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Rückschritte, die schwer auszugleichen sind

Expertin fordert schnelle Impfpriorisierung für behinderte Menschen und ihre Pflegekräfte

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Sandra Scigalla sieht man die Anstrengungen der vergangenen Monate deutlich an. »Es fehlt einfach alles, was für Abwechslung und Spannung, aber auch für Routine und Sicherheit sorgt und um in Schwung zu bleiben.« Die Leiterin des Wohn- und Förderbereichs einer Einrichtung für Menschen mit Behinderungen in Alt-Treptow spricht am Montagmorgen im Berliner Abgeordnetenhaus bei einer Anhörung zur aktuellen Pandemielage im Gesundheitsausschuss.

Weil es in dem Zusammenhang nicht nur um die Situation in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Impfzentren gehen soll, klärt die Vertreterin der von der Volkssolidarität betriebenen Einrichtung über die Lage der Bewohner*innen auf. Diese Aufgabe bringt Scigalla eingangs sichtlich an den Rand ihrer Fassung. Sie spricht von »großem persönlichen Leid«. Die Alltagssituation unter Pandemiebedingungen wie auch die Schwierigkeiten, eine Ansteckung mit dem Coronavirus zu verhindern, forderten zudem von den Beschäftigten, »ständig über ihre Grenzen zu gehen«. Man könne den meisten der behinderten Menschen in ihrer Einrichtung wegen ihrer kognitiven Probleme beispielsweise nicht erklären, warum sie eine Maske tragen sollen. »Unsere Bewohner und Bewohnerinnen können das nicht einordnen, viele verbinden mit Masken auch den Aufenthalt in Krankenhäusern oder der Psychiatrie, also mit Erfahrungen, die für sie nicht schön oder auch beängstigend sind«, berichtet die Pädagogin. Sie setzten einen Mund-Nasen-Schutz umgehend wieder ab. Tragen die Beschäftigten der Einrichtungen einen solchen, führe das zu Irritationen und Verstimmung bis hin zu Verärgerung und Aggression - »was wiederum die Arbeit für die Beschäftigten schwierig bis gefährlich werden lässt«, so Scigalla.

Die behinderten Menschen seien vor dem Hintergrund der Pandemie von fast allen Aktivitäten abgeschnitten, die sie dringend benötigten: Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, Friseurbesuche, Ausflüge ins Schwimmbad oder den Tierpark, auch nur gemeinsame Spaziergänge mit einer größeren Anzahl von Menschen. »Alles, was sie raus aus dem Alltag in der kleinen Wohngruppe führt, fehlt ihnen massiv«, so die Leiterin. Gibt es positive Coronatests, können sie zudem keine Besucher*innen mehr empfangen oder umgekehrt nicht ihre Ursprungsfamilien besuchen. Auch Therapeut*innen können dann nicht mehr ins Haus kommen. »Wenn es dann noch heißt, die Fahrten in den Beschäftigungs- und Förderbereich fallen weg, dann fehlt eine große Freude, aber auch eine andere Tagesstruktur und Kontakt zu anderen Menschen.« Der Mangel an körperlicher und geistiger Bewegung in der eingeschränkten Lebenssituation führe zu großen Rückschritten bei der erlernten Selbstständigkeit, erklärt Scigalla. »Wenn eine Öffnung kommt, werden wir versuchen, diese wieder zurückzuerlangen, doch das ist sehr viel Arbeit.« Und angesichts der Pandemiesituation noch ein weiter Weg.

Erschwerend hinzu kommt schließlich der Umstand, dass für behinderte Menschen bislang keine vorgezogene Impfung vorgesehen ist, ebenso wenig wie für ihre Pflegekräfte. Diese führen seit einiger Zeit auch in den Einrichtungen Coronatests durch. Im Fall von geistiger Behinderung sei dies jedoch mit einem erheblichen Mehraufwand verbunden und eine logistische Herausforderung, so Sandra Scigalla. Man müsse diese sensiblen Bereiche der Eingliederungshilfe genauso behandeln wie den Bereich der Pflege.

»Man hat die Menschen vergessen«, sagt dazu Ausschussmitglied und Linke-Abgeordnete Stefanie Fuchs, sowohl bei der Test- als auch bei der Impfstrategie.

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