Erst kalt, dann warm, dann langsam

Auf den Langlaufstrecken dieser WM hat das deutsche Team immer wieder Probleme mit dem Material

  • Lars Becker, Oberstdorf
  • Lesedauer: 4 Min.

Gleich zwei WM-Titel müssen die deutschen Kombinierer in den kommenden Tagen bei den Nordischen Ski-Weltmeisterschaften von Oberstdorf verteidigen. Normalerweise stünden die Chancen für Rekordweltmeister Eric Frenzel auf einen neuerlichen doppelten Golderfolg im zweiten WM-Einzelwettbewerb am Donnerstag und dem Teamsprint (Samstag) gut. Wenn da nicht die Sorge bei Bundestrainer Hermann Weinbuch wäre, ob dem deutschen Team konkurrenzfähiges Material zur Verfügung steht. »Die Techniker arbeiten Tag und Nacht, aber ich bin skeptisch ob sie es hinbekommen. Wir haben die Chance, um die Medaillen mitzukämpfen. Aber wenn wir die Norweger schlagen wollen, brauchen wir gleichgute Ski.«

In den ersten beiden Entscheidungen dieser Heim-WM war das nicht der Fall. Ein wichtiger Grund dafür, warum Frenzel bei der ersten Einzelentscheidung statt der eingeplanten Medaille nur Platz vier schaffte. Und es im Team »nur« Silber statt der erhofften Goldmedaille gab. Auch die deutschen Skilangläufer waren in einigen Wettbewerben materialtechnisch nicht konkurrenzfähig. Besonders offensichtlich wurde das im Skiathlon am Wochenende, wo jeder Anstieg für die deutschen Langläuferinnen zur Tortur wurde. Am steilen Burgstall rutschte die im Weltcup schon aufs Podest gelaufene Hoffnungsträgerin Katharina Hennig bei jedem Schritt weg. Folgerichtig gab es Tränen, nachdem sie statt auf dem erhofften Top-Ten-Platz nur als 29. ins Ziel gelaufen war.

Beim 10-Kilometer-Rennen am Dienstag wurde Hennig dann gar nicht erst eingesetzt, Chancen auf eine Medaille wurden ihr in der freien Technik ohnehin nicht eingeräumt, also wurde sie für die kommenden Rennen geschont. Mit riesigem Abstand zur Konkurrenz ganz vorn landete mal wieder eine Norwegerin: Therese Johaug siegte fast eine Minute vor den Schwedinnen Frida Karlsson und Ebba Andersson.

Beste Deutsche wurde Victoria Carl aus Zella-Mehlis auf einem respektablen 14. Platz, aber mit fast zwei Minuten Rückstand. Die weiteren jungen deutschen Starterinnen Pia Fink (20.), Lisa Lohmann (39.) sowie Antonia Fräbel (39.) hatten sogar noch weniger mit dem Rennausgang zu tun.

»Das Thema begleitet uns seit WM-Beginn. Bei uns muss für gute Resultate alles passen. Und wenn wir Materialprobleme haben, stehen die Chancen dafür schlecht. Ich hoffe, wir bekommen eine schnelle Lernkurve hin«, sagt der deutsche Skilanglauf-Teamchef Peter Schlickenrieder. Dabei müssten die Chancen auf perfektes Material so gut wie nie zuvor sein: Neben neun Skitechnikern haben die Loipenspezialisten bei dieser Heim-WM erstmals auch eine mobile Schleifmaschine zur Verfügung. Damit können feine Strukturen (Schliffe) in den Belag der Ski gebracht werden, die die Bretter dann besser gleiten lassen sollen. Trotz dieses Hightech-Einsatzes klappt es aber nicht, sowohl für Anstieg als auch Abfahrten passende Ski bereitzustellen, so wie sie die dominanten Norweger, aber auch die Schweden oder Finnen bei den Titelkämpfen fast durchgängig zur Verfügung haben. Auch das Podest am Dienstag wurde erneut komplett von Skandinavierinnen besetzt.

Erst extrem kalt, dann frühlingshaft warm - die interne Analyse im deutschen Team hat ergeben, dass die bisherigen Resultate mit den außergewöhnlichen Wetter- und Schneebedingungen in Oberstdorf zusammenhängen. In den Wochen vor den Titelkämpfen wurde in einer extremen Kälteperiode viel Kunstschnee produziert, der wegen der damals niedrigen Temperaturen von bis zu minus 20 Grad sehr trocken ist. In den sonnigen WM-Tagen ist es im Gegensatz dazu nun so warm, dass sich der Schnee in eine zähe, grobkörnige Masse verwandelt. Um die Strecken in ordentlichem Zustand zu halten, müssen die Organisatoren regelmäßig salzen. So wird dem Schnee die Feuchtigkeit des Schmelzwassers gezogen. Das Ergebnis: »Trockener Schnee, der sich wie Treibsand anfühlt«, wie es der deutsche Frauen-Langlauftrainer Erik Schneider umschreibt.

Nun mag die Frage erlaubt sein, warum ausgerechnet die Techniker aus dem sonst so kalten Norden mit den warmen Bedingungen besser klarkommen. Die Antwort: Starke Wärmephasen nach extremer Kälte gibt es in Deutschland sehr selten. In den skandinavischen Ländern, wo viele Monate mehr skigelaufen werden kann, dagegen häufig. Besonders im Frühjahr werden in Norwegen auf den hochgelegenen Fjellen Strecken für die Topläufer gesalzen, und die einheimischen Skitechniker können dann jede Menge Erfahrungen sammeln.

Aus diesem Grund wollten auch die deutschen Materialexperten im vergangenen Jahr einmal in dieser Jahreszeit in den Norden reisen und sich das perfekte WM-Setup zurechtlegen. Laut Schneider fiel die Exkursion allerdings der Pandemie zum Opfer. Also rätselt im deutschen WM-Team nun jeder, was das Geheimnis der Skandinavier sein könnte. »Vielleicht braucht man einen runderen Schliff, um quasi über den Schnee gleiten zu können. Vielleicht braucht man aber auch ein ganz spezielles Wachs«, mutmaßt Weinbuch.

An der Qualität der deutschen Techniker oder am generellen System liege es jedenfalls nicht, das unterstreichen Kombinierer wie Langläufer unisono. Schließlich haben speziell die deutschen Winterzweikämpfer bei den letzten drei Weltmeisterschaften acht von zwölf möglichen Titeln gewonnen. Den Glauben, dass man diese Erfolgsserie fortsetzen kann, mag Hermann Weinbuch auch noch nicht aufgeben: »Wir treten in jedem Wettkampf mit dem Anspruch an, Gold zu gewinnen. Vielleicht schlägt ja das Wetter um.« Ab Donnerstagabend soll es in Oberstdorf tatsächlich regnen und deutlich kälter werden. Bedingungen, unter denen die deutschen Skitechniker schon häufig gutes Material bereitgestellt haben.

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