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Augen rechts oder: Wie viel Bühne verdienen Nazis?
Das ZDF strahlt vier neue Filme zum Thema Rechtsextremismus aus
Was das Fernsehen dem Publikum zur Hauptsendezeit aufbürdet und was nicht, hat nur teils mit dem Gezeigten zu tun; mindestens ebenso bedeutsam ist dessen Kontext. Eine Handvoll »Tatorte« zum Beispiel, die das Erste bereits ins Spätprogramm verschoben hat, galten weniger wegen ihrer Brutalität als unzumutbar; sie waren schlicht zu real, um nur fiktional zu sein. Selbst Zombiegemetzel wie »Fluch der Karibik« landen daher in der Primetime, während das Fußballfandrama »66/67« eine allzu explizite Prügelei unter Hooligans den Anstoß um 20.15 Uhr kostete. Kein Wunder, dass »Kriegerin« erst um Mitternacht im Zweiten läuft.
Der Debütfilm des Gelsenkirchener Regisseurs David Wnendt um die gewalttätige Neofaschistin Marisa zeigt den täglichen Terror ostdeutscher Nazis schließlich in einer so glaubhaften Rigorosität, als seien die Zuschauer persönlich Objekte ihrer »national befreiten Zone«. Ob man der irritierend authentischen Alina Levshin dabei zusehen möchte, wie sie mit Hakenkreuztattoo Ausländer verprügelt, war allerdings nicht nur bei der TV-Premiere 2013 umstritten; auch als einer von vier Werken zum Themenschwerpunkt »Film ab gegen Rechtsextremismus« stellt sich die Frage: Kann, darf, muss explizit gezeigt werden, was Demokratien aller Herrenrassen Länder zurzeit von reaktionärer Seite bedroht?
Das ZDF gibt heute, beginnend 20 Minuten nach Mitternacht, eine angenehm diskutable Antwort: durchaus, sofern man es in seiner ganzen Bandbreite tut.
Den Auftakt macht Burhan Qurbanis beunruhigendes Schwarz-Weiß-Drama »Wir sind jung, wir sind stark«, mit dem er 2014 die rassistischen Pogromversuche von Rostock-Lichtenhagen 22 Jahre zuvor fiktionalisiert. Kommenden Montag dann folgt Armin Völckers Politgroteske »Leroy« um einen Deutschen dunkler Hautfarbe, in den sich die blonde Eva aus völkischem Haushalt verliebt. Und bevor David Wnendts halbdokumentarische »Kriegerin« am 1. März den Reihenabschluss bildet, geht die furchtlose Journalistin Mo Asumang auf Spurensuche nach »Ariern« in aller Welt.
Unterschiedlicher könnte die Auswahl also kaum sein. Denn während Qurbanis Nach-wende-Nazis erschreckend echt sind, ohne erschrecken zu wollen, wirkt Völckers kahlköpfige Knallchargen-Sippe, deren Söhne Siegfried heißen und die Sittiche Kaltenbrunner, auf ulkige Art verharmlosend. Und während »Kriegerin« Marisa den Kontakt zur liberalen Mehrheitsgesellschaft längst abgebrochen hat, findet Mo Asumang selbst unterm brennenden Kreuz des US-amerikanischen Ku Klux Klan noch ein paar weiße Systemfeinde, die der schwarzen Reporterin arglos ihren Hass erklären.
Weil der Kampf um Bilder, Symbole, Deutungshoheiten fast sieben Jahre nach dieser beispiellosen Frontrecherche im braunen Sumpf gerade den bizarren Streit um Cancel Culture befeuert, sollte auch angesichts der gut gemeinten ZDF-Filmreihe die Frage erlaubt sein: Sorgt sie wirklich für Erkenntnisgewinne »gegen Rechtsextremismus«? Oder ist es am Ende doch bloß eine Form von Naziporno, dem nationalistischen Mob immer und immer aufs Neue beim Toben beizuwohnen? Darauf ein überzeugtes Ja-nein-vielleicht.
Ob man Demokratiezerstörern durch ständiges Thematisieren das Demokratiezerstören erleichtert, wird schließlich schon so lange diskutiert wie der Extremismus selbst - allerdings meist nur im Elfenbeinturm akademischer Diskurse. Bis ein Provinzpolitiker namens Höcke in Günther Jauchs Talkshow ein Deutschlandfähnchen aus der Jacke zog und Mitte 2015 auf dem Sessel drapierte. Schien die Bundesrepublik nach all den Strohfeuern von der NPD über die Republikaner bis hin zu Ronald Schill gegen neurechte Machtübernahmen gefeit zu sein, saßen sie also plötzlich nicht mehr nur am Rand ostdeutscher Parlamente, sondern zentral im medialen Rampenlicht.
Ob man Rechte zeigen soll, wird seither von einer breiteren Öffentlichkeit, in Literatur, Filmen und Gesprächen mit erregtem Ausrufe- oder Fragezeichen, aber selten bloß sachlichem Punkt versehen. Vier Jahre nach Höckes ARD-Auftritt entschied ZDF-Chefredakteur Peter Frey, Faschisten wie diesem kein Talkshowpodium mehr zu bieten, derweil »Bild«-Boss Julian Reichelt den Massenmördern von Christchurch bis Hanau bereitwillig reich bebildert zur blutgetränkten Publicity verhilft. Während »Spiegel«-Kolumnistin Margarete Stokowski ihre Lesung in einer bayrischen Buchhandlung absagte, weil dort auch Bücher aus Götz Kubitscheks rechtem Antaios-Verlag im Regal stehen, traf sich RBB-Moderatorin Stephanie Teistler zum leichten Sommerplausch mit dem Möchtegern-Himmler Andreas Kalbitz.
Ob man »Mit Rechten reden« soll, wie es Per Leo, Daniel-Pascal Zorn und Maximilian Steinbeis in ihrem gleichnamigen Buch fordern, ist also stets eine Frage des gewünschten Resultats. Die Autoren erhoffen sich vom offenen Dialog argumentative Entzauberung, der Historiker Norbert Frei dagegen sieht genau darin eine Gefahr, »radikalen Rechten intellektuelle Ebenbürtigkeit zuzuerkennen«. Und das sieht die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano im Gespräch mit Mo Asumang ähnlich: »Ich weiß nicht, was du dir von Nazis versprichst?«, fragt sie in der Arier-Recherche irritiert. »Dass du sie umkrempeln kannst?« Da sei Hopfen und Malz verloren. »Wenn ich die nur sehe, wird mir schlecht.« Kein Wunder: 1943 hat sie ihnen, also dem Tod direkt ins Auge geblickt. Für alle anderen aber, Unwissende oder Außenstehende, Klischeeverblendete und Vorurteilsgetriebene, eröffnet »Film ab gegen Rechtsextremismus« Perspektiven, die bei der Einordnung helfen, nicht behindern, die lehrreiche, aber auch kathartische Wirkung entfalten.
Warum, zeigt ein Dialog in »Wir sind jung, wir sind stark«. Ob er links oder rechts sei, will eine Punkerin vom perspektivlosen Gelegenheitsnazi Stefan wissen. »Ich bin normal«, antwortet er genervt. »Also rechts«, stellt sie nüchtern fest. Zu erkennen, was das ist: mal albern, meist ernst, sehr präsent und verblüffend vielschichtig - das leisten auch Schwerpunkte wie dieser.
ZDF, ab 0.20 Uhr »Wir sind jung. Wir sind stark«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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