Auf Blut gebaut

Der indonesische Massenmord, die Geopolitik und das Gedächtnis des Westens

  • Niklas Franzen
  • Lesedauer: 7 Min.

Mit seinen schneeweißen Stränden, dem türkisblauen Ozean und von Palmen gesäumten Dörfchen gilt die Küste Balis als paradiesisches Ferienziel. Was bis heute wohl die allerwenigsten wissen, die sich hier Cocktail schlürfend auf Strandliegen räkeln: Die Insel im Osten Indonesiens war Schauplatz eines der brutalsten Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Zwischen 1965 und 1966 wurden im Land etwa eine Million Menschen umgebracht, häufig mit Beilen und Knüppeln. Der von der US-Regierung unterstützte antikommunistische Massenmord findet heute wenig Beachtung - weil er so »erfolgreich« war. Denn die geplante Vernichtung unbewaffneter Linker sollte weitere Putsche und Massaker rund um die Erde inspirieren und Washington so einem Triumph im Kalten Krieg entscheidend näher bringen. In seinem großartigen, bisher nur auf Englisch erschienenem Buch »The Jakarta Method« zeichnet der US-amerikanische Journalist Vincent Bevins dieses fast vergessene Kapitel nach.

Die drittgrößte KP der Welt

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Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

In den 1950er Jahren war die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) eine wichtige Kraft in dem südostasiatischen Inselstaat, in dem der antikoloniale Reformer Sukarno seit der Unabhängigkeit 1945 Präsident war. Die PKI hatte ein pragmatisches Verhältnis zu dessen Regierung. Einerseits unterstütze sie viele Initiativen des »linksgerichteten Dritte Welt-Nationalisten«, andererseits verfolgte sie eine eigenständige Politik. Die Partei wuchs Ende der 1950er Jahre rasant an, weil sie viele Verbesserungen für die arme Landbevölkerung erkämpfen konnte, straff organisiert war und als wenig korrupt galt. 1965 hatte die Partei mehr als drei Millionen Mitglieder und war damit die drittgrößte kommunistische Partei nach ihren Pendants in der UdSSR und China.

Die PKI, aber auch der Linksnationalist Sukarno, waren für die USA eine Provokation. Seit dem Zweiten Weltkrieg setzte Washingtons Außenpolitik zunehmend auf einen aggressiven Interventionismus. In Guatemala und Iran orchestrierte die CIA Staatsstreiche - und nahm selbst in europäischen Staaten wie Italien und Frankreich Einfluss, um die populären kommunistischen Parteien zurückzudrängen. Indonesien aber spielte eine ganz besondere Rolle: Das viertgrößte Land des Welt durfte nicht in linken Händen bleiben. Ein Plan musste her.

1958 scheiterte ein erster, von der CIA unterstützter Putschversuch. Danach kam es zu einem Strategiewechsel: Die USA unterstützten den Aufbau einer antikommunistischen Front im Militär. In Medien kolportierte Verschwörungserzählungen erzielten ihre Wirkung: Binnen kurzer Zeit flammte ein für das Land völlig neuer, fanatischer Antikommunismus auf.

1965 wurde die PKI verboten, Präsident Sukarno faktisch entmachtet und 1966 der General Suharto eingesetzt, der als US-amerikanischer Vasall gelten muss. Im Oktober 1965 begannen die Massentötungen. Hunderttausende, unbewaffnete Menschen waren plötzlich vogelfrei. Ihr »Verbrechen«: Vermeintliche oder tatsächliche Mitgliedschaft in oder Unterstützung der PKI. Rund eine Million unschuldige Menschen wurden innerhalb von sechs Monaten ermordet, Millionen weitere in Konzentrationslager interniert, gefoltert und zu Zwangsarbeit verdammt. Ausgeführt wurden die Massaker von verschiedenen Gruppierungen - islamische Milizen, Paramilitärs - unter den Augen der untätigen, oft auch aktiv beteiligten offiziellen Sicherheitsorgane. Das Morden gewann eine solche Dynamik, dass auch ganz normale Menschen mitmachten. Die USA sahen dabei nicht nur wohlwollend zu. Die CIA versorgte die indonesischen Dienste mit Listen Verdächtigter, half bei der Waffenbeschaffung und stellte Kommunikationsmittel zur Verfügung.

Jakarta war fast überall

Die Ereignisse in Indonesien nennt Bevins einen »Tsumani, der jeden Winkel der Erde erreichte«: Auch in anderen Regionen wurden linke und progressive Regierungen mit Hilfe der CIA gestürzt und an ihrer statt rechte Generäle eingesetzt. Neben Indonesien spielte dabei vor allem Brasilien eine wichtige Rolle für Washington. Mit Hilfe der USA putschte dort 1964 das Militär den Linksnationalisten João Goulart aus dem Amt. Die antikommunistische Legende, die als Rechtfertigung diente, ähnelt den Geschichten, die nur ein Jahr später in Indonesien in die Welt gesetzt werden sollten. Nach dem jeweiligen Umsturz standen beide Länder in engen Beziehungen; brasilianische und indonesische Offiziere wurden gemeinsam in US-Stützpunkten ausgebildet. Die brasilianische Junta sprach intern ausdrücklich von einer »Operation Jakarta«, von einer physischen Vernichtung des Kommunismus im Land. Dass das in Brasilien letztlich nicht mit der gleichen Vehemenz wie Indonesien umgesetzt wurde, ist auf interne Richtungsstreits zurückzuführen.

