Für Sauberkeit in der Politik

Nach 30 Jahren als Putzfrau im Potsdamer Landtag geht Christine Klinner in Rente.

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Nein, die mit der längsten Parlaments-Vita ist sie nicht. Noch gibt es etwa ein Dutzend Mitarbeiter im brandenburgischen Landtag, die auf eine 30-jährige Tätigkeit zurückblicken können. Aber zu den »Aktivisten der ersten Stunde« kann und muss man Christine Klinner unbedingt zählen. Seit 1991 schwingt sie im Hohen Haus den Besen, um ein geflügeltes Wort für ihren Beruf zu wählen. Sie war dort Reinemachefrau, als der Landtag in den ersten zwei Jahren nach der Wende noch in der heutigen Staatskanzlei tagte. Sie zog mit auf den Brauhausberg, wo 23 Jahre lang die ehemalige SED-Bezirksleitung, der sogenannte Kreml, als Landtagsgebäude diente. Und sie zog auch wieder mit hinab vom Berg, als der Umzug in das neue Landtagsschloss auf dem Potsdamer Alten Markt erfolgte. Ende Januar nun geht die Mutter von zwei längst erwachsenen Söhnen in Rente.

Seitdem die Corona-Pandemie auch im Landtagsgebäude den Gang der Dinge vorgibt, ist sie morgens um 6 Uhr an ihrem Arbeitsplatz - eine halbe bis eine Stunde früher als zuvor. »Das wurde so eingeteilt, damit wir Kollegen uns untereinander so wenig wie möglich persönlich begegnen«, sagt Klinner. Sie putzt, wischt, leert Papierkörbe - was eben so anfällt, um das Parlament sauber zu halten.

Christine Klinner blickt nicht unzufrieden zurück. Ihren Beitrag zur Reinheit der politischen Sphäre jedenfalls hat sie geleistet. Was die jahrelange Begegnung mit Kollegen und Abgeordneten betrifft, sei es natürlich wie überall: Es gebe die und die. Im Allgemeinen habe sich ihre Arbeit der Wertschätzung auch der Parlamentarier erfreut, sagt sie. Das »Danke«, wenn sie nach getaner Arbeit das Büro verließ, war für sie Ausdruck davon. Ebenso, wenn der damalige Parlamentarische Geschäftsführer der PDS-Fraktion, Heinz Vietze, am 8. März, dem Frauentag, die Mitarbeiterinnen des Landtags nicht vergaß und ihnen eine Rose überreichte. Angefangen hatten sie oben auf dem Brauhausberg mit einer Reinigungsbrigade von acht Kolleginnen. Davon ist sie als letzte übrig geblieben. Die Landtagsverwaltung setzt inzwischen stärker auf externe Dienstleister, die arbeiten, wenn Abgeordnete und Mitarbeiter das Haus verlassen haben.

Der Umzug des Parlaments vom Brauhausberg an den Alten Markt ging für die Reinigungskräfte mit sehr viel mehr Arbeit einher, da solle man sich nichts vormachen. Zwar reinigt sich ein neues Haus leichter als der verwinkelte »Kreml«, und es ist für die Kollegen komfortabler mit Fahrstühlen, die die Reinigungswagen über die Etagen bringen. Einen Lift gab es im »Kreml« nicht. Auch ein Lagerraum auf jeder Etage ist ganz praktisch. Aber der Besucheransturm im neuen Gebäude überstieg alles, was man sich im »Kreml« auf dem entrückten Berg überhaupt vorstellen konnte. Zwei Jahre nach Eröffnung zählte das Landtagsschloss mehr Besucher, als das Parlament im alten Domizil in 23 Jahren. Die Landtagsfassade kopiert das Aussehen des alten Potsdamer Stadtschlosses, damit ist der Landtag zur Sehenswürdigkeit geworden. An der Fassade steht für jeden groß und deutlich (wenn auch auf Französisch): »Das ist kein Schloss.« Den Touristen ist das egal, sie stürmen hinein. Und die vielen Besucher machen eben mehr Dreck. Klinner, inzwischen Angestellte des BAM-Konzerns, der das Parlamentsgebäude errichtet hat und seither für das Gebäudemanagement zuständig ist, sagt dazu: »Ganze Busladungen treffen heute hier ein, das gab es früher nicht.«

Das Dasein als Putzfrau ist Klinner nicht an der Wiege gesungen worden. In der DDR hatte sie den Beruf der Gärtnerin erlernt. »Aber nach der Wende haben die Gärtnereien reihenweise dicht gemacht, Holland hat alles beliefert.« Dass die Blumen von dort schön sind, auch länger in der Vase halten, aber nicht mehr duften, ist ihr als erstes aufgefallen. »Wenn ich als Lehrling in das Gewächshaus kam, wie hat das da gut gerochen.« Wie so viele Ostdeutscche verlor sie ihre Arbeit. Sie bewarb sich auf eine Annonce hin als Reinigungskraft im Landtag, als »Seiteneinsteigerin«, wie sie das heute nennt. »Es sollte nur ein Übergang sein.« Eine Lebensstellung ist daraus geworden.

Im Wesentlichen ist sie immer mit gutem Gefühl zur Arbeit gegangen und hat mit diesem Gefühl auch ihre Arbeit erledigt, sagt sie. Der eine Tag, an dem alles anders war, steht ihr aber heute noch vor Augen: Anfang der 1990er Jahre geriet eine Demonstration von Schülern neben dem Landtag völlig außer Kontrolle. Wer die Bilder vom Sturm auf das Washingtoner Capitol vor einigen Tagen gesehen hat, der hat einen Eindruck davon bekommen, was sich nicht nur am Potomac River, sondern auch an der Havel abspielen kann. Die Schüler waren vor das Parlament gezogen, hatten den Zaun umgetreten und waren auf das Gelände vorgedrungen. Steine flogen, Fensterscheiben wurden zertrümmert, überall wurde randaliert und zerstört. »Wir haben zu viert von innen die Tür zugehalten, damit die Schüler nicht auch noch ins Haus kommen und dort weiter Schaden anrichten konnten.« Am nächsten Tag mussten sich die Mitarbeiter erst einmal dicke Spezialhandschuhe besorgen, um die Scherben wegzuräumen, die auf Tischen und Böden verstreut lagen.

Wie die meisten Menschen, die in Rente gehen, blickt auch Klinner auf die kommenden Jahre mit gemischten Gefühlen. »Wir haben im Landtag ein gutes Betriebsklima, das Gespräch, der nette Gruß der Kollegen wird mir fehlen.« Zu einer ehemaligen Kollegin hält sie bis heute freundschaftlichen Kontakt. »Die werde ich als erstes besuchen.« Auch freut sie sich auf das Ausschlafen, was sie zeit ihres Lebens selten konnte. Was ihr da entgangen ist, fiel ihr einmal auf, als in ihrem Wohngebiet kurzzeitig das Wasser abgestellt war. Christine Klinner ging an diesem Morgen in ihren Schrebergarten, um sich dort zu waschen und Kaffee zu kochen. »Und dann saß ich da und hörte die Vögel des Morgens singen. Ich freue mich darauf, dass ich das jetzt öfter haben werde.«

Sobald Reisen wieder möglich ist, möchte sie das tun, sich aber vor allem verstärkt um ihren Garten kümmern. Damit kehrt sie im Ruhestand sozusagen in ihren ursprünglich erlernten Beruf zurück.

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