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Im All geehrt, in Halle nicht
Die Mehrheit im Stadtrat von Halle will das neue Planetarium nicht nach Sigmund Jähn benennen
Im Weltall gilt Sigmund Jähn als würdiger Namensgeber. 2001 wurde nach dem DDR-Kosmonauten, der im September 2019 verstorben ist, der Asteroid 17 737 benannt – ein Steinbrocken von fünf Kilometern Durchmesser, der in 3,8 Jahren einmal um die Sonne fliegt. Auf die Ehrung verwies die Deutsche Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DGLR) in einem Brief an den Stadtrat von Halle (Saale). Dort wurde zuletzt gestritten, ob Jähn als Namensgeber für das Planetarium taugt, das Ende 2021 im früheren Gasometer eröffnet werden soll. Ein Vorschlag von Linksfraktion, SPD und Mitbürgern/Die Partei plädierte für die Namenswahl. Allerdings stieß die Fürsprache der DGLR bei der Ratsmehrheit nicht auf offene Ohren. Mit 28 zu 18 Stimmen nahm der Stadtrat am Mittwoch den Antrag an, die Einrichtung künftig schlicht »Planetarium Halle (Saale)« zu nennen.
In Halle gab es fast 40 Jahre lang ein Planetarium mit dem Namen »Sigmund Jähn«. Der damals sehr moderne Bau mit einer Kuppel aus Betonschalen wurde 1978 eröffnet. Am 26. August jenes Jahres war Jähn gemeinsam mit dem sowjetischen Raumfahrer Waleri Bykowski im Raumschiff Sojus 31 zur Raumstation Salut 6 geflogen und hatte binnen acht Tagen 125 Erdumrundungen absolviert. Er war damit der erste Deutsche im All und ein »wichtiger Teil der gesamtdeutschen Geschichte«, schrieb die DGLR. Sie würdigte auch Jähns Engagement in der Europäischen Raumfahrtagentur ESA nach 1989 und appellierte, ihn mit der Taufe als »Botschafter der deutschen Raumfahrt« zu würdigen.
Das alte Planetarium wurde indes infolge des Saale-Hochwassers 2013 abgerissen; mit der Entscheidung für den Neubau in den Mauern des Gasometers stand die Namensgebung zur Debatte. Die Linke beantragte die erneute Ehrung von Jähn, was zunächst auch CDU, Grüne und FDP unterstützten. Zuletzt war jedoch ein hitziger Streit über die Rolle des hohen NVA-Offiziers in der DDR entflammt. Birgit Neumann-Becker, Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen-Anhalt, hatte erklärt, man müsse bei einer Vergabe des Namens »zwingend die Verwicklung von Sigmund Jähn in die politische Doktrin der SED-Diktatur« dokumentieren. Der »persönlich sympathische Kosmonaut« habe diese schließlich »bis zum Schluss verteidigt«.
Etliche Stadträte gingen auf Abstand zum ursprünglich breit getragenen Antrag. Auch Stasi-Vorwürfe gegen Jähn wurden geäußert. Katja Müller, Linksfraktionschefin im Rat, hält das für eine völlig überzogene Debatte, »wie wir sie vor 30 Jahren geführt haben«. Sigmund Jähn sei »nicht Erich Mielke gewesen«. In einem Beitrag für das Amtsblatt argumentiert die Linke, Jähn sei »nicht ausschließlich der DDR-Flieger, auf den ihn seine Kritiker reduzieren«. Man plädierte für ein Signal zur Anerkennung ostdeutscher Lebensleistungen: Es sei »an der Zeit, Ost-Biografien den angemessenen Platz einzuräumen«.
Die Mehrheit folgte dem nicht. Zwar bekannte sich etwa die SPD zu Jähn als Namensgeber; man könne, erklärte Fraktionschef Eric Eigendorf, seine Lebensleistung anerkennen »und zugleich sein Wirken in der DDR kritisch würdigen«. Die CDU argumentierte indes, Jähns Leistung sei »nur durch die Einbindung in das DDR-Regime möglich gewesen«. Auch die Fraktion »Hauptsache Halle« stellte sich gegen den Antrag und brachte den US-Astronauten Neil Armstrong ins Spiel. Die AfD favorisierte den Astrophysiker Alfred Weigert. Die FDP wollte die Namensrechte gar meistbietend verkaufen.
Am Ende setzte sich ein Kompromissvorschlag der Grünen durch, den sie kurz vor der vorentscheidenden Beratung im Kulturausschuss Anfang Februar vorgelegt hatten. Das Planetarium in Halle (Saale) wird nun »Planetarium Halle (Saale)« heißen – der »mutloseste Kompromiss, den man finden kann«, sagt Müller. Die Hallenser Bundestagsabgeordnete Petra Sitte (Linke) kritisiert eine »unfassbar kleingeistige« Entscheidung. So sind nach Jähn ein gutes Dutzend Straßen im Land benannt, etliche Schulen, dazu der Asteroid im All – aber Halles Planetarium nicht.
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