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Verlässliche Naturgewalt

Borussia Dortmund siegt in Sevilla - und steht vor einem großen Umbruch

  • Daniel Theweleit
  • Lesedauer: 4 Min.

Zwanzig Jahre ist Erling Haaland erst alt, und wenn dieser Mann lacht und herumalbert, wirkt er mitunter wie ein harmloser Junge in einem viel zu groß geratenen Körper. Dass sich der norwegische Stürmer auf dem Platz mit beeindruckender Zuverlässigkeit in ein Wesen verwandelt, das durchaus treffend mit einer »Naturgewalt« verglichen wird, ist mittlerweile bekannt. Das war auch am Mittwochabend beim 3:2-Sieg der Dortmunder in Sevilla wieder ein prägender Faktor. Zwei Tore hatte der Stürmer selbst geschossen, und vor Mahmoud Dahouds zwischenzeitlichem Ausgleich zum 1:1 trat er als energischer Vorbereiter in Erscheinung. Inzwischen bewegt sich Haaland aber auch nach den Partien so zielstrebig ins Zentrum des Geschehens wie auf dem Rasen.

Er habe endlich wieder einmal das Gefühl gehabt, »dass jeder im Kopf bereit war«, sagte der Norweger nach dem Hinspielsieg im Achtelfinale der Champions League. Der BVB habe mit »mehr Motivation und Leidenschaft« gespielt als in vielen Partien zuvor, was als deutliche Kritik an seiner Mannschaft verstanden werden musste. Anders als viele Kollegen, die erschrocken zusammenzucken oder sich empört wehren, wenn das mitunter etwas unseriöse Wesen dieses Teams angesprochen wird, hat Haaland an dieser Stelle keine Berührungsängste. »Ich habe heute gesehen, dass die Leute das Tor verteidigen wollten, und ich bin stolz, dass wir dieses Spiel gewonnen haben«, verkündete er.

Was er nicht sagte, aber im Subtext mitschwang: In vielen anderen Spielen fehlte dieser unbedingte Wille zur dunklen Arbeit, ohne die keine dauerhafte Stabilität möglich ist. Jeder halbwegs aufmerksame Beobachter sieht, dass hier ein Problem vorliegt, und dieser Eindruck wird durch großartige Leistungen noch verstärkt. Denn natürlich stand nach diesem wunderbaren Fußballspiel wieder einmal die große Frage der Dortmunder Saison im Raum: Warum spielt diese Mannschaft nur in Phasen oder Halbzeiten so brillant wie in Sevilla, wo aber auch wieder zwei Fehler in der Abwehr zu Gegentoren geführt hatten? »Es ist schwer, das zu erklären«, sagte Trainer Edin Terzic, der in dieser Frage ähnliche ratlos wirkt wie Fans und Experten.

Es wird spannend, ob Marco Rose als künftiger Trainer dem BVB die fatale Wankelmütigkeit austreiben kann. Wobei dieser Sieg von Sevilla erst mal auch ein sehr persönlicher Erfolg für Terzic war. Ab kommenden Sommer wird er wieder von der ganz großen Bühne in den Kreis der Assistenten des künftigen Chefcoaches zurücktreten, derzeit aber ist er der Chef. In Sevilla hatte er ein gut funktionierendes Dreiermittelfeld mit Jude Bellingham, Emre Can und Dahoud formiert, vor allem aber hatte er Haaland für diesen Abend »eine Sonderrolle« zugewiesen. Der Stürmer »sollte nicht aktiv ins Pressing gehen«, sondern auf Balleroberungen seiner Kollegen lauern, sagte Terzic. Er wollte »Erling in der Situation haben, dass wir ihn schnell mit einem Kontakt hinter die Abwehr schicken können«. Der Plan funktionierte brillant.

Vor dem dritten Treffer gelang Marco Reus solch eine gewünschte Balleroberung, Haaland war ein paar Meter weiter vorn anspielbar und erzielte das 1:3. Es sei nun endgültig an der Zeit, »dass wir uns diese Intensität, diese Begeisterung, diesen Teamgeist täglich auf dem Trainingsplatz erarbeiten, damit wir das am Spieltag nicht einschalten müssen, sondern abrufen können«, sagte der Trainer. Zum Beispiel am kommenden Sonnabend, wenn das Derby gegen Schalke 04 ansteht - das große Gefahren birgt. Die Gelsenkirchener sind zwar fußballerisch deutlich unterlegen, aber wahrscheinlich werden sie mit maximaler Energie um ihre womöglich letzte Chance auf den Klassenerhalt kämpfen. Die ganze Woche war auf Schalke die Rede davon, dass so ein Derby zum atmosphärischen Wendepunkt taugen kann.

Der BVB muss dieses Spiel genauso dringend gewinnen wie die Schalker, andernfalls droht die mittelfristige Zukunftsplanung großen Schaden zu nehmen. Mit so einem Hinspielsieg im Achtelfinale der Champions League sind die Grundprobleme schließlich nicht aus der Welt. Zwar steht der neue Trainer jetzt fest, aber die Qualifikation für die Europas Königsklasse in der bevorstehenden Saison ist weiterhin ungewiss. Schon jetzt hat die Pandemie zu wirtschaftlichen Einbußen geführt, die beim BVB auf rund 120 Millionen Euro taxiert werden. Sollten demnächst auch noch die Geldflüsse aus der Champions League versiegen, könnte sich ein Fehlbetrag von rund 150 Millionen Euro auftürmen.

Das erschwert alle Planungen in einer Zeit, in der bei Borussia Dortmund ohnehin große Umbrüche bevorstehen und Konkurrenten wie Leipzig oder auch Wolfsburg und Frankfurt immer stabiler werden. Sportdirektor Michael Zorc möchte sich 2022 zur Ruhe setzen, auch die Amtszeit von Präsident Reinhard Rauball und der Vertrag von Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke enden 2022. In Mönchengladbach fragt sich ja mancher, warum Marco Rose gerade jetzt die verlässlichere Borussia verlassen will, um in Dortmund zu arbeiten. Aber vielleicht ist diese Zeit der Umbrüche ein idealer Moment, um hier etwas Neues anzufangen. Denn jenseits dieser seltsamen Unberechenbarkeit des BVB kann ein Trainer kaum eine aufregendere Mannschaft finden. Das ist in dieser Frühlingsnacht von Sevilla wieder einmal wunderbar zu sehen gewesen.

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