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- Russischer Corona-Impfstoff
Sputnik V im Anflug?
Veröffentlichte Studiendaten bestätigen inzwischen die Wirksamkeit des russischen Corona-Impfstoffs. Das Konzept mit zwei unterschiedlichen Vektoren ist offenbar effizient
Der erste künstliche Erdsatellit startete am 4. Oktober 1957 und umkreiste danach piepend 90 Tage lang unsere Erde. Der Start von Sputnik 1 war damals ein Schock für die westliche Welt, demonstrierte er doch die Reichweite sowjetischer Raketen. Es folgten noch vier weitere solcher künstlichen Erdtrabanten unter dem Namen Sputnik.
»Sputnik V« heißt nun ein Impfstoff, dessen Notzulassung zur Immunisierung gegen Covid-19 Russlands Präsident Wladimir Putin schon am 11. August 2020 verkündete. Das »V« steht für Vakzine, aber auch die römische Zahl »5«, und versucht damit recht offensichtlich an das Image der vier sowjetischen Sputniks anzuknüpfen.
Liest man den wissenschaftlichen Namen des russischen Corona-Impfstoffs »Gam-Covid-Vac Lyo«, mag man sich fragen, wofür das »Gam« steht. Entwickelt wurde der russische Impfstoff vom staatlichen Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau.
Die Ursprünge des Instituts gehen bis ins Jahr 1891 zurück auf ein Moskauer Privatlabor des Impfstoffpioniers Nikolai Gamaleja. Der war ein russischer Schüler von Louis Pasteur. 1919 wurde sein Labor in das staatliche Bakteriologische Institut des Volkskommissariats für Gesundheit der RSFSR umgewandelt. Im Jahr 2017 erfolgte dann zu Ehren des Begründers die Umbenennung in Gamaleja-Institut für Epidemiologie und Mikrobiologie. RR
Zum zweiten Sputnik-Schock für den Westen taugt die russische Vakzine dann aber doch nicht. Denn trotz der frühen Notzulassung begannen die Massenimpfungen auch in Russland erst im Dezember - ähnlich wie in Großbritannien, Israel oder den USA mit den Impfstoffen von Biontech/Pfizer, Moderna und Astra-Zeneca.
Die russische Vakzine mit wissenschaftlichem Namen »Gam-Covid-Vac Lyo« ist ein sogenannter Vektorimpfstoff. Das heißt, er nutzt nicht vermehrungsfähige Adenoviren, harmlose Erkältungsviren. Die sind ein Trojanisches Pferd der Gentechniker, um Erbinformation eines charakteristischen Bestandteils des Covid-19-Erregers in den Körper des Impflings zu transportieren.
Trojanisches Pferd
Auch andere Länder entwickeln Vektor-Impfstoffe auf Basis von menschlichen oder Affen-Adenoviren: Dazu gehören der Corona-Impfstoffkandidat Ad26 der Firma Johnson & Johnson sowie AZD1222 aus der Kooperation der Universität Oxford mit Astra-Zeneca. Letzterer wurde bereits ab Juni 2020 in eine Phase-III-Studie geprüft und ist inzwischen in der EU zugelassen. Sputnik V nutzt dabei humane Adenoviren - also solche, die beim Menschen kursieren, während Astra-Zeneca Viren verwendet, die sonst bei Schimpansen vorkommen.
Ihnen allen ist eigen, dass man die verwendeten Adenoviren erst einmal vermehren muss. Das geschieht im Falle des Gamaleja-Impfstoffs in Kulturen menschlicher embryonaler Nierenzellen (HEK 293). Danach werden die Viren extrahiert und ein Teil ihrer aggressiven Erbinformation wird entfernt. Es sind nun relativ harmlose Transporter für jene Gene, die ihnen eingebaut werden. Die Vektor-Viren transportieren die Erbinformation für die Stacheln (Spikes) des Corona-Virus in den Körper des Geimpften. Weil die Adenoviren ihre Erbinformation in Form doppelsträngiger DNA speichern, muss die Gensequenz für das Spike-Protein zuvor im Labor aus der Einstrang-RNA des Coronavirus in Doppelstrang-DNA umgewandelt werden. Die Gensequenz für das S-Protein wird dann in das DNA-Erbgut der Trojanischen Pferde eingefügt. Wenn sie nach der Impfung in den menschlichen Zellen abgelesen wird, produzieren diese die isolierten Spike-Proteine des Covid-19-Erregers, und das Immunsystem des Geimpften bildet Antikörper, die bei einer Infektion mit dem echten Virus diesen erkennen und bekämpfen.
