• Berlin
  • Pädosexuelle Netzwerke

Die Rechte von Kindern ausgeblendet

Eine Vorstudie untersucht pädosexuelle Netzwerke in Berlin - und fordert weitere Forschung

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 3 Min.

In Nordrhein-Westfalen sind die sexuellen Straftaten gegen Kinder im vergangenen Jahr auf einen Höchststand angestiegen. Regelmäßig gibt es neue Enthüllungen über sexuellen Missbrauch in der Kirche. Das liegt jedoch nicht unbedingt daran, dass es mehr Fälle gibt, sondern kann ebenso darauf hindeuten, dass immer mehr Fälle sexualisierter Gewalt gemeldet werden. Gleichzeitig steht die Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs noch am Anfang. Am Mittwoch hat die Unabhängige Kommission zur Untersuchung sexuellen Kindesmissbrauchs eine Vorstudie zu Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin vorgestellt.

Wie sich Pädosexuelle organisiert haben

Beauftragt mit der Recherche waren die Kunsthistorikerin Iris Hax und der Kulturwissenschaftler Sven Reiß. Im Mittelpunkt standen die Interessen und Rechtfertigungsstrategien pädosexueller Netzwerke insbesondere in West-Berlin seit den 1970er Jahren. Diese warben damals öffentlich für die Straffreiheit sexueller Handlungen von Erwachsenen mit Kindern und Jugendlichen. »Die Vorstudie zeigt, dass in hier untersuchten Gruppierungen und Netzwerken die Rechte von Kindern und Jugendlichen ausgeblendet blieben - und das im Duktus der Befreiung«, resümiert die Vorsitzende der Unabhängigen Kommission, Sabine Andresen. Untersucht wurde insbesondere, wie sich pädosexuelle Akteure an die Schwulenbewegung anschlossen und diese für ihre Interessen nutzten. Dabei standen Berliner Kinderrechtegruppen und -Projekte sowie die linksautonome Szene im Mittelpunkt.

Den Quellen - großteils aus dem Archiv des Schwulen Museums -, die überwiegend Rechtfertigungsschriften aus der Täterperspektive wiedergeben, stehen zwei Berichte von Betroffenen gegenüber. Diese schildern, wie die Täter sich ihnen angenähert hatten, zunächst über Freizeitaktivitäten, oder wie sie über Geschenke Vertrauen aufbauten. Erst dann begannen sexualisierte Gewalt und Prostitution. »Ich habe mich gefragt, ob das so sein soll, was da gerade abläuft«, erzählt Kevin (Name geändert). Seine Geschichte weist auch auf das fehlende Eingreifen anderer Erwachsener in dieser Zeit hin.

Denn Vereine wie etwa der Deutsche Arbeitskreis Pädophilie in den 1970er Jahren konnten zunächst offen wirken. »Aktivisten der pädosexuellen Gruppen betrieben in den 1980er Jahren gezielt Öffentlichkeitsarbeit. Mit dem Selbstverständnis, Teil einer ›Emanzipationsbewegung‹ zu sein, stilisierten sie sich als Kämpfer für die sexuelle Befreiung von Kindern und sich selbst als die am stärksten verfolgte sexuelle Minderheit«, heißt es in der Vorstudie. In den Quellen belegt wird auch die Herstellung und der Handel mit Abbildungen sexualisierter Darstellungen von Kindern und Jugendlichen, die in frei zugänglichen Zeitschriften beworben wurden.

Aufarbeitung muss noch stattfinden

Die Gruppierungen seien, so erklärt der Co-Autor der Arbeit, Sven Reiß, sehr heterogen gewesen. Was auch nicht untergehen sollte: »Der (sehr große) Anteil heterosexueller Täter bleibt unsichtbar, weil die sich nicht an der Organisierung beteiligten.« Das Gleiche gelte etwa auch für Vertreter*innen der Kirchen. Reiß erläutert, dass mit Fred Karst zum Beispiel ein Rechtskonservativer vertreten gewesen sei, der aber sein »Nest im offen-liberalen Milieu« - namentlich bei der Vorgängerorganisation der Grünen - gefunden habe.

Einer Aufarbeitung steht teils auch der Datenschutz entgegen. Ingo Fock, der selbst betroffen ist und den Verein gegen Missbrauch e.V. gegründet hat, sagt: »Für mich ist interessant, was in der Studie nicht genannt wird: Wer war denn in diesen Organisationen federführend? Warum sitzen die Menschen von damals noch an diesen und jenen Stellen?«

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