähnlicher Weise gilt, dass auch die Techbranche nicht etwa als bloßes Hippieprojekt gestartet und erst später von einer »libertären Konterrevolution« kooptiert worden wäre. »Die Ideen, die im Techsektor als Denken betrachtet werden, wurden beim Geldverdienen entwickelt und verfeinert«, und zwar von Anfang an und mittlerweile in solchen Dimensionen, wodurch die Unterscheidung zwischen Wirtschaft und Regierung längst in tatsächlich nie da gewesener Weise eingeebnet wird.

Das hat freilich auch Auswirkungen auf die Frage, ob mit einem der mythischen Initiationsriten des Silicon Valley, dem Studienabbruch, überhaupt noch irgendein märtyrerhafte Gesten rechtfertigendes Risiko verbunden ist. Und selbst wenn es so wäre, fungierte dieses Risiko lediglich als Selektionsfaktor. Denn eine zweite (oder dritte oder …) Chance bekommt im Valley, mehr noch als anderswo, vor allem eine Gruppe: männliche weiße Mittelstandskids. Das wiederum hat erhebliche Folgen für das dort entwickelte Verständnis von »Revolution« und »Innovation« - wie auch für deren Wahrnehmung.

Denn das virtuose Spiel mit diesen gedanklichen Versatzstücken vereinnahmt die kollektive Fantasie und lässt einen als Spielverderber erscheinen, sobald man fragt, »inwieweit jemand, der Milliardeninvestitionen repräsentiert, zu einer Revolution fähig sein soll«. Und was, »wenn das, was Innovation genannt wird, in Wahrheit nichts anderes ist als eine opportunistische Ausnutzung von Gesetzeslücken«?

Vielleicht, so könnte man fragen, versucht sich Adrian Daub in seinem grandiosen Essay an einem ähnlichen, freilich ungleich subtileren und vor allem ganz und gar bewussten gedanklichen Vexierspiel, um die Denkengpässe der Technologiebranche offenzulegen. Er kleidet seine scharfe Kritik in das scheinbar harmlose Gewand einer überaus heiteren »Ideengeschichte«. Das Wort »Ideologie« steht zwar im Untertitel, der marxistische Terminus der »Ideologiekritik« aber fällt im Buch an keiner Stelle. Und doch ist sie auf jeder Seite zu finden. Vielleicht erreicht sie ja gerade dadurch eine besonders nachhaltige Wirkung, dass sie nicht mit erhobenem Zeigefinger daherkommt, sondern eher in Form der scherzhaften, bisweilen spöttischen Bemerkung, bei der man erst im Lachen merkt, dass man sich gerade an einem Nagel verschluckt hat. Und ich kann mich nicht erinnern, wann ich bei einem Sachbuch - zudem einem mit theoretischem Anspruch - zuletzt so anhaltend gelacht habe.

Daubs Buch ist ein funkensprühendes Feuerwerk brillanter Gedanken und eine stilistische Sensation. Aber auch eine inhaltliche. In sieben kurzen Kapiteln demaskiert er jeweils ein ideengeschichtliches Urbild der vermeintlich so geschichtslosen Versatzstücke der Silicon-Valley-Ideologie. Von Marshall McLuhans inhaltsbefreitem Medienformalismus über Ayn Rands daueradoleszentes Unternehmenskünstlertum und Joseph Schumpeters »kreative Zerstörung« bis zu Samuel Becketts Vorstellung vom »besseren Scheitern«.

Für alle diese ideellen Aneignungen gilt: Die im Valley geübte Form von gedanklicher »Disruption setzt eine schöpferische Amnesie voraus, eine produktive oder zumindest profitable Missachtung der Details. Manchmal kommt am anderen Ende ein Tesla Model 3 heraus. Manchmal ist es ein Hutzler-571-Bananenschneider.« Die elementaren Unterschiede zwischen beiden herausgearbeitet zu haben, ist nicht das geringste Verdienst dieses äußerst verdienstvollen Büchleins.

Adrian Daub: Was das Valley denken nennt. Über die Ideologie der Techbranche. A. d. Engl. v. Stephan Gebauer. Suhrkamp, 159 S., br.,16 €.

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