• Politik
  • Regionalwahlen in Katalonien

»Wir sind Republikaner«

Kataloniens Ex-Außenminister Raül Romeva glaubt an Sieg seiner Partei ERC bei den Regionalwahlen

  • Interview: Ralf Streck
  • Lesedauer: 5 Min.

Am Sonntag muss in Katalonien ein neues Parlament gewählt werden. Ist es möglich, in der schweren Pandemie zu wählen, wie ein Gerichtshof bestimmt hat?
Die Wahlen sind sicher, entsprechende Maßnahmen wurden ergriffen. Aber der Wahlprozess, Debatten, Versammlungen und Treffen waren nur eingeschränkt möglich. Wahrscheinlich ist auch, dass viele Menschen aus Angst nicht wählen gehen, was die Legitimität mindert. Deshalb hatte die große Mehrheit der Parteien entschieden, die Wahlen auf Ende Mai zu verschieben. Aber das hat das Gericht nun abgelehnt.

Welche Ergebnisse erwarten Sie? Ihre ERC strebt an, stärkste Kraft zu werden.
Daran arbeiten wir seit langem. Bei diversen spanischen Parlaments- und Kommunalwahlen wurden wir schon stärkste Kraft. Jetzt erwarten wir, auch diese Wahl zu gewinnen.

Und wenn die ERC nicht gewinnt, also die Wähler nicht mittragen, dass ihre Partei die sozialdemokratische spanische Regierung unter Pedro Sánchez unterstützt?
Dann müssen wir weiter daran arbeiten. Wichtig ist aber, dass die Menschen nun entscheiden können, auf welcher politischen Linie es weitergehen soll. Die Projekte der verschiedenen Parteien liegen auf dem Tisch. Das Projekt, das mehr Stimmen erhält, hat mehr Legitimität. Das ist Demokratie. Wir hoffen, glauben und erwarten, dass es unseres sein wird.

Wäre ein Schwenk der ERC nötig, wenn die Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat) von Carles Puigdemont gewinnt, die sich im Madrider Parlament klar gegen die Sánchez Regierung stellt?
Das weiß ich nicht, und das ziehe ich auch nicht in Erwägung, weil ich davon ausgehe, dass wir gewinnen. Unsere Politik war richtig. Das zeigt sich auch darin, dass wir politische Räume besetzen konnten. Gewinnt eine andere Formation, müssen wir schauen, wie groß die Differenz ist, was passiert ist und darüber reden.

Ist die spanische Minderheitsregierung unter Sánchez damit nicht in einer angenehmen Position? Sie bekam die ERC-Unterstützung vor einem Jahr für die Regierungsbildung, kürzlich für den Haushalt, aber sie hat bisher praktisch kein Versprechen umgesetzt, wie Verhandlungen mit Katalonien zu beginnen.
Wir glauben, dass Politik in den Diensten der Menschen stehen muss. Wir haben nicht die Regierung unterstützt, sondern die Menschen. Wir haben Maßnahmen beschlossen, die wir für notwendig halten, um den Leuten zu helfen. Das muss man nun mit der Sánchez-Regierung tun. Deshalb sind wir Republikaner. Die Unabhängigkeit ist für uns nur ein Werkzeug, um damit zu arbeiten, zu helfen und um zu verhindern, dass die extreme Rechte die Institutionen kontrolliert. Die Unabhängigkeit ist für uns kein Ziel an sich. Wir sind nur umstandsbedingt Unabhängigkeitskämpfer. Permanent sind wir Republikaner mit dem sozialen und politischen Inhalt, der hinter dem Begriff steht. Da sollten wir alle unsere Energien reinstecken.

Aber wird der ERC nicht von einigen vorgeworfen, das Ziel der Unabhängigkeit aufgegeben zu haben?
Bei uns in der Partei höre ich das von niemandem. Das Gegenteil ist der Fall. Angesichts dessen, was wir erlitten haben, was die Mächte im spanischen Staat angerichtet haben, ist die Unabhängigkeit so notwendig wie nie zuvor. Wir brauchen einen eigenen Staat und dessen Werkzeuge, um die Probleme der Menschen zu lösen. Heute sind die, die einst Zweifel an dem Projekt einer Republik Katalonien hatten, auch davon überzeugt.

Wie erleben Sie die Spaltung unter den Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten?
Eine Spaltung in Bezug auf das Ziel der Unabhängigkeit sehe ich nicht. Es gibt eine kontroverse Debatte darüber, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Das ist legitim. Diese Wahlen dienen der Klärung, auf welchem Weg weiter gegangen wird. Es gibt einen Konsens, dass wir eine Republik brauchen, dass der Weg über Verhandlungen geht und wir unsere Ziele über demokratische und friedliche Wege erreichen müssen. Darin gibt es eine große strategische Einheit. Debatten gibt es über die Führerschaft, Zeitrahmen und Rhythmus im Vorgehen. Das ist normal.

Kürzlich gab es internationales Aufsehen, als der russische Außenminister Lawrow den EU-Außenbeauftragten Borrell auf politische Gefangene in Spanien hinwies, die wie Sie wegen der Durchführung eines Referendums inhaftiert sind. Sind Sie ein politischer Gefangener oder ein gefangener Politiker, wie die spanische Außenministerin daraufhin erklärte?
Ich bin ein politischer Gefangener. Das habe ich auch vor Gericht vertreten, da nichts von dem, was ich getan habe, strafbar ist. Wir sitzen nicht für unsere Taten im Gefängnis, sondern für unsere Ziele. Ich kenne auch kein Land, das die Existenz politischer Gefangener zugibt. Die internationale Gemeinschaft sollte verstehen, dass mit unserer Inhaftierung nichts gelöst ist. Der Prozess wird weitergehen. Spanien muss verstehen, dass es mehr als zwei Millionen Menschen nicht zum Schweigen bringen oder einer Gehirnwäsche unterziehen kann. Man wird sich letztlich an einen Verhandlungstisch setzen müssen, wozu wir immer bereit sind.

Wie haben Sie die letzten Jahre im Gefängnis erlebt?
Mit Geduld und Entschlossenheit. Jeder Tag im Gefängnis überzeugt mich mehr davon, dass es notwendig war, das Referendum abzuhalten. Klar, es war nicht ausreichend, das gebe ich zu. Aber damit wurde allen klar, in welchem Staat wir leben. Wenn der Menschen ins Gefängnis steckt, weil sie in einer demokratischen Form die Unabhängigkeit fordern, ist das für jeden Demokraten untragbar.

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