Free Britney. Cancel Manson.

Wir haben lange, viel zu lange in einer Welt gelebt, in der Pop-Musikerinnen belächelt und Macker gefeiert werden, findet Nadia Shehadeh

  • Nadia Shehadeh
  • Lesedauer: 6 Min.

Zwei Musik-Legenden hielten in diesen ersten Februar-Tagen die sozialen Netzwerke und die internationale Presse auf Trab: Der eine als mutmaßlicher Gewalttäter (Marilyn Manson), den mehrere Frauen beschuldigen, die andere als Opfer der Musikindustrie und ihres privaten Umfelds (Britney Spears). Dass beide Themen nun zeitgleich hochkochen ist natürlich Zufall, aber trotzdem verweist das Ganze auf eine unangenehme pop-historische Komponente: Nämlich die, dass ab Ende der 90er und zu Beginn der Nullerjahre Musiker wie Manson übertrieben hofiert, bewundert und von der professionellen Rezeption als musikalische Genies geadelt wurden, während junge Künstlerinnen wie Spears nicht nur verkannt und verachtet, sondern systematisch kaputt gemacht wurden.

Auf der einen Seite stehen schlimme, größtenteils sexualisierte Gewalt-Erfahrungen, die Ex-Partnerinnen (allen voran Schauspielerin Evan Rachel Wood), ehemalige Kolleg*innen und Fans von Manson vor allem in den Sozialen Netzwerken publik machten. Auf der anderen Seite stieß die Dokumentation »Framing Britney«, die vor allem die gesetzliche Vormundschaft, der die Sängerin seit nunmehr 13 Jahren unterliegt, eine erneute Spears-Debatte los, in der auch die Musik-Industrie nicht gut wegkommt. Zu beiden Geschichten gab es Vorboten. Zum einen den Hashtag #freebritney, der bereits letzten Sommer und in den Jahren davor immer mal wieder kurzzeitig im Internet hochkochte. Im Fall Manson wiederum gab es den Sänger selbst, der eigentlich schon seit 25 Jahren freimütig erzählt, wer er ist und was er tut – der aber stets auf eine großzügige Kultur des Wegsehens und des Täterschutzes zählen konnte.

Nadia Shehadeh
Nadia Shehadeh ist Soziologin und Autorin, wohnt in Bielefeld und lebt für Live-Musik, Pop-Absurditäten und Deko-Ramsch. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des "Missy Magazine". Außerdem seit vielen Jahren Mitbetreiberin des Blogs Mädchenmannschaft. Für "nd" schreibt sie die monatliche Kolumne "Pop-Richtfest".

Ich mochte Marilyn Manson noch nie. Und ich liebe Britney Spears seit sie vor über 20 Jahren auf der Bildfläche erschienen ist. Und trotzdem – auch ich fuhr im Fahrwasser der Überbewertung Mansons und der Verniedlichung von Spears, die auch eine Diskreditierung all ihrer musikalischen Leistungen beherbergt, immer gut mit. Wie zum Teufel konnte das passieren?

Es war 2017, als ich dachte, dass ich der nicht vorhandenen Beziehung von mir und Manson vielleicht doch eine Chance geben sollte. In Wacken war er als Headliner gebucht, und nur seinetwegen watete ich an einem dunklen Abend kilometerweit durch den berühmten Holy-Ground-Matsch, um einen Live-Eindruck zu ergattern. Den bekam ich noch während ich mich durch den unwegsamen Schlamm vorwärts quälte: Wacken-Gänger*innen strömten mir von der Manson-Bühne kommend in Massen entgegen, zu hunderten, entsetzt, wütend, kopfschüttelnd, murmelnd (»Frechheit.« »Geht gar nicht.« »Arschloch.«). Ich ahnte schon was mich erwartete – und lag gar nicht mal so falsch. Mansons Bühnenperformance erschöpfte sich im Beschimpfen des Publikums und lustlos gelallten Songs, die von fünfminütigen Unterbrechungen begleitet wurden. Ich gab mir das Spektakel ein paar Minuten, dann verließ ich genervt den Ort des Geschehens. Aber auch ich lag falsch, was Mansons Bühnen-Persona betraf. Meine Wackener Cancel Culture bezog sich allein darauf, was ich meinte auf der Stage beobachtet zu haben: Einen abgehalfterten und schlecht gelaunten Rock-Star, wahrscheinlich zugedröhnt, das Verfallsdatum weit überschritten.

