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Land des schmutzigen Gases
Pennsylvania ist ein US-Fracking-Hotspot. Aktivisten kämpfen gegen die Praktik.
«Bitte kauft unser Gas nicht, steigt auf erneuerbare Energien um». Das ist der Appell von Barbara Jarmoska an die Deutschen. Die Aktivistin kämpft seit mehr als zehn Jahren gegen Fracking im US-Bundesstaat Pennsylvania, mitten auf dem Land, wo die Großstädte Philadelphia und Pittsburgh weit weg und viele Menschen eher konservativ eingestellt sind. Es ist ein einsamer und frustrierender Kampf, es geht um giftige Chemikalien und Umweltschäden, um große Profite und enttäuschte Hoffnungen, aber auch um Jobs und Grundstückspreise – und darum, ob demnächst das «Fracking auf Steroiden» kommt.
Wer auf der Autobahn 22 von Pittsburgh nach Osten fährt, reist durch das wilde Pennsylvania, vorbei an scheinbar endlosen Waldgebieten, die von Höhenrücken und Flüssen durchzogen sind und das 250 000 Quadratkilometer große «Marcellus Shale» überdecken. Das unterirdische Tonstein-Gebiet macht Pennsylvania zum Bundesstaat mit der zweitgrößten Frackinggas-Produktion in den USA. Die Gesteinsformation, die im südwestlichen Bundesstaat New York beginnt, zieht sich durch das nördliche, mittlere und südwestliche Pennsylvania bis nach West Virginia und enthält laut Schätzungen der US-Regierung die Hälfte des US-Schiefergasvorkommens.
Der Walmart an der Autobahnausfahrt in Williamsport sieht genauso aus, wie überall sonst in den USA, das große Supermarktgebäude ist ein Flachbau, der Parkplatz riesig groß – Barbara Jarmoska hat ihn als Treffpunkt vorgeschlagen. Die 72-Jährige sitzt im Board der Responsible Drilling Alliance (RDA), einer Organisation, die vor Ort gegen die Frackinggas-Förderung kämpft. «1200 Menschen haben unseren Newsletter abonniert, aber der harte Kern, das sind 30 Leute», erklärt sie. Dann setzt sie ihr Auto in Bewegung. Es geht vorbei an abgeernteten Feldern und Bauernhäusern, vor denen Trump-Fahnen hängen. Es wird deutlich, warum ein Sprichwort sagt, in der Mitte des Staates sei Pennsylvania wie Alabama. Bei der Präsidentschaftswahl im November 2020 haben 70 Prozent der Wahlberechtigten in Lycoming County für den republikanischen Kandidaten Donald Trump gestimmt.
Doch es wird auch schnell deutlich, dass die Gegend nicht wie jede andere ländlich-konservative ist. Drei Dutzend Gasförderanlagen in einem Radius von wenigen Kilometern und weitere Infrastruktur der Fracking-Industrie wie Kompressorstationen gibt es hier. In den Kompressorstationen wird der Gasdruck für den Weitertransport erhöht. Viele sind hinter unscheinbaren Zufahrtswegen versteckt. Wer genau hinschaut, dem fallen auch die Tanklaster auf den Straßen im Landkreis auf, sie bringen Wasser zu den Fracking-Anlagen, andere transportieren das «Schiefergas» ab, das eigentlich Tonstein-Gas ist.
In Vermont und New Hampshire, in Maryland, New York und New Jersey sei Fracking nicht erlaubt, «weil die Leute dort protestieren und dann die entsprechenden Politiker wählen», sagt Jarmoska. Aber im Susquehanna-Flusstal können sie es riskieren, weil hier nur wenige Leute wohnen«, sagt die Aktivistin. Die Republikaner, die das Staatsparlament dominieren, hätten den Menschen auf Flyern 600.000 gut bezahlte Jobs versprochen, tatsächlich sind nur 26.000 Menschen in Pennsylvania in der Industrie beschäftigt.
Viel mehr Menschen – rund 330.000 – arbeiten in der Tourismusbranche. Aber diese Jobs werde man verlieren, sagt Jarmoska, denn »wer will schon an Gasförderanlagen vorbeiwandern oder auf Flüssen paddeln, die Mondlandschaften gleichen«. Vor der Einführung des Fracking vor zehn Jahren sei Tourismus eine der größten Einnahmequellen in Lycoming County gewesen, erzählt Jarmoska. Die Region ist populär bei Menschen in New York und Philadelphia, weil sie von dort innerhalb von nur drei Stunden erreichbar ist. »Sie können am Freitag nach der Arbeit ins Auto springen und kurze Zeit später in den Wäldern sein. Es ist eine schöne Region, und wir opfern sie der Gasindustrie«, klagt Jarmoska. Jetzt brennen nachts überall Lichter, es gebe viel mehr Verkehr.
