Druck aus dem Norden

Auch unter US-Präsident Biden bekommt es Mexiko mit dem Führungsanspruch des großen Nachbarn zu tun

  • Raina Zimmering
  • Lesedauer: 7 Min.

Wer glaubt, dass sich nach den Angriffen durch die Trump-Regierung die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter der neuen Administration von Joe Biden weitgehend problemfrei entwickeln, irrt sich. Wenn auch nicht mehr der Bau einer Mauer das vorrangige Thema sind, so spielen langfristig wirkende Konfliktlinien am geografischen Übergang vom anglikanischen zum lateinischen Amerika, dem Scheidepunkt zwischen dem globalen Norden und globalen Süden eine sehr nachhaltige Rolle. Ebenso die geostrategische Position als Durchgangsland der Migrationsströme aus Mittel-, Südamerika und der Karibik in die USA.

Konkret müssen dabei die wirtschaftliche Abhängigkeit Mexikos von den USA und die unterschiedlichen entwicklungspolitischen Strategien zwischen den beiden Präsidenten Joe Biden und Lopez Obrador genannt werden. Rund 80 Prozent der mexikanischen Exporte gehen in die USA und ein Großteil der Auslandsinvestitionen kommen aus den USA. Für die USA nimmt Mexiko Platz drei unter den Außenhandelspartnern ein. Zweitens geht es um die Auslandsüberweisungen (Remesas) der US-Mexikaner und die Migration. Circa 38 Millionen Mexikaner leben in den USA, die im letzten Jahr 40,6 Milliarden US-Dollar nach Mexiko überwiesen. 13 Millionen US-Amerikaner machen jährlich Urlaub in Mexiko oder lassen sich dort medizinisch behandeln. Diese Abhängigkeiten erforderten schon immer besondere Beziehungen, die sich zwischen Annäherung und Entfernung bis hin zu Konflikten bewegten.

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Angesichts dessen scheint es nicht unlogisch, dass Mexikos Präsident nach den US-Wahlen Joe Biden nicht sofort gratulierte. Er erntete dafür von der Opposition harsche Kritik. Überwiegend von den ehemaligen großen Parteien wie die Partei der Nationalen Aktion, die Partei der Permanenten Revolution und die Partei der Demokratischen Revolution.

Die Beziehungen zwischen Mexiko und den USA unter Donald Trump waren äußerst ambivalent. Einerseits waren sie von den verbalen Beleidigungen durch Trump gegen »die« Mexikaner und lautstarken Drohungen geprägt. Den Bau der Grenzmauer sollte die mexikanische Regierung bezahlen. Trump drohte ständig mit Sanktionen. Dieses Vorgehen diente in erster Linie der Befriedigung des Trump-Lagers, das überwiegend rassistisch und latinophob eingestellt ist.

Die andere Seite der Beziehungen ist viel weniger bekannt und hat sich mehr im Verborgenen abgespielt, ist aber für Mexiko umso wichtiger. Als der mexikanische Präsident im Sommer 2020 die USA besuchte, schien er sich mit Trump recht gut zu verstehen. Beidem Treffen wurde über die Rolle Mexikos bei der Eindämmung der Migration beraten und für den Einsatz mexikanischer Militärs und die Bildung der Nationalgarde als Grenzschutzbehörden grünes Licht gegeben. Die USA verschoben damit ihre Grenzsicherung gegen die lateinamerikanische Migration nach Süden, wobei Mexiko die »Polizeiarbeit« für die USA übernehmen musste. Das mexikanische Militär und die Nationalgarde sollten die Migration sowohl an der Grenze zwischen den USA und Mexiko als auch weiter südlich an der Grenze zu Guatemala abwehren. Außerdem verpflichtete sich Mexiko, Migrant*innenlager zu errichten, von denen aus Asylanträge in die USA gestellt werden konnten. Mexiko erhält dafür finanzielle Unterstützung. Während der Pandemie, als die USA ihre Grenzen schlossen und keine Asylanträge mehr bearbeiteten, hatte Mexiko mit großen Problemen bei der Versorgung der Migranten und der Pandemieeindämmung zu kämpfen und begann, ähnlich wie die USA, Migrant*innen abzuschieben.

Die wichtigste Tatsache in den Beziehungen Mexikos zur Trump-Administration war das T-MEC-Abkommen mit den USA und Kanada als Nachfolger des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta. Im neuen Vertrag konnte Mexiko einige Interessen unterbringen, die gegenüber Nafta eine Verbesserung darstellten. Dazu gehören Arbeitsrechte mexikanischer Arbeiter in den USA. Außerdem hielt sich Trump nicht buchstabengetreu an den Vertrag und überließ Mexiko einen relativ großen Handlungsspielraum bei der Umsetzung seiner »Vierten Transformation«, die Industrialisierung und Sozialpolitik unter staatlicher Kontrolle bedeutet. Demgegenüber rückte Trumps Rhetorik in den Hintergrund.

Präsident Lopez Obrador treibt die Militarisierung des Staates voran, die dem Kampf gegen Drogenkartelle und Korruption dienen soll. Er löste die Bundespolizei auf und bildete aus einem Teil davon und aus Armee und Marine die Nationalgarde, die innere Aufgaben, insbesondere im Kampf gegen Drogenhandel und Korruption übertragen bekam und dem Verteidigungsministerium unterstellt ist. Obrador verpflichtete das Militär zur Übernahme vieler öffentlicher, ziviler und wirtschaftlicher Aufgaben. Dazu gehören Führungspositionen beim Bau des größten Flughafens Santa Lucia, die Kontrolle der Häfen, die Leitung des Zolls, von Kraftwerken und beim Bau des Maya-Zuges im Süden Mexikos, das als Tourismusprojekt ausgegeben wird, aber eher auf die wirtschaftliche Erschließung des Landessüdens abzielt. Das Militär beeinflusst zunehmend das zivile Leben: Es verteilt Schulbücher, wird in die Pandemiebekämpfung eingebaut und organisiert Baumpflanzprojekte. So soll das Militär die »Vierte Transformation« absichern, die zwar mit Hilfe des transnationalen Kapitals, aber unter nationaler Kontrolle verlaufen soll und sich durch seinen Neokonservatismus von der neoliberalen Politik der vorigen Regierungen unterscheidet. Umweltstandards und Basisdemokratie werden dabei missachtet.

Unter der neuen US-Regierung von Joe Biden erhofft sich Mexiko eine freundlichere Rhetorik und die Zusammenarbeit in internationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation, der OECD und der Uno. Dies ist für Mexiko von großer Bedeutung, da es zwischen 2021 und 2023 Mitglied des UN-Menschenrechtsrats und des Sicherheitsrates sein wird sowie den G-20 angehört.

Andrerseits sieht man durch die Biden-Administration erhebliche Schwierigkeiten auf sich zukommen. Die Ambitionen der neuen US-Regierung, