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Auf Casanovas Spuren
Ansgar Bach hat ein Buch über den Aufenthalt des berühmten Abenteurers in Berlin und Potsdam geschrieben
Wenn man denn in der Coronakrise reisen dürfte und könnte und Ausstellungen besuchen! Im Palazzo Malipiero in Venedig gibt es ein Museum über den Abenteurer und Lebemann Giacomo Casanova (1725-1798). Berühmt geworden ist er zu seiner Zeit durch seine spektakuläre Flucht aus den Bleikammern, dem Gefängnis seiner Heimatstadt Venedig. Diese Flucht können Besucher des Museums in der virtuellen Realität aus der Perspektive Casanovas nacherleben. Klein ist die Ausstellung, nicht billig der Eintritt, doch es wird für das Geld etwas geboten.
Dies lässt sich auch über Ansgar Bachs Buch »Casanova in Berlin und Potsdam« sagen. Der Schauspielersohn Casanova, der im Leben verschiedene Rollen meisterhaft spielte, kam viel rum in Europa, traf Könige und Philosophen, stieg Frauen jeden Standes nach, ergaunerte Geld mit spiritistischem Firlefanz, brachte die Summen mit Glücksspiel und Verschwendung durch und lebte am Ende verarmt und vergrämt als Bibliothekar in Böhmen. Doch genau da begründete er auch seinen Nachruhm, indem er seine Memoiren und damit ein Stück Weltliteratur verfasste.
Die mehr als 500 Seiten seiner Erinnerungen sind heute noch lesenswert - und diesen Genuss können die Corona-Beschränkungen nicht verwehren. Casanovas Episode in Berlin und Potsdam kommt erst gegen Ende und nimmt nicht viel Raum ein. Auch ist sie verglichen mit den anderen Abenteuern Casanovas nicht besonders spannend. Er kommt in der Zeit, als der preußische König Friedrich II. mit seinem Vermögen aus Angst vor Verlusten aus der Lotterie aussteigt. Casanova kennt sich mit dem Geschäft aus und entwirft einen Plan, die Lotterie dennoch fortzuführen.
Es ist Sommer 1764, Casanova ist 39 Jahre alt und erst im März aus London entwichen, wo ihn eine Kurtisane zappeln ließ und seine Börse erleichterte. Im Potsdamer Park Sanssouci trifft er den König. Der soll zu ihm gesagt haben: »Wissen Sie, Sie sind ein schöner Mann.« Casanova antwortete mit der Frage: »Ist es möglich, dass Eurer Majestät nach einer langen wissenschaftlichen Unterhaltung an mir der geringste der Vorzüge auffällt, die Eurer Majestät Grenadiere auszeichnen?« Fünf oder sechs Wochen später bekommt Casanova vom König die Stelle eines Erziehers an einer Kadettenschule angeboten, lehnt nach einer Besichtigung jedoch dankend ab. Viel mehr steckt nicht dahinter. Aber was Ansgar Bach daraus macht! Er geht den Einzelheiten des Aufenthalts in den beiden Städten nach, liefert die Hintergründe zu den handelnden Personen, zur Geschichte der Lotterie und zum Lebenswandel Casanovas, der sich damit herausredete, die vielen Frauen, denen er die Heirat versprach oder zumindest die Treue schwor, allesamt abgöttisch geliebt zu haben. Immer sei ihm etwas dazwischen geraten - und er erzählt in seinen Memoiren sehr geschickt und eindrücklich, wie es jeweils dazu gekommen sei. Nur in einem Fall gelingt es dem Filou nicht, sich reinzuwaschen. Dass er einer Frau ein Kind anhängte, dass dann einfach weggegeben wurde - Casanova ist nicht nur dieses eine Mal Vater geworden - lässt ihn dann doch hässlich und unsympathisch erscheinen.
Weit verbreitet ist es, den Mann auf seine erotischen Abenteuer zu reduzieren und deshalb mit spitzen Fingern anzufassen. In seiner Zeit fiel er durch sein Liebesleben nicht außergewöhnlich auf. Andere trieben es ähnlich toll und dreist. Aber Casanova war ausgesprochen gebildet und ein Freigeist in religiösen Dingen, weswegen ihn die Inquisition in die Bleikammern sperrte.
Um dies alles im Detail zu erfahren, muss man jedoch die Erinnerungen insgesamt studieren. Bachs Buch kann dies nicht ersetzen und will es auch gar nicht. Es soll im Gegenteil Lust darauf machen. »Den Lesern wünsche ich Anregung«, schreibt er im Vorwort.
Es ist nicht das erste Buch dieser Art aus seiner Feder. 2015 erschien »Casanova in Leipzig« und 2017 »Giacomo Casanova in Dresden«. Und das soll es nicht gewesen sein. »Casanova in Köln« drängt sich als Thema auf, weil diese Stadt eines seiner besonders tollen Liebesabenteuer gewesen ist, das in den Memoiren auch recht breiten Raum einnimmt. Ein solcher Band soll spätestens 2022 erscheinen, kündigt Ansgar Bach auf Nachfrage an. Er kann darin auch neue Erkenntnisse liefern. Denn in den Erinnerungen sei nur der erste Aufenthalt Casanovas in Köln geschildert. Ein zweiter Aufenthalt lasse sich aber aus bislang der Forschung noch unbekannten Briefen und Dokumenten rekonstruieren, die er entdeckt hat, verrät Bach.
In »Casanova in Berlin und Potsdam« brachte er die Forschung mit einem Detail voran: Den auf einer Liste im Nachlass von Casanova gefundenen Namen Caramondani konnte er dem an der italienischen Hofoper in Berlin angestellten Dichter Antonio de Filistri da Caramondani zuordnen.
Ansgar Bach: Casanova in Berlin und Potsdam. Seine Affären und die Begegnung mit Friedrich, Verlag Kopf und Welt, 127 Seiten, 14 Euro
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