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Auf Herz und Viren prüfen
An den Berliner Hochschulen beginnt eine besonders knifflige Prüfungsphase
»Eine mündliche Prüfung auf Zoom, dann zwei Präsentationen, eine Portfolioprüfung mit mehreren Unteraufgaben, eine Präsenzprüfung im März, eine schriftliche Prüfung - ah, nein, die wurde ja abgesagt.« Wenn Jonas LeMétayer aufzählt, welche Leistungen er in den kommenden Wochen erbringen muss, um das erste Semester seines Masterstudiums in Wirtschaftsingenieurwesen abzuschließen, kommt auch er durcheinander. Etliche Mails der Technischen Universität (TU) flatterten in den vergangenen Monaten in sein Postfach. Immer wieder wurde hierin neu navigiert, unter welchen Auflagen wie und wann die Examen stattfinden könnten. Am vergangenen Freitag dann veröffentlichten die Berliner Hochschulen eine gemeinsame Erklärung: Bis zum 31. März 2021, dem offiziellen Ende des Wintersemesters, finden keine Präsenzveranstaltungen statt. Bereits geplante Prüfungen dürfen zwar vor Ort abgenommen werden, dies aber nur, wenn nicht mehr als 25 Personen in einem Raum zusammenkommen. Die Teilnahme ist freiwillig.
Damit die wenigen Prüfungen, für die die Studierenden nun noch an den Campus fahren, nicht zu Infektionsherden werden, haben die Hochschulen eine ganze Reihe Vorkehrungen getroffen: »Für alle Hörsäle, die benutzt werden dürfen, gibt es umfangreiche Platzmarkierungen, die anzeigen, wo man sitzen oder sich aufhalten darf«, sagt Stefanie Terp, Sprecherin der TU, zu »nd«. Statt der üblichen anderthalb Meter müssen die Prüflinge in den Gebäuden der Uni sogar zwei Meter Abstand halten. An ihrem Platz angekommen, scannen sie mit dem Handy einen QR-Code, so dass später nachverfolgbar ist, wer wann wo saß.
An den anderen Berliner Hochschulen gibt es jeweils eigene, aber doch ähnlich strikte Hygienekonzepte: So habe man sich an der Humboldt-Universität (HU) an den Empfehlungen der Charité orientiert, erklärt HU-Sprecher Hans-Christoph Keller. Hier gelte beispielsweise die Pflicht zum Bedecken von Mund und Nase mit einer medizinischen Maske - an der TU werden FFP2- und OP-Masken nur empfohlen.
Dennoch fürchtet Jonas LeMétayer kein allzu großes Risiko, wenn er im März für eine Präsenzprüfung zum TU-Campus in Charlottenburg muss. »Im Bus zur Uni ist die Ansteckungsgefahr wohl höher als vor Ort«, sagt er schulterzuckend. Kürzlich versicherte seine Uni, dass »alle Prüfungsräume mit dem erforderlichen mindestens vierfachen Luftumsatz pro Stunde«belüftet werden.
Sehr viel größere Sorgen bereiten LeMétayer die anstehenden Onlineprüfungen. »Um schummeln zu vermeiden, bleibt den Professoren oft nichts anderes übrig, als das Tempo der Klausuren massiv anzuziehen«, erzählt der Student. »So hat man theoretisch keine Zeit, zwischendurch etwas zu googeln - praktisch bedeutet das aber auch, dass man nicht länger über eine Aufgabe nachdenken kann.« Das Grundgefühl dieser Prüfungsphase sei einfach, dass die Lehrenden ständig davon ausgehen, man wolle sie täuschen, klagt LeMétayer.
»Wir stehen grundsätzlich vor dem Problem, dass die Verhinderung von Täuschungsversuchen mit dem Schutz der Privatsphäre in Konflikt stehen«, heißt es von Seiten seiner Uni. Auch in LeMétayers Jahrgang hatte es Gerüchte gegeben, dass während der Examen über eingeschaltete Laptopkameras überwacht werde, ob sich die Augen der Studierenden von den Aufgaben abwenden, oder dass sie per Video beweisen müssten, dass keine Spickzettel im Zimmer liegen. An einigen privaten Hochschulen hatte es solche Maßnahmen im Sommersemester tatsächlich gegeben. Doch dies sei mit den Datenschutzanforderungen in Berlin nicht vereinbar, beruhigt die Sprecherin der TU. Kameras dürften höchstens für kurze Zeit zur Identifikation der Studierenden verwendet werden. Auch an der HU ist das »Abscannen des Raumes« nicht erlaubt. Jedoch dürfen Prüfungen von einer durchgehenden Videokonferenz begleitet werden, die Studierenden können stichprobenhaft zum Einschalten der Kamera aufgefordert werden.
Jonas LeMétayer wünscht sich derweil einfach ein wenig Nachsicht und Verständnis von den Lehrenden. Bei Zwischenprüfungen hat er schon erlebt, was es bedeutet, wenn die Leistungsabfrage zur einzigen Maxime wird: »Statt wie bei der Klausur meinen Rechenweg aufzuschreiben, musste ich da einfach nur noch die Ergebnisse in ein kleines Feld eintragen«, erzählt er. Als sich ein kleiner Folgefehler einschlich, gab es auf eine Aufgabe prompt null Punkte. »Als ob diese Zeit für uns alle nicht schon schwer genug wäre«, seufzt LeMétayer.
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