Wenige Gewinner, viele Verlierer
Sie sei schon »ihr ganzes Leben lang Aktivistin« gewesen, sagt die 72-Jährige. Seit sie als Kind die Bürgerrechtsbewegung erlebte und sich anschließend gegen den Vietnamkrieg engagierte, kämpft die Aktivistin, die vor ihrem Ruhestand unter anderem als Wissenschaftlerin arbeitete, für die gute Sache. Sie habe sich »immer ein neues Thema gesucht«. »Ich kann einfach nicht aufhören«, erzählt sie lachend. Seit mehr als zehn Jahren engagiert sie sich gegen Fracking in der Region. Man habe zu Anfang nur versucht, die Debatte zu beeinflussen und Leserbriefe geschrieben sowie mit Abgeordneten gesprochen. »Am Anfang hat eine große Mehrheit der PR der Gasindustrie geglaubt, dass das Fracking einen großartigen Wirtschaftsboom auslöst. An die Gesundheitskosten oder die Folgen für die Umwelt hat man einfach nicht gedacht.« Es habe »eine Weile gedauert«, aber »die Menschen haben nun das Licht gesehen«, wie Jarmoska es ausdrückt. In einer Umfrage hätte kürzlich zum ersten Mal eine Mehrheit der Befragten in Pennsylvania gesagt, die Umweltschäden seien das eventuelle Wirtschaftswachstum nicht wert. Donald Trump hatte 2020 seine Unterstützung für Fracking zum wichtigsten Thema seiner letzten Wahlkampfauftritte in dem traditionellen Swing State gemacht. Dennoch gewann er den Staat nicht.
Fracking habe in Pennsylvania ab 2010 zunächst geboomt. Nach einem kurzen Abstieg »klettern wir jetzt wieder zu einem neuen Boom hoch«, so Jarmoska. Die Industrie habe mit dem Fördern von mehr Gas gewartet, bis international der Gaspreis wieder gestiegen sei. Und auf die Genehmigung der Flüssiggas-Terminals zum Export des Frackinggases per Schiff, etwa nach Deutschland. Die Regierung will Europa weiter mit Gas beliefern und stellt sich auch deswegen gegen das russisch-deutsche Projekt Nordstream 2. 2019 gingen 36 Prozent aller US-Flüssiggasexporte in die Europäische Union. »In Übersee können die Gasfirmen richtig Profit machen«, sagt Jarmoska, die darauf verweist, dass der Gaspreis im Ausland zum Teil doppelt so hoch ist wie in den USA.
In Lycoming County gibt es deswegen wenige klare Gewinner und viele Verlierer. »Wir haben hier Übernacht-Gas-Millionäre«, meint Jarmoska und deutet auf ein opulentes Haus. Dann erzählt sie Geschichten von Nachbarn, die ihr Grundstück für das Dreifache des eigentlichen Wertes an eine Gasfirma verkauften.
Auf der anderen Seite hätten die Häuser in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Förderanlagen plötzlich nur noch halb so viel wert. Ein Verkauf und ein Umzug in bessere Gegenden sei den Bewohnern finanziell nicht möglich. Ein Farmer habe 10 000 Dollar investiert, um gegen eine Kompressorstation neben seinem Haus zu klagen, die jede Nacht »wie ein Footballfeld erleuchtet« werde.
Eine Studie des Ohio River Valley Institutes zu den 22 Landkreisen in Pennsylvania, Ohio und West Virginia, in denen 90 Prozent der Frackinggas-Produktion dieser Bundesstaaten angesiedelt ist, zeigt: Vor Ort kam der von der Industrie versprochene Jobboom nicht an. In den untersuchten Landkreisen gab es zwischen 2008 und 2019 einen Zuwachs an Jobs von 1,6 Prozent, landesweit lag er bei 9,9 Prozent.
Die Analyse zeigt außerdem einen Bevölkerungsrückgang, gesunkene Einkommen, aber eine steigende Wirtschaftsleistung. Der Grund: Fracking ist kapitalintensiv, schafft aber kaum Jobs, die zudem vor allem an Arbeiter von außerhalb gingen. »Fracking ist strukturell unfähig, lokales Wirtschaftswachstum zu erzeugen, verhindert vielmehr durch die Umweltschäden andere wirtschaftliche Aktivitäten vor Ort«, sagt Studienautor Sean O’Leary.
