Athen zieht Grenzen

Griechenland legt westliche Hoheitsgewässer neu fest

  • Elisabeth Heinze, Thessaloniki
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wir machen Griechenland größer«, hatte der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis von der konservativen Nea Dimokratia (ND) im August 2020 verkündet. Er kommentierte so die Ausdehnung der griechischen Hoheitsgewässer von bisher sechs auf zwölf Seemeilen im Ionischen Meer. Sie stehen dem Land gemäß der UN-Seerechtskonvention (UNCLOS) zu, der die EU bereits 1982 gemeinschaftlich beitrat. Ein im vergangenen Juni mit Italien geschlossenes Seerechtsübereinkommen ebnete den Weg; am Dienstag soll das Gesetz über die Hoheitsgewässer, parteiübergreifend befürwortet (abgesehen von der kommunistischen Partei KKE), vom Parlament in Athen beschlossen werden. Vorausgegangen sind recht aufgeregte Debatten grundsätzlicher und tagespolitischer Natur unter den Abgeordneten.

»Die rhetorische Behauptung, dass sich Griechenland angeblich vergrößert, stimmt nicht und ist in Friedenszeiten problematisch«, findet Sofia Sakorafa (bis 2015 für SYRIZA im Europäischen Parlament) von der linken Oppositionspartei MeRA25. Fast vier Jahrzehnte nach dem Beitritt Griechenlands zur UNCLOS und 25 Jahre nach der Ratifizierung der Konvention durch das Parlament nehme dieses »mit Verspätung ein Recht wahr«. Im Osten würde ein solcher Schritt angesichts der besonderen Bedingungen in der Ägäis allerdings mit den Interessen des Nachbarn Türkei heftig kollidieren. Zusätzlich angeheizt haben den Konflikt im östlichen Mittelmeer die Entdeckung reicher Gasvorkommen.

Im Streit, der sich in den vergangenen Monaten dramatisch zuspitzte, versucht sich Deutschland in einer Mittlerrolle. Am Montag reiste Bundesaußenminister Heiko Maas zu Gesprächen mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu nach Ankara, um den bilateralen Dialog zwischen der Türkei und Griechenland zu befördern. Cavusoglu wollte er »ermutigen, den konstruktiven Kurs der letzten Wochen entschlossen fortzusetzen und zu verstetigen.« Die Obfrau der Partei die Linke im Auswärtigen Ausschuss Bundestages, Sevim Dagdelen, fordert von der Bundesregierung neben Worten auch Taten. Als Friedensstifter im Konflikt der Türkei mit Griechenland und Zypern sei sie »nur glaubwürdig, wenn sie die Aufrüstung der türkischen Kriegsmaschinerie beendet.« Ein Waffenmoratorium sollte der »erste Schritt zu einem vollständigen Stopp der Rüstungsexporte an Erdoğan sein, der anhaltend Völkerrecht bricht.«, rückt die Politikerin die expansive Politik des türkischen Präsidenten in den Blick.

Beide Küstenstaaten beanspruchen sich überschneidende Seezonen und souveräne Rechte auf wirtschaftliche Ausbeutung der dortigen Ressourcen. Theoretisch stehen Griechenland mit seinen zig Tausend Inseln, auch unmittelbar vor der türkischen Küste, ebenso viele Ausschließliche Wirtschaftszonen (AWZ) zu.

Der Territorialstreit zwischen den beiden Anrainern des Ägäischen Meeres und auch zwischen der Türkei und Zypern hat bereits eine lange Geschichte. Im vergangenen Jahr erreichte der Konflikt einen neuen vorläufigen Höhepunkt. Auslöser war ein Ende November 2019 einseitig von der Türkei mit Libyen geschlossenes, aber unhaltbares Seerechtsabkommen über das östliche Mittelmeer. Im Sommer 2020 sorgte eine Forschungsexkursion nach Erdgasvorkommen unter Beteiligung der türkischen Flotte in einem Seegebiet um griechische Inseln für internationale Proteste.

