Oberbürgermeister auf Zeitreise

Film über Fritz Krause - Rathauschef in Frankfurt (Oder) 1965 bis 1990

  • Welf Grombacher
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.

Barbara Keifenheim drehte in Frankfurt (Oder) einen Film über den »volkseigenen Bürgermeister« Fritz Krause. Morgen hat er Premiere.

Der Nabel der Welt ist Frankfurt an der Oder nicht. Aber immerhin der Mittelpunkt Europas. So sieht das Fritz Krause, und der muss es wissen. War er doch 25 Jahre lang SED-Oberbürgermeister der Stadt. Von 1965 bis 1990 prägte er Frankfurt. Bei der Bevölkerung ist er bis heute beliebt. Die Anthropologin Barbara Keifenheim hat nun einen Film über ihn gemacht. Am Sonnabend ist Premiere in der Marienkirche, deren Abriss Krause einst verhindert hat. Der Porträtierte ist Ehrengast. Seit 2002 lebt Barbara Keifenheim an der Oder, wo sie an der Europa-Universität Viadrina den Lehrstuhl für vergleichende Kultur- und Sozialanthropologie inne- hat. Im Amazonasgebiet und in China drehte die Professorin schon. Wie sie ausgerechnet auf den ehemaligen Rathauschef kam? »Ich wohne in einem Plattenbau und in meinem Nachbarhaus wohnt Fritz Krause«, erklärt die im Westen aufgewachsene Frau. »Ich kam mit dem Vorurteil hierher, dass Politiker in der DDR nicht beliebt waren, musste meine Meinung jedoch revidieren.« Das beweist eine Szene aus dem 53-minütigen Dokumentarfilm, in der Keifenheim mit Krause über den Wochenmarkt schlendert. Die Menschen freuen sich, Krause wieder zu sehen. »Du warst 'ne Persönlichkeit und hast Bürgernähe demonstriert«, schwärmt einer. Ein anderer - früher Mitarbeiter im Bereich Volksbildung - bringt es auf den Punkt: »Wir waren der Stadt immer mehr verbunden als der politischen Bewegung. Deshalb können wir uns auch heute noch in der Stadt sehen lassen.« Kein einziger Kritiker sei aufzufinden gewesen, sagt die Filmemacherin, die im Zentrum Passanten befragt hat und nur Gutes über Fritz Krause hörte. Wenn früher Menschen bei Krause um einen Krippenplatz oder einen Trabant baten, sah der Volksvertreter, was man machen konnte. »Der OB hatte da oder dort gute Kumpels und sorgte, wo es möglich war dafür, dass der Trabant in der nächsten Woche geliefert wurde«, berichtet Krause. Mit der Kamera begleitet die westdeutsche Professorin den ostdeutschen Politiker, begibt sich auf Spurensuche und führt Krause an Orte seiner Vergangenheit. Mit einer dicken Zigarre im Mund sitzen er und sein Bruder (im Trägerunterhemd) vor dem Kaninchenstall und erinnern sich an den Vater, der als Sozialdemokrat gegen die Faschisten gekämpft hatte. Oder daran, wie der zehnjährige Fritz auf dem Reißbrett das Haus der Eltern umgestaltete, fast so, wie später als Bürgermeister das im Krieg zerstörte Frankfurt. Krause sorgte dafür, dass das neue Zentrum dort entstand, wo das alte war, und nicht an der Peripherie. Bei seiner Amtseinführung habe der erste Sekretär der SED-Bezirksleitung ihn bei der Schulter genommen und auf die Marienkirche gedeutet. »Als erstes kommt das Ding weg«, habe der Mann gesagt, so Krause. Aber er habe gewusst: »Um Bürgermeister zu bleiben, kann ich das Ding nicht wegnehmen.« Krause schloss einen Pachtvertrag mit der Kirche auf 99 Jahre und machte das Gotteshaus zu einem »Raum, der allen Bürgern nutzt, so wie das ursprünglich angedacht war«. Bis 1990 wurden acht Millionen DDR-Mark in die Marienkirche investiert. Für die Menschen viel wichtiger aber waren die Wohnungen. 1965 hatte Frankfurt gerade einmal 56 000 Einwohner. Erst durch den Ausbau des Halbleiterwerks und die Neubauviertel stieg die Bevölkerungszahl bis 1990 auf 90 000. »Ohne Halbleiterwerk kein Frankfurt«, sagt Krause. Mit dem Produktionsstopp im Werk gingen auch die Leute. Über den folgenden Abriss denkt Krause, das stelle die Lebensleistung von Tausenden in Frage, wenn 13 000 Plattenbauwohnungen verschwinden. »Mein Ansatz war es, die Dinge aus der Innensicht des Betroffenen zu beleuchten und dabei meine Meinung hintenanzustellen«, erklärt Keifenheim. Nur einmal durchbricht die Filmemacherin dieses Konzept. Sie konfrontiert Krause mit der Vita eines Lehrerstudenten, der schwänzte und zur Bewährung in einer Brigade verdonnert wurde. »Auch ich fühle mich dabei manchmal in der Schuld«, gesteht Krause. »Aber wir haben nur versucht, aus den Möglichkeiten, die uns dieser Staat zur Verfügung gestellt hat, das Beste zu machen.« Nicht alle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit seien gleich Verbrecher gewesen. »Auch ich habe mich dieses Apparates bedient. Ich wäre ja ein Lump, wenn ich das bestreiten würde«, erzählt Krause. »Heute sagt man sich, man hätte mit weniger Zögern, mit mehr Mut auftreten sollen. Aber die gesellscha...

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