Drei bis vier Monate wird »gefrackt«, wenn ein neues Bohrloch erschlossen wird. Unter hohem Druck wird mit verschiedenen teils natürlichen, teils künstlichen Chemikalien versetztes Wasser in den Untergrund gepresst, um das Gas freizusprengen: zu »fracken«. Truck um Truck mit Wasserlieferungen fahren dann kontinuierlich auf die gleißend hell erleuchteten Bohrgelände – Tag und Nacht. Der Prozess ist laut, lärmend, abgasintensiv.
In jeden Tanklaster passen rund 200.000 Tausend Liter Wasser, entnommen wird es aus nahe gelegenen Flüssen. Weil die Produktion aus einem Bohrloch nach etwa einem Jahr abflacht, wird dann erneut gefrackt. Danach stehen die Förderanlagen und das planierte und geschotterte Gelände um sie herum leer – jahrelang. Aus ihnen entweicht offenbar in vielen Fällen weiter Methan – laut Daten der US-Umweltschutzbehörde EPA waren es 2018 rund 281 Kilotonnen Methan. Das Klimagas ist deutlich aggressiver als CO2.
Umweltschäden, immer wieder
Vor kurzem begann eine Firma, die bisher noch nicht in der Gegend in Erscheinung getreten war, damit, alte Förderanlagen aufzukaufen. Wozu? Die Anti-Fracking-Aktivisten vor Ort haben einen Verdacht: Die Gasfirmen könnten so versuchen, sich ihrer Verantwortung für den Rückbau der Anlagen zu entledigen. Denn der Besitz von alten Förderanlagen ist nicht profitabel. Wenn die neue Firma Konkurs anmeldet, müssten Staat und Anwohner »die Aufräumarbeiten übernehmen« – praktisch für die Gasfirmen.
Immer wieder verursachen die laufenden Frackinggas-Anlagen Umweltschäden. Das beginnt mit dem enormen Wasserhunger des Abbauprozesses. Millionen Liter Wasser entnehmen die Gasfirmen jährlich in der Gegend. Das hat Folgen für die Pegelstände der Flüsse. Wenn die teils giftige Fracking-Flüssigkeit in den Untergrund gepresst wird, kommt es immer wieder zu Unfällen.
Bei einer Fracking-Anlage in der Nähe von Jarmoskas Haus sei es eines nachts zu einem Leck gekommen, das erst bei Tagesanbruch bemerkt wurde, erzählt die Aktivistin. Da seien schon rund 200.000 Liter toxisches Fracking-Mittel über die Ränder der planierten Fläche und bergab in den nahe gelegenen Bach geflossen. Konsequenzen wie Umweltstrafen, die die zuständige Behörde im Staat, wo solche Vorfälle gemeldet werden müssen, verhängen könnte, gibt es oft nicht.
Bei einer Kompressorstation sei irgendwann der Druck zu groß geworden, erzählt Jarmoska weiter, also habe man Methan und andere Chemikalien abgelassen. In zwölf Stunden gab die Station deswegen so viele Emissionen ab, wie eigentlich nur für mehrere Monate erlaubt sind. »Wenn sie das nicht gemacht hätten, wäre die ganze Nachbarschaft in die Luft geflogen.« Der Aktivistin zufolge umgehen Gasfirmen zudem Regularien, indem sie Förderanlagen knapp unter der Flächengröße aufstellen, ab der schärfere Sicherheitsbestimmungen vorgeschrieben sind. Außerdem würden einfach »viele« Anlagen gebaut, weil es Obergrenzen für Emissionen nur pro Anlage gibt, nicht aber für die Firmen oder den Bundesstaat insgesamt.
Rund 22.000 Frackinggas-Förderanlagen wurden in den letzten Jahren in Pennsylvania genehmigt. Die Visualisierung der Daten dazu zeigt: Die Gegend nördlich und nordöstlich von Williamsport ist ein Fracking-Hotspot im Staat. Und in dem Gebiet gibt es ebenfalls besonders viele Verstöße – mehr als 16 000 sind es bisher in ganz Pennsylvania laut Angaben der Fractracker-Alliance, einer Organisation, die legale und illegale Fracking-Aktivitäten dokumentiert.
»Wenn du durch den Sucher einer Infrarotkamera auf diese Kompressorstation blicken würdest, dann würdest du Schlieren von ständig entweichendem Gas sehen. Direkt daneben spielen regelmäßig die Kinder der Schule«, erklärt Jarmoska, als sie ihr Auto am Rande eines Fußballplatzes einer Schule parkt. Direkt daneben steht eine Gasförderanlage. Eine weitere in der Nähe steht direkt neben einem Wohnhaus. »Wir setzen unsere Kinder so vielem aus. Es gibt hier nicht viele offensichtlich kranke Menschen, wie etwa in Washington oder Greene County südwestlich von Pittsburgh«, erklärt Jarmoska.
