Zappenduster im Kleingewerbe

Industrie- und Handelskammer Berlin stellt Konjunkturbericht vor und fordert Öffnungsperspektive

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 4 Min.

So große Unterschiede zwischen Wirtschaftsbranchen hat Jan Eder in seiner Laufbahn noch nicht gesehen. »Die Krise hat wenige Gewinner, aber viele Verlierer«, sagt der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Berlin (IHK) am Montag bei der Vorstellung des Konjunkturberichts. Die Kammern in Berlin und Brandenburg befragen für ihre Einschätzungen der wirtschaftlichen Lage dreimal im Jahr - zum Jahresbeginn, im Frühsommer und Herbst - die Unternehmen. Aus den Daten wird ein sogenannter Konjunkturklimaindex generiert: Demnach liegt der Mittelwert derzeit bei 106 Punkten, neutral wäre ein Wert von 100.

»Die kurze Erholung, die wir nach dem Sommer 2020 gesehen haben, hat sich nicht fortgesetzt«, sagt Eder. Insgesamt stagniert die Wirtschaft in der Region Berlin und Brandenburg. Auffällig ist, dass die großen Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten offensichtlich deutlich besser durch die Coronakrise kommen als die kleinen und mittleren Unternehmen, die weniger als 50 Beschäftigte haben. »Zu den Verlierern zählen vor allem kleine Unternehmen über nahezu alle Branchen hinweg«, erklärt Eder. Diese Unternehmen haben weder die finanziellen Mittel noch die personellen Ressourcen, um ihre Geschäftsmodelle rasch in einem Maße umzustellen, wie es in dieser Krise notwendig wäre, so der IHK-Hauptgeschäftsführer. Da die kleinen und mittleren Unternehmen jedoch das ökonomische Rückgrat in der Region bilden, wirken sich deren Probleme besonders stark aus. »Im Handel, beim Tourismus und bei der Kultur sieht es zappenduster aus«, betont Eder. Rückgänge wie beim stationären Umsatz beim Einzelhandel von 58 Prozent in Berlin wegen der Lockdown-bedingten Schließungen stehen nur geringere Zuwächse von 41 Prozent beim Onlinehandel gegenüber. Erste Schließungen von Geschäften deuten daraufhin, dass eine »massive Verödung« der Innenstädte drohen könnte. Auch im Gastgewerbe, das ebenfalls von den pandemiebedingten Schließungen betroffen ist, zeigen die Zahlen, dass es eigentlich keine großen Geschäftstätigkeiten gibt. Aktuell verhindern die Aussetzung des Insolvenzrechts und die Kurzarbeit noch deutlichere Auswirkungen der Coronakrise. Insgesamt acht Prozent der Unternehmen sind nach Angaben der Industrie- und Handelskammer »akut insolvenzbedroht«.

Da Wirtschaft auch immer ein bisschen Psychologie ist, fordern die Unternehmensvertreter von der Politik eine Perspektive. »Die Regierungen müssen der Öffentlichkeit darlegen, wie sie sich das vorstellen«, fordert Eder. In den Branchenverbänden finden solche Vorarbeiten zwar statt, aber es müsse »Schritt für Schritt« deutlich werden, mit welchen Konzepten die Öffnung erfolgen könne. Flankiert werden soll das Planszenario für die Öffnungen von weiteren staatlichen Wirtschaftshilfen. Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen haben anders als die großen Firmen keine Unterstützung von Expertinnen und Experten, die ihnen bei der Beantragung von Subventionen helfen.

»Gerade junge Start-ups oder auch Betriebe, die 2019 hohe Investitionsausgaben hatten, erfüllen die Anspruchskriterien der Bundesprogramme entweder nicht oder nur teilweise«, kritisiert Eder. Hier könne ein Landesprogramm zu Gewerbemietzuschüssen und Hilfen bei Investitionsausgaben für Hygienemaßnahmen Abhilfe schaffen, so der Hauptgeschäftsführer der IHK. Eder: »Das Land darf seine kleinen Unternehmen, die den Kern der Berliner Wirtschaft ausmachen, im Kampf ums Überleben nicht im Stich lassen.«

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte zuletzt im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses zugesagt, dass sie auf die Banken zugehen wolle, um »Überbrückung für die Überbrückungshilfe« zu organisieren. Die Hausbanken Berlins sollen den bedrohten Firmen Kredite ermöglichen, derer es angesichts der schleppenden Auszahlung durch den Bund dringend bedarf. Ziel sei es, so Pop, die Zeit zu überbrücken, bevor die eigentlichen Hilfszahlungen vom Bund kommen. Am Montag erklärte Pop auf nd-Nachfrage: »Wir sehen die Not der betroffenen Branchen. Mit Branchenvertreter*innen sind wir bereits im Gespräch, wie und unter welchen Bedingungen Öffnungsschritte erfolgen können, wenn die Pandemielage es zulässt.« In den vergangenen Wochen hatte der Senat stets öffentlich erklärt, dass es angesichts des weiterhin hohen Infektionsgeschehens und der Ausbreitung von Mutationen des SARS-CoV-2-Virus noch zu früh sei, um die getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu lockern.

Doch selbst wenn die Wirtschaft in einigen Branchen angesichts des aktuellen Rückgangs des Infektionsgeschehens wieder anlaufen könnte, zeichnet sich ab, dass der zweite Lockdown massive Folgen auf die Beschäftigtenzahlen haben dürfte. Bereits jetzt liegt die Arbeitslosigkeit in Berlin wieder über zehn Prozent. Lediglich im Dienstleistungsbereich wurde zuletzt Personal eingestellt. »Alle anderen Branchen gaben an, Stellen zu streichen«, sagt Gundolf Schülke, Hauptgeschäftsführer der IHK Ostbrandenburg. Dass die Coronakrise nicht noch stärker auf den Arbeitsmarkt in der Region durchschlägt, hängt insbesondere mit der Kurzarbeiterregelung zusammen, die noch mindestens bis zum Ende dieses Jahres gilt. Ein Hoffnungsschimmer ist in der Metropolregion die Ansiedlung von Tesla. Der Konzern aus den USA will bis Mitte des Jahres 4500 Jobs in seiner neuen Fabrik schaffen, davon könnte die ganze Region profitieren.

Dass die IHK-Prognose noch zu positiv sein könnte, meint unterdessen der wirtschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Harald Gindra. »Insbesondere in manchen Bereichen: Handel, Gastgewerbe und Veranstaltung-, Kongressgewerbe sowie Messe-Ausstatter und Organisatoren ist eine Insolvenzwelle zu erwarten«, sagt Gindra zu »nd«. Große Filialgeschäftsketten kündigten bereits umfangreiche Schließungen an, so der Wirtschaftsexperte der Linksfraktion.

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