In der vergangenen Woche überraschte die Türkei Griechenland nun mit einer Einladung zu einer Wiederaufnahme des abgerissenen Dialogs. Am 25. Januar soll in Istanbul die mittlerweile 61. Runde der Sondierungsgespräche beginnen. Die Parlamentsdebatte um die Ausdehnung der Grenzen im Ionischen Meer hatte einen starken Bezug zu den griechisch-türkischen Angelegenheiten. Der Politiker der konservativen Regierungspartei ND Tasos Chatzivasileiou erhofft sich von der Erweiterung des Seebereichs im Westen eine Vorbildwirkung für die Verhandlungen mit der Türkei. Dass es nicht bei politischer Rhetorik bleibt, belegt der zweiten Paragraf der »ionischen« Gesetzesvorlage, der auf einen mögliche Übertragung auf andere Gebiete abzielt: durchaus ein Signal gen Türkei.

Bisher hat Griechenland, darauf verzichtet, sein Recht auf die Ausweitung seiner Küstenzone nach UNCLOS zu verwirklichen. Die Türkei, die dem UN-Seerechtsabkommen nicht beigetreten ist, hat eine Inanspruchnahme durch Griechenland in der Casus-Belli-Erklärung vom Juni 1995 zum Kriegsgrund erklärt. Als 2016 der damalige Außenminister der linken SYRIZA-Regierung, Nikos Kotzias, eine Erweiterung auf die 12-Meilen-Zone vorschlug, konnte er sich damit nicht durchsetzen und wurde als »Provokateur« gescholten.

Die aktuelle Regierung will »mit Selbstbewusstsein und starken rechtlichen Waffen in die Sondierungsgespräche« gehen, betont ND-Politiker Chatzivasileiou. Schließlich bewege sie sich im Rahmen des Völkerrechts. Letztlich obliege es dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag, über Ausschließliche Wirtschaftszonen zu entscheiden, wenn sich Ansprüche auf das Gebiet überlappen. Ein Beispiel dafür ist das nur drei Kilometer vom türkischen Festland entfernte Inselchen Kastellorizo. Offiziell befürwortet Athen den Gang nach Den Haag, auch wenn ein solcher nicht immer zu Gunsten von Griechenland ausgehen dürfte. Im Vorfeld der nun anstehenden Sondierungsgespräche meldete die Türkei mehrere Punkte an, die auch noch auf die Agenda sollen, während Griechenland einzig und allein über die AWZ und den Festlandsockel sprechen möchte. Athen fürchtet, dass sich die Gespräche an Themen wie der Infragestellung des Vertrags von Lausanne, der seit 1923 den Grenzverlauf regelt, festfahren.

In Griechenland wird gefragt, woher bei Recep Tayyip Erdoğan der plötzliche Sinneswandel kommt. Die einen machen internen Druck angesichts der schlechten Wirtschaftslage in der Türkei dafür verantwortlich. Andere glauben, dass die Strategie der Annäherung nur bis zum EU-Gipfel im März halten wird. Dort sollte ursprünglich über gemeinsame Schritte gegen Ankara beraten werden. Im Zusammenhang mit türkischen Attacken auf die zypriotische AWZ verhängte Sanktionen kamen bislang nicht zur Anwendung. Laut einer aktuellen Umfrage glaubt fast die Hälfte der Griechen nicht daran, dass die EU die Interessen ihres Landes im Konflikt mit der Türkei wirklich schützen wird. Athen verfolgte bisher stets den Kurs, der Türkei nicht den kleinen Finger zu reichen, meint der griechische Jurist Christos Rozakis. Es müsse davon loskommen, genau wie der Konterpart nur Maximalforderungen zu stellen. Trotz des vergifteten Klimas, seien Gespräche der bessere Weg. Nach deren Ausgang gefragt, greift der griechische Außenminister Nikos Dendias zur Fußballsprache: »Vorhersagen gibt es am Ende des Spiels.«

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