Dass Manson genau das Arschloch war und ist, dass er an diesem Wackener Abend auf der Bühne gab – darauf kam auch ich nicht so recht. Dafür hatte auch ich in der Musikpresse jahrelang zu viel vom »eigentlich sensiblen«, »eigentlich schüchternen« und »hochbegabten« Manson gelesen - so viel, dass ich auch die ein oder andere Trivia abgespeichert hatte: Manson, der nerdige Lunch-Boxen-Sammler. Manson, der ehemalige Musik-Journalist. Manson, der ganz normale MENSCH hinter der Kunstfigur halt.

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2018 wiederum war ich auf einem Live-Gig, der zwar ungleich mehr Spaß machte als die ätzende Manson-Nummer von 2017, den ich aber ebenfalls falsch bewertete. Die Rede ist vom »Konzert« von Britney Spears im Sparkassenpark Gelsenkirchen - ein Ereignis, dass meine Begleiterinnen und mich nachhaltig verwirrte. Lange Zeit deutete ich dieses Event fälschlicherweise als »charmant-skurrile« und »irgendwie lustige« Erfahrung, und nicht als das, was es eigentlich war: Ein äußerst trauriges Pop-Zeitzeugnis und ein unwürdiger Empfang von Spears. Dabei, und das weiß ich heute, war so vieles an diesem Event einfach nur trostlos: Die schäbige Sportplatz- und Wurstbuden-Ästhetik der Arena, der Sachverhalt, dass Spears nur Playback sang und auch nur einmal kurz zum Publikum sprach, das eklige Wetter, die unwürdige Pre-Show.

»Hauptsache, sie tanzt gut«, war das dankbare Mantra der Fans – auch meines. Peinliche Schützenfest-Ästhetik – das war das, was Britney verdiente. Das war auch das, was wir, ihre treuen Fans, nach immerhin 20 Jahren Pop-Geschichte verdienten. Und das Schlimme ist: Das glaubten wir wirklich. Internalisierter Sexismus hatte uns zielgenau in diesen Irrglauben hineingeführt.

Dabei sollte die Geschichte eigentlich ganz anders gehen. Ende der 90er tauchten einige Sängerinnen auf, die teilweise nachhaltig die Musik-Welt verändern sollten, wegweisend waren und auch heute noch ordentlich mitmischen – und die trotzdem systematisch als niedliche Retorten-Ware gebrandmarkt wurden, während man Nulpen wie Manson wie Götter verehrte. Britney Spears, Christina Aguilera, Mandy Moore, Jessica Simpson – in misogyner Manier bläute man dem Publikum ein, dass es sich bei allen eigentlich um immer genau denselben Trope »Sängerin« handelte, der entweder was mit dem Disneyclub oder mit jungen, weiblichen Teenie-Fans zu tun hatte – im schlimmsten Fall natürlich mit beidem.

Dass Spears schon immer eine begnadete Songwriterin war, seit ihrer Kindheit Klavier spielte und ihre Bühnenpersona schon als Teenie wegweisend mitentwickelte, wurde dabei streng ignoriert. Moore feiert heute mit der populären Serie »This Is Us« phänomenale Schauspiel-Erfolge und singt (nach jahrelanger Pause, verursacht auch durch ihren ebenfalls als Belästiger enttarnten Ex-Mann Ryan Adams) mittlerweile wieder. Aguilera konnte wie durch ein Wunder lange genug durchgängig ohne Schaden zu nehmen im Business bestehen, um sich einfach selbst in den Pop-Olymp zu heben. Und die mehrere Oktaven starke Simpson ist mittlerweile Inhaberin eines Mode-Imperiums - und veröffentlichte letztes Jahr ihre viel beachtete Biographie (»Open Book«), in der sie schildert, wie sie fast kaputt ging an den widersinnigen Erwartungen der Musikbranche.

Eine junge Frau sein und dann auch noch Pop-Musik machen bot immer schon viel Raum für unfassbare Verachtung und Hass - in einer Welt, in der man zwar Millionen Platten damit verkaufen und von Labels gut ausgenommen werden konnte, aber dafür immer noch verachtet, gehasst und in der professionellen Rezeption kleingemacht werden konnte. Wir haben lange, viel zu lange in einer Welt gelebt, in der jahrelang zeitgleich die fürchterliche mediale Thematisierung der »Jungfräulichkeit«™ von »Pop-Prinzessin«™ Spears neben einer Macker-Show wie der von Manson, der ständig davon schwadronierte, wie er Frauen quälen, verletzen und angreifen könnte, existieren konnte. Und in einer Welt, die einigermaßen gerecht wäre, würde Britney Spears in der Zukunft gewinnen. Und Marilyn Manson für immer von der Bildfläche verschwinden.

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