Fehde rockt Schottland

Chefministerin muss sich einem Untersuchungsausschuss stellen

  • Peter Stäuber, London
  • Lesedauer: 3 Min.

Nicola Sturgeon, Erste Ministerin Schottlands, und ihr Vorgänger Alex Salmond sind prägende Figuren der schottischen Unabhängigkeitsbewegung. Gemeinsam haben sie die Scottish National Party (SNP) zu jener beherrschenden Kraft gemacht, die sie heute ist.

Doch nun sind sich die ehemaligen Gefährten spinnefeind. Ihr bitterer Streit dominiert derzeit die Politik in Edinburgh und bringt die Regierungschefin in Bedrängnis. Salmond wirft Sturgeon vor, dass sie seinen Ruf zerstören wollte, als vor drei Jahren Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Ersten Minister der Jahre 2007 bis 2014 vorgebracht wurden. Sturgeon nennt Salmonds Vorwürfe »wilde Verschwörungstherorien«, es gäbe »nicht die Spur eines Beweises«.

Mit der Affäre befasst sich nun auch eine parlamentarischen Untersuchungskommission. Parallel dazu untersucht ein weiteres Gremium, ob Sturgeon durch ihr Handeln den »ministerial code« verletzt hat - also ihren Pflichten als Ministerin zuwider handelte. Sollten sich Salmonds Vorwürfe am Ende als berechtigt herausstellen, wäre Sturgeons Position kaum noch haltbar. Ein Rücktritt wäre dann wahrscheinlich.

Die Geschichte ist komplex und in den Details etwas trocken, bei denen es vor allem um prozedurale Fragen geht. Begonnen hat die Affäre im Frühjahr 2018. Damals beschuldigten mehrere weibliche Staatsangestellte den Ex-Regierungschef Salmond, sie sexuell belästigt zu haben. Es folgte eine regierungsinterne Untersuchung, die jedoch im folgenden Jahr für unzulässig befunden wurde, weil der verantwortliche Beamte zuvor Kontakt mit den Klägerinnen hatte. Die Regierung musste Salmonds Rechtskosten von über einer halben Million Pfund begleichen.

Unabhängig davon folgte ein Gerichtsprozess zu den Vorwürfen, der 2019 mit einem Freispruch für Salmond endete. Doch danach ging es erst richtig los: Salmond beschuldigte Sturgeon und andere führende SNP-Figuren, sie hätten im Zusammenhang mit den Anschuldigungen gegen ihn versucht, ihn aus dem öffentlichen Leben zu verbannen. Sturgeon habe zudem das Parlament falsch informiert, als sie sagte, sie habe erstmals am 2. April 2018 direkt von Salmond von den Vorwürfen gehört. Mittlerweile räumt die Regierungschefin ein, dass sie bereits einige Tage vorher darüber informiert worden sei, das Treffen aber vergessen habe. Das Detail ist entscheidend, denn die Unterredung mit Salmond hätte demnach als offizieller Regierungstermin gemeldet werden müssen - was Sturgeon aber nicht tat. Ein weiterer Vorwurf lautet, dass die Regierung Salmonds Beschwerde gegen die verpfuschte interne Untersuchung 2018 gerichtlich angefochten hat, obwohl es laut ihrer eigenen Rechtsberatung kaum Chancen auf Erfolg gab.

»Die Verfehlungen der Regierung sind zahlreich und offensichtlich«, sagte Salmond am vergangenen Freitag, als er dem parlamentarischen Ausschuss fünf Stunden lang Fragen beantwortete. Sturgeon und führende Verbündete hätten einen »bewussten, anhaltenden und böswilligen Versuch« gestartet, seinen Ruf zu zerstören und ihn sogar hinter Gitter zu bringen. Am Mittwoch musste Nicola Sturgeon selbst vor dem Komitee auftreten, um auf die Vorwürfe zu antworten. Bereits zuvor forderte die konservative Opposition ihren Rücktritt.

Der Streit könnte die schottische Politik nachhaltig beeinflussen. Derzeit ist die SNP in einem Hoch: Der unbeliebte Brexit und die überzeugende Figur, die Sturgeon in der Pandemie abgab, haben ihrer Regierung einen Popularitätsschub versetzt. Laut aktuellen Umfragen wird die Partei die Regionalwahlen im Mai haushoch gewinnen.

Die Affäre um Salmond gefährdet den erwarteten Erdrutschsieg. Nach einer Erhebung von Anfang Februar findet mehr als ein Drittel der Schotten, der Streit habe die SNP weniger attraktiv gemacht. Wenn die Untersuchungskommission in den kommenden Wochen zum Schluss kommt, dass die Regierungschefin tatsächlich grober Verfehlungen schuldig ist, würde dies die Erfolgschancen der SNP drastisch schmälern. Das würde auch die Aussichten auf ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum trüben: Die SNP zählt darauf, dass sie nach einem Kantersieg in einer starken Position wäre, um in Westminster eine zweite Volksbefragung einzufordern. Im Fall eines weniger deutlichen Wahlausgangs hätte es die Regierung in London leichter, diese Forderung zu ignorieren.

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