In Lycoming County wird »dry gas« gefördert, es ist 95 bis 99 Prozent rein. Bei der Förderung von weniger reinem »wet gas« im südwestlichen Pennsylvania hingegen müsse deutlich mehr giftige Chemie eingesetzt werden. Die Folgen für Anwohner bei Grundwasserverunreinigungen und dem Austritt von giftigen Abfallstoffen seien: blutende Nasen, Hautauschlag und Krebserkrankungen. Wissenschaftliche Studien zeigen eine Häufung von Asthma-Problemen, mehr Risikoschwangerschaften und Frühgeburten in Landkreisen, wo viel Fracking stattfindet.
»Unser Problem in Lycoming sind vor allem die Methan-Abgase und die Radioaktivität bei der Gasförderung«, sagt Jarmoska über ihren Landkreis. Letztere sei vielleicht auf längere Sicht ebenso schädlich, doch dies wisse man noch nicht. Schon seit den 30er Jahren ist bekannt, dass Bohrabfälle radioaktive Stoffe enthalten. Wissenschaftler der Harvard University haben zuletzt aber auch erhöhte radioaktive Strahlung in der Luft im Umkreis von Fracking-Bohrlöchern nachgewiesen.
Doch besonders viele kranke Menschen gebe es auch in Lycoming County, erzählt Jarmowska, die darauf verweist, dass die Krebsquote im Landkreis die fünfhöchste von allen 67 Counties im Staat sei. »Bei der Tochter meiner Nachbarin wurde vor kurzem eine seltene Form von Gehirnkrebs diagnostiziert.« Was die Ursache sei? Man wisse es nicht und könne die Schuld in vielen Fällen nicht eindeutig den Gasfirmen anlasten, die wiederum »einfach alles abstreiten«. Sie sei eine der wenigen, die überhaupt öffentlich über die Nachteile des Frackings in der Region redet. »
Wenn du etwas sagst, es publiziert wird und die Gasfirma sieht es, dann kann sie dich verklagen.« Viele Hauseigentümer mit Grundwasserverunreinigungen müssten zudem im Austausch gegen Wasserlieferungen durch die Gasfirmen Schweigevereinbarungen unterzeichnen. All das habe die Menschen hier »sehr scheu« gemacht. »Die Leute werden zynisch, verschließen sich, sagen ›Wir haben verloren‹«, resümiert Jarmoska.
»Fracking auf Steroiden«?
Als nächstes will ihre Organisation, die Responsible Drilling Alliance, juristisch gegen die Gasfirmen vorgehen. »Wenn sie mitbekommen, was wir vorhaben, werden sie mit einer Gegenklage auf uns losgehen, werden versuchen, uns juristisch zu zerstören, uns zu überwältigen. Wir erhalten Tausende Dollar Spenden, sie haben Hunderttausende, wir einen Anwalt, sie ganze Anwaltsteams«, sagt Jarmoska. Die Rechtsschutzversicherung der Responsible Drilling Alliance deckt einen Streitwert bis zu einer Million Dollar ab.
Trotzdem will die Organisation eine Klage gegen ein ambitioniertes Konzernprojekt einreichen, das die Aktivistin »Fracking auf Steroiden« nennt. Eine Gasfirma hat Förderanlagen auf zwei gegenüberliegenden Bergrücken errichtet und will diese offenbar mit einer Pipeline verbinden, die durch das dazwischen liegende Tal führt. So könne mit dem direkten Wasserzugang noch vollumfänglicher Gas gefördert werden, meint Jarmoska. Doch die Gasförderung in steiler Hanglage dürfe nicht zugelassen werden. Durch die Rodung der Hänge um die Pipelines herum nehme die Erdrutschgefahr zu. Bereits 2011 und 2016 seien »ganze Hänge« abgerutscht, die Erdmassen hätten Häuser unter sich begraben, auch eins von Freunden.
Das zeigt: Jarmoska hat auch eigene Interessen, kämpft auch um den Wert ihres eigenen Grundstücks am Loyalsock Creek, das bereits früher Umweltschäden erlitten hatte. Unweit ihres Hauses verläuft eine Benzin-Pipeline. Die wurde bei Überflutungen und Erdrutschen vor fünf Jahren beschädigt, mindestens 150 000 Liter Benzin liefen in den Fluss. Ein Wissenschaftler der University of Arizona hat berechnet, dass es tatsächlich etwa rund drei Millionen Liter gewesen sein müssen.
