Streikwelle oder Abschluss in letzter Minute?

In Süddeutschland sind zur Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie erste Warnstreiks in Planung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 4 Min.

In der Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie (M+E) mit knapp vier Millionen Beschäftigten naht die Stunde der Wahrheit. Eigentlich hatte die IG Metall-Spitze gehofft, dass sie mit demonstrativer Mäßigung und Kompromissbereitschaft noch vor Ablauf der Friedenspflicht Ende Februar ohne Streikdruck einen wie auch immer gearteten Kompromiss erreichen könnte. Die Metaller hatten schon 2020 eine Nullrunde hingenommen. Auch das aktuelle Forderungspaket ist moderat.

Die IG Metall fordert ein Volumen von vier Prozent Einkommenserhöhung. Dieses Volumen soll für eine Lohnerhöhung oder bei Auftragsmangel auch für eine Jobsicherung durch Arbeitszeitverkürzung mit nur teilweisem Lohnausgleich eingesetzt werden. In Unternehmen, die von einer Transformation Richtung Elektromotor betroffen sind, verlangen die Metaller Weiterbeschäftigung und Qualifizierung. Doch der Unternehmerverband Gesamtmetall schätzt dieses Entgegenkommen offenbar überhaupt nicht und geht in den seit Dezember laufenden Verhandlungsrunden in die Offensive. »Wenn Südwestmetall nicht von seinen Forderungen abrückt, ist ein Konflikt unausweichlich«, droht Baden-Württembergs IG Metall-Chef Roman Zitzelsberger. Auch nebenan in Bayern, ebenfalls Hochburg der Fahrzeug- und Zuliefererindustrie, ergibt sich das gleiche Bild. »Wir haben bisher nur einen Frontalangriff auf Tarifverträge erlebt. Die Arbeitgeber wollen das Urlaubs- und Weihnachtsgeld kürzen, die Löhne differenzieren und den Gewerkschaftseinfluss minimieren«, so ein IG-Metall-Sprecher aus dem Freistaat gegenüber »nd«.

In der Branche wird dezentral in den Regionen verhandelt. Oftmals hat ein erster Abschluss dann »Pilotfunktion« für den Rest der Republik. Viele »Pilotabschlüsse« wurden im Südwesten gezimmert. Hier wollen sich beide Seiten noch einmal am heutigen Donnerstag zu einer dritten Runde treffen. Am Freitag wird noch einmal in Bayern verhandelt. Zitzelsberger dämpft allerdings vorsorglich Erwartungen auf einen Abschluss. »Ein neuer Verhandlungstermin an sich ist noch kein Erfolg«, betont er. Schließlich habe sich Südwestmetall »bisher jeglichen Gesprächen zur Zukunft verweigert« und »nur die Verschlechterung tariflicher Standards zum Ziel«. So sei ein Konflikt nach Ende der Friedenspflicht »unausweichlich«, warnt er. Ähnliche Signale kommen auch aus München. »Wir bereiten uns auf alle Eventualitäten vor. Warnstreiks können ab Dienstag stattfinden«, so ein Sprecher des IG-Metall-Bezirks Bayern. Die Fronten wirken verhärtet, die IG Metall sieht sich gezwungen, den vor Wochen vorsorglich angekündigten »digitalen Aktionstag« am kommenden Montag mit Leben zu füllen und in kampfstarken Betrieben erste Warnstreiks zu organisieren. Nicht nur im Süden stehen die Zeichen auf Konflikt. »Corona kann den Kampfeswillen für unsere berechtigten Forderungen nicht stoppen«, so Clarissa Bader, 1. Bevollmächtigte der IG Metall-Geschäftsstelle Ennepe-Ruhr-Wupper (NRW). »Es wird nicht einfach unter den bestehenden Rahmenbedingungen, aber es ist dringend notwendig«, war man sich jüngst bei einer virtuellen Funktionärskonferenz einig.

Verzicht lohnt sich nicht. Hans-Gerd Öfinger zum Agieren der IG Metall in aktuellen Tarifrunden

Knapp ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, die den bereits anrollenden Wirtschaftseinbruch vertieft hat, ist die Lage in den Betrieben und Bereichen des Industriezweigs weiter unterschiedlich. In Bayern etwa ist die vor Jahresfrist hochgeschnellte Kurzarbeit nach IG-Metall-Angaben deutlich gesunken. Demnach haben hier derzeit nur noch 38 Prozent der Betriebe Kurzarbeit. Im März 2020 waren es noch 75 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten in Kurzarbeit sei von 33 Prozent Mitte 2020 auf derzeit 13 Prozent gesunken. Doch die Metaller erzürnt, dass allein 2020 bayernweit 35 000 M+E-Arbeitsplätze vernichtet wurden. Konzerne wie Continental, ZF und Schaeffler nutzten die Krise aus, um bereits geplanten Stellenabbau und Betriebsverlagerungen an Billiglohnstandorte durchzupeitschen, kritisiert Bezirksleiter Johann Horn.

Solche Zahlen und Fakten erklären, dass die Wut in den Betrieben steigt - und mit ihr die betriebsübergreifende Kampfbereitschaft der Metall-Basis. Laut bundesweiter IG-Metall-Befragung von gut 250 000 Beschäftigten in 6700 Betrieben stimmen 72 Prozent der Aussage »wir müssen gemeinsam laut werden, um für die Beschäftigten in der Region zu kämpfen« voll oder »eher« zu. In der Fahrzeug- und Stahlindustrie liegt die Zustimmung noch höher. 72 Prozent halten Lohnerhöhungen für wichtig oder sehr wichtig. Angst vor Jobverlust besteht auch bei Stammbelegschaften, nachdem vielerorts Leiharbeiter längst auf der Straße gelandet sind. Auch die Sehnsucht nach kürzerer Normalarbeitszeit ist weit verbreitet. Die kommenden Tage werden zeigen, ob die IG-Metall-Spitze raus aus der Deckung kommt, die Kampfansage von Gesamtmetall aufgreift und kraftvoll kontert. Da in diesem Jahr Tarifrunden für bundesweit 12 Millionen Beschäftigte anstehen, wäre auch die Basis für eine breitere branchenübergreifende Bewegung durchaus gegeben.

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