Für die USA waren Indonesien und Brasilien wegen ihrer Größe und geostrategischen Lage die wichtigsten Brückenköpfe einer antikommunistischen Allianz in der »Dritten Welt«. Doch auch anderswo wurde bald erwogen, was Bevins die »Jakarta-Methode« nennt. Zwar gab es nicht den einen zentralen Plan, aber rechte Diktaturen von Südkorea bis Sudan arbeiteten eng zusammen, lernten voneinander - und bezogen sich immer wieder auf das Grauen in Indonesien. Durch seine jahrelangen Recherchen gelingt Bevins, der unter anderem lange als Brasilien-Korrespondent der »Los Angeles Times« gearbeitet hat, der Nachweis, dass es in mindestens 22 Ländern Pläne für regelrechte antikommunistische Vernichtungsprogramme unter der Ägide Washingtons gab - und man in mindestens elf dieser Pläne direkt auf das indonesische Blutbad Bezug nahm.

Insbesondere in Lateinamerika wurden mit Hilfe der USA Zehntausende Linke, Reformkräfte und Indigene verfolgt, ermordet und ins Exil getrieben. Als ideologische Klammer diente auch hier ein fanatischer Antikommunismus. 1966 wurde nach Bevins Recherchen die Taktik des heute sprichwörtlichen »Verschwindenlassens« von Indonesien aus nach Guatemala importiert, wo sie eine wichtige Rolle im Staatsterror spielte. In Chile sprühten rechtsradikale Terrorgruppen als Drohung das Wort »Jakarta« an Häuser, in denen Linke lebten. Auch dort nannte das Regime seinen Plan zur systematischen Ermordung der Gefolgschaft des 1973 weggeputschten Salvador Allende intern »Operation Jakarta« - wie auch Generäle der argentinischen Putschregierung nach 1976 in dem Massenmord in Südostasien ein Vorbild erblickten.

Allende, Goulart oder Sukarno waren populäre Reformer, die auf demokratischen Wege Veränderungen umzusetzen suchten. Auch die PKI in Indonesien stand nicht davor, gewaltsam die Macht an sich zu reißen, sondern war für die USA bedrohlich, weil sie beliebt, gut organisiert und einflussreich war. Der damalige Vizepräsident Richard Nixon gab einmal ganz unverhohlen zu, in Indonesien seien demokratische Verfahren abzulehnen, weil »die Kommunisten in einer Wahl wahrscheinlich nicht geschlagen werden können«.

Diese Staatsstreiche trafen ihre Opfer meist unvermittelt und unvorbereitet. Und sie hatten verheerende Folgen: Für viele waren sie der schlagende Beweis, dass unbewaffnete, demokratische Politiken unter US-Hegemonie zum Scheitern verurteilt seien. Viele Linke griffen zu den Waffen, um ein »zweites Jakarta« zu verhindern. Die neu entstandenen Guerillabewegungen heizten den rechten Staatsterror weiter an.

Das eurozentrische Gewissen

Die brutalen Staatsstreiche und Massenmorde im Globalen Süden setzten aber auch die Parameter der aktuellen globalen Weltordnung. Sie froren vielerorts die soziale Entwicklung ein, verschafften den USA gegenüber der UdSSR geostrategische Vorteile und zementierten kapitalistische Verhältnisse. Die vom brasilianischen Reformer Goulart angestrebte Landreform wurde mit dem Putsch abrupt auf Eis gelegt - und bis heute nicht umgesetzt. Mit Jair Bolsonaro wird das größte Land Lateinamerikas heute von einem notorischen Antikommunisten und Ex-Militär regiert, der die Folterknechte der Diktatur als Vorbilder nennt und ganz offen die Hinrichtung von Linken fordert. Mit dem Putsch in Chile wurden alle Hoffnungen auf eine Verringerung der exzessiven Ungleichheit begraben und das Land als eine Art Labor des globalen Neoliberalismus auf einen marktradikalen Kurs getrimmt. Die Verwerfungen dieses Modells führen bis heute regelmäßig zu Massenprotesten.

In Indonesien, dem Schauplatz des brutalsten dieser Massaker, siedelten sich nach dem Sturz Sukarnos Hunderte US-Firmen an. Nur wenige Tage nach dem Putsch drang etwa die Bergbaufirma Freeport in den Dschungel Westneuguineas vor. Heute steht dort mit der Grasberg-Mine das größte Goldbergwerk der Welt. Und der Antikommunismus ist seit jenen dunklen Tagen zwischen 1965 und 1966 Staatsdoktrin, fast schon eine nationale Religion. Eine Aufarbeitung des Massakers hat nicht stattgefunden. Die Opfer und ihre Familien wurden weder rehabilitiert noch entschädigt. Eine Entschuldigung hat es nie gegeben.

Bevins kommt zu einem schonungslosen Urteil: Unsere westlich-kapitalistische Weltordnung ist auf Blut gebaut. Und der Umstand, dass im Westen kaum jemand von dieser Blutspur berührt ist, während jeder runde Jahrestag der fast gleichzeitigen Niederschlagung des Prager Frühlings gebührend begangen wird, macht deutlich, wie eurozentrisch das liberale Gewissen tickt.

Vincent Bevins: The Jakarta Method. Washington’s Anticommunist Crusade and the Mass Murder Program that Shaped Our World. Public Affairs, 285 S., geb., 19,90 US-Dollar plus Versand.

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