»Man konnte damals nicht länger als drei Minuten nach draußen gehen, ohne furchtbare Kopfschmerzen zu bekommen. Das Schlimmste war nach einem Tag vorbei, aber der Geruch des Benzins war noch monatelang da«, erinnert sich Jarmoska. Die Amphibien und die Fische im Fluss jedenfalls seien verschwunden, sagt die Seniorin. Das Land, auf dem sie lebe, sei noch nie überflutet worden, seit ihr Großvater es 1932 gekauft habe. Doch nun würden starke Regenfälle und Stürme wegen der Klimakrise häufiger.
»Wir werden noch mehr davon bekommen«, meint Jarmoska. Deswegen will sie das neue Fracking-Projekt mit einer Klage wegen des Risikos toxischer Schlammlawinen, die nach Starkregen und Stürmen Flusstäler hinunterschießen, verhindern, sieht es als Präzedenzfall für das, was die Gasfirmen künftig können und dürfen. Optimistisch blickt Jarmoska nicht auf die Erfolgsaussichten der Klage, auch wenn ihre Organisation den Top-Umwelt-Anwalt im Staat engagiert hat.
»Die Gasfirmen werden nach einem Urteil in Berufung gehen, sie blockieren dich vor Gericht, bis du kein Geld mehr hast«, das zeigten die Erfahrungen anderer Umweltschutzklagen. Währenddessen würden die Projekte weiterlaufen. Nur selten würde ein Projekt auch nur vorübergehend gestoppt, um das Ergebnis einer Klage abzuwarten. »Also können sie einfach weitermachen.«
Vor allem aber sei Gas keine Brückentechnologie, verhindere vielmehr den direkten Umstieg auf erneuerbare Energien: »Die Firmen investieren ja nicht nur für ein paar Jahre Milliarden in Pipelines, jetzt haben wir 50 Jahre diese Infrastruktur am Bein«, klagt die Aktivistin. Die Zeichen stehen auf Wachstum und Export, denn seit 2018 fördern die USA mehr »Naturgas«, als im Land verbraucht wird. Die US Energy Information Administration gibt für vergangenes Jahr eine landesweite Förderung von 34 Billionen Kubikfuß an, bis 2050 könnte diese auf über 43 Billionen ansteigen, der allergrößte Teil davon wird »Schiefergas« sein.
Studienautor Sean O’Leary vom Ohio River Valley Institute ist der Überzeugung, dass diese Projektionen nicht eintreffen. Er sieht Fracking »bereits an seinem Zenit oder kurz davor«. Der Grund: Die Möglichkeiten, alte Kohle-Infrastruktur in der Energieversorgung des Landes zu ersetzen, seien beinahe erschöpft, der politische Druck auf die Industrie steige, und erneuerbare Energien seien immer preiswerter und würden immer größere Marktanteile erobern. Er hofft, dass die Biden-Administration für die Beschäftigten der Gas-Industrie einen »erfolgreichen Übergang zu Jobs in der grünen Energiewirtschaft« organisiert. Wenn dies »allein dem Markt überlassen wird, werden die Folgen für Arbeiter und die Region unnötig hart sein«.
Auch Jarmoska hofft auf einen neuen Kurs bei der nationalen Umweltschutzbehörde EPA und der neuen Biden-Regierung. Die will versuchen, den Methan-Ausstoß bei Erschließung, Ausbeutung und nach Ende der Gasförderung zu reduzieren. Auch weil es Druck aus der Europäischen Union gibt, Frankreich und Irland etwa haben bereits die Einfuhr von US-Frackinggas reduziert. Die Biden-Regierung hat den Kampf gegen die Klimakrise zu einem Schwerpunkt erklärt, will dabei »gut bezahlte grüne Gewerkschaftsjobs« schaffen, aber auch den Gasexport fördern. Für viele Aktivisten ein Widerspruch.
Doch Jarmoska hofft auf Fortschritt, ist Zweckoptimistin. »Wir sind nur für eine kurze Zeit auf dieser Erde, und wenn ich auf mein Leben zurückblicke: Wir verkaufen heute kein bleihaltiges Benzin mehr, homosexuelle Menschen können jetzt heiraten – die Welt heute ist eine andere als die meiner Kindheit«, sagt die Seniorin. »Als Großmutter will ich meinen Enkeln erzählen, dass ihre Großmutter gekämpft hat. Das ist alles, das ist mein Erbe.«
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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