- Politik
- Ein Jahr nach den Morden von Hanau
Wo der Boden bereitet wurde
Linke Akivisten markierten in Berlin Gebäude von Institutionen, wo für sie Mitverantwortung für die Taten zu verorten sind
»Hanau - Seine Waffe - Eure Munition« lautet die Leuchtschrift, die am Abend des 18. Februar auf die Fassade eines Hauses in der Schillstraße 9 in Berlin-Charlottenburg gebeamt wurde. Nur ein Hinweis auf dem Klingelschild lässt erkennen, dass sich in der 6. Etage des unauffälligen Sozialbaus aus den 1960er-Jahren sowohl die Bundes- als auch die Berliner Landesgeschäftsstelle der AfD befinden.
»Wir wollen am Vorabend des Jahrestages der rassistischen Morde von Hanau die Orte markieren, die Mitverantwortung für die Bluttat tragen«, erklärt Caro, die ihren vollständigen Namen nicht in der Zeitung lesen will gegenüber »nd.derTag«. Sie ist aktiv in der Kampagne »Nationalismus ist keine Alternative« (nika). Das bundesweite Bündnis wurde vor 5 Jahren gegründet, um dem Aufstieg der AfD, aber auch der außerparlamentarischen Rechten wie Pegida mit einem linken Bündnis entgegenzutreten, dass neben den verschiedenen Strömungen der extremen Rechten auch die autoritäre Formierung von Gesellschaft und Staat zum Gegenstand der Kritik macht.
Vor einem Jahr, am 19. Februar 2020, ermordete ein Rechtsradikaler in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Täter war Sportschütze und besaß legal zwei Pistolen. Eine dritte Pistole, die Tatwaffe, lieh er sich bei einem Waffenhändler aus.
Nach dem Massaker gab es zahlreiche Bekenntnisse von Politikern, entschieden gegen Rassismus und Rechtsextremismus vorzugehen. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Bezug auf rassistische Einstellungen in der deutschen Bevölkerung: »Wir stellen uns denen, die versuchen, in Deutschland zu spalten, mit aller Kraft und Entschlossenheit entgegen.« Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte bei einem Treffen mit Angehörigen der Opfer: »Die Wurzeln des Rechtsextremismus reichen tief in unsere Gesellschaft hinein – das ist ein ernstes, ein drängendes Problem.«
Die Publizistin Daniela Dahn formulierte kurz nach dem Anschlag in Hanau Forderungen an die Politik, die »nd« veröffentlichte. Es geht darin um Defizite im Umgang mit Rechtsextremismus und rechter Gewalt, um die Arbeit von Polizei und Geheimdiensten, die konsequente Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. »Wenn die angesprochenen Institutionen nicht beabsichtigen, auf die Forderungen einzugehen, haben sie die Pflicht, dies vor der Öffentlichkeit zu begründen«, schrieb Daniela Dahn.
Wir haben ein Jahr nach dem Anschlag in Hanau die Bundesregierung und die Landesregierungen gefragt, wie sie zu den von Daniela Dahn aufgeworfenen Fragen stehen. Keine Antworten kamen aus Brandenburg, Hessen und Baden-Württemberg. Auf dieser Doppelseite fassen wir wesentliche Aussagen zusammen, an denen sich die Institutionen – Staatskanzleien, Ministerien, Polizei und Verfassungsschutzämter – messen lassen müssen. In den nächsten Wochen werden wir mit Politikern, Verbänden und Initiativen sprechen und die hier wiedergegebenen Auskünfte einer Bestandsaufnahme unterziehen. nd
Das war auch das Ziel der kleinen nika-Gruppe, die einen Beamer auf einer Leiter platzierte, um von der gegenüberliegenden Straßenseite die AfD-Dependance in der Schillstraße zu markieren. Passant*innen waren am Donnerstagabend kaum auf der Straße und die zahlreichen Autofahrer*innen nahmen kaum Notiz von der Gruppe mit dem Beamer. Sogar ein Polizeiwagen fuhr vorbei, ohne zu reagieren. Etwas belebter war es am nächsten Ort der antifaschistischen Markierung: dem Redaktionsgebäude der konservativen Tageszeitung »Die Welt« in der Axel-Springer-Straße. Der Ort machte schon deutlich, dass es hier um das Flaggschiff des Springer-Konzerns handelt. »Wir haben diesen Ort für unsere Markierung ausgesucht, weil in der Welt immer wieder Beiträge abgedruckt werden, die rassistische Stereotype befördern«, begründet Karo die Wahl der Zeitungsredaktion. So sei in der Welt immer wieder negativ über Shishabars berichtet worden, die so als Orte von Kriminalität erscheinen. Dabei sind diese Shisha-Bars einfach Orte, in denen Menschen, die nicht biodeutsch aussehen, ihre Freizeit verbringen können, ohne rassistischen Gesten und Worten ausgesetzt zu sein. Der Täter von Hanau hat seine Opfer gezielt in der Shisha-Bar ausgesucht. Die Negativkampagne gegen diese Orte kann dazu beigetragen haben, dass er sich als Vollstrecker eines imaginierten »Volkswillens« inszenierte.
Mit der Markierung der »Welt« bewegt sich nika auf historischen Spuren. Nach dem Mordanschlag eines Neonazis auf den führenden Apo-Aktivisten Rudi Dutschke skandierten die linken Aktivist*innen: »Die Springer-Presse hat mitgeschossen«. Vor über 50 Jahren stand vor allem die »Bild«-Zeitung im Fokus der Kritik. Die »Welt« wurde erst später Teil des Springer-Imperiums.
Der Abschluss der nika-Markierungstour war das Polizeipräsidium am Tempelhofer Damm. Auch dort war Parole »Hanau – Seine Waffe- Eure Munition« zu lesen. Damit sollte auf die zahlreichen rechten Vorfälle innerhalb der Polizei hingewiesen werden, die immer als Einzelfälle bezeichnet werden. Für nika handelt es sich dabei um Verharmlosung, für sie hat Rassismus in der Polizei System. Es wurde darauf verwiesen, dass bei den Polizeibehörden in Westdeutschland nach 1945 keine grundlegende Entnazifizierung stattgefunden hat und der Feind im Zweifel immer links stand. Auch auf rassistische Polizeigewalt wurde verwiesen, die im letzten Jahr auch in Deutschland zu großen Protesten führte. Die nika-Kampagne war ein Teil davon. Doch die Corona-Pandemie habe auch ein Teil der antirassistischen Arbeit behindert, erklärt Karo. Die Markierungsaktion soll auch der Startpunkt der nika-Arbeit im Jahr 2021 sein. Man werde ich in den kommenden Monaten an zahlreichen Aktionen gegen rechte Parteien und Bürger, aber auch gegen den autoritären Staat aktiv werden, kündigt die Aktivistin an.
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