Der Sputnik-Impfstoff besteht aus zwei unterschiedlichen Komponenten für die erste und zweite Impfung. Diese nutzen unterschiedliche Vektoren: Einen auf der Basis des genmanipulierten Adenovirus vom Typ 26 (Ad26), in den das Corona-Spike-Protein-Gen integriert wurde, und einen abweichenden menschlichen Adenovirus Typ 5 (Ad5), der das gleiche Spike-Gen enthält. Es sind also zwei unterschiedliche Transporter mit demselben Inhalt. Sinnbildlich zwei Trojanische Pferde mit Soldaten der gleichen Armee und dem gleichem Auftrag im Bauch.
Die erste Impfkomponente startet als sogenannter »Primer« und löst eine erste Immunantwort aus. Der geimpfte Patienten erzeugt nun zuerst Massen an Virus-Spike-Proteinen und sein Immunsystem die menschlichen Antikörper dagegen. Unser Körper als Bioreaktor produziert gewissermaßen den Impfstoff selbst.
Die zweite Impfkomponente soll die Immunantwort noch verstärken. Und da kommt der Trick mit den zwei verschiedenen Vektoren zum Tragen. Auch die als Vektor genutzten lebenden nicht vermehrungsfähigen Adenoviren lösen nämlich eine Immunreaktion aus. Da der Vektor der Zweitimpfung sich vom ersten unterscheidet, können möglicherweise nach der ersten Impfung gebildete Antikörper gegen das Adenovirus die Wirkung der zweiten Impfung nicht abschwächen.
Das könnte ein Grund für die weniger gute Wirksamkeit des Impfstoffes von Astra-Zeneca sein, die nur bei etwa 60 Prozent liegt. Denn der verwendet den gleichen Vektor bei beiden Impfungen. Antikörper, die nach der ersten Impfung entstehen, könnten verhindern, dass die Vektoren der zweiten in die Zellen aufgenommen werden. Astra-Zeneca arbeitet übrigens inzwischen mit Hilfe der Sputnik-Entwickler daran, das eigene Mittel zu verbessern. Es läuft auch eine klinische Studie, bei der beide Impfstoffe in der Hoffnung auf eine bessere Wirkung kombiniert werden. Weniger klar ist der Zusammenhang des Verfahrens von Astra-Zeneca mit der geringen Effizienz des Impfstoffs gegen die sich in Südafrika schnell ausbreitende Corona-Mutante B.1.351.
Russische Technik zielt bekanntlich auf robuste Lösungen. Der Impfstoff ist inzwischen auch in gefriergetrockneter Form erhältlich und kann dann bei Kühlschranktemperaturen (2 bis 8 Grad Celsius) gelagert werden. Pro Impfdosis soll er weniger als 10 US-Dollar kosten.
Produziert wird das Mittel in sechs Anlagen in Russland und weltweit mehr als zehn anderen, darunter Indien, Brasilien, bald auch China, Argentinien und der Türkei.
Weltweit liegt nach russischen Angaben die Produktionskapazität bei 1,4 Milliarden Impfdosen. Für die EU sind Berichten zufolge 100 Millionen Dosen im zweiten Quartal im Gespräch.
Noch im vergangenen Jahr wurde der russische Impfstoff im Westen eher skeptisch beäugt. Das hatte ohne Zweifel auch etwas mit der eher politischen als wissenschaftlichen Präsentation zu tun. So gab der Präsident Wladimir Putin selbst schon im Sommer 2020 die vorläufigen Wirksamkeitszahlen aus einer Zwischenanalyse der damals laufenden klinischen Phase-III-Studie bekannt und informierte über die »Registrierung« des Impfstoffs in Russland - etwa vergleichbar mit Notzulassungen in westlichen Ländern. Und er informierte auch gleich über die Impfung der eigenen Tochter. Einzige Nebenwirkung laut Papa Putin: Fieber bis 38 Grad. Das Vorgehen stieß seinerzeit nicht nur im Westen auf Kritik. So bemängelte das deutsche Paul-Ehrlich-Institut fehlende Daten. Auch russische Forscher äußerten sich kritisch.
Anfang Dezember startete dennoch selbstbewusst die Massenimpfung der russischen Bevölkerung. In Moskau etwa geht man zur Impfung mit dem Personaldokument in die nächste Impfstelle - zum Beispiel in das zentrale Kaufhaus GUM oder in das Bolschoi-Theater. Wartezeit nur wenige Tage, keine Altersbeschränkungen! Bislang allerdings sind auch in Russland erst 2,2 Millionen Menschen geimpft worden.
Die Kritiken des Vorjahres dürften sich inzwischen relativiert haben. Denn die in dem renommierten britischen Medizinjournal »The Lancet« veröffentlichten Zwischenergebnisse der Russen sind überzeugend: An den Phase-III-Versuchen nahmen danach seit Beginn 40 000 Versuchspersonen teil. Nach den Zwischenergebnissen der ersten rund 20 000 Teilnehmer infizierten sich 62 von insgesamt 4902 Personen aus der Placebogruppe (1,3 Prozent), wohingegen es in der Gruppe der 14 964 Geimpften nur zu 16 Infektionen kam (0,1 Prozent).
Das Prinzip funktioniert
Die Nebenwirkungen von Sputnik V seien moderat, heißt es in der Studie, meist grippeähnliche Symptome, Abgeschlagenheit oder Schmerzen an der Einstichstelle. Von den vier Todesfällen während der klinischen Tests sei keiner von den Impfungen verursacht worden. Zwei seien auf eine Covid-19-Infektion zurückzuführen, die kurz nach der ersten Impfung ausbrach. Die Versuchspersonen hätten sich offenbar (trotz negativer PCR-Tests) kurz vorher noch angesteckt.
In einem Kommentar des »Lancet« schreiben die beiden nicht an den Studien beteiligten englischen Mediziner Ian Jones von der University Reading und Polly Roy von der London School of Hygiene & Tropical Medicine: »Die Entwicklung des Impfstoffs Sputnik V wurde international stark dafür kritisiert, überhastet zu sein, Abkürzungen zu nehmen und nicht transparent zu verlaufen. Allerdings sind die jetzt veröffentlichten Ergebnisse eindeutig. Das wissenschaftliche Prinzip der Impfung konnte demonstriert werden, ein weiterer Impfstoff für die Bekämpfung der Pandemie steht nun zur Verfügung.«
Neben Russland und befreundeten Ländern wie Serbien, Kasachstan und Turkmenistan nutzt auch EU-Mitglied Ungarn den russischen Impfstoff trotz noch fehlender Zulassung durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). Nach einer Notzulassung kommt Sputnik V auch in Argentinien, Bolivien, Venezuela und im Iran zum Einsatz.
Am 29. Januar 2021 kündigte Russland an, die EU im zweiten Quartal mit 100 Millionen Dosen von Sputnik V versorgen zu können. Damit könnten 50 Millionen Menschen geimpft werden. Anders als aus Rusland verlautete, liegt bislang allerdings kein Antrag zur Zulassung des Vakzins bei der EMA vor. Es gibt laut EMA allerdings eine wissenschaftliche Beratung für den Zulassungsprozess.
Zuletzt war aus dem Büro des sachsen-anhaltischen Ministerpräsidenten zu vernehmen, eine mittelständische Firma in Dessau könnte Sputnik V in Lizenz produzieren. Das Dessauer Unternehmen IDT Biologika selbst mochte das bislang nicht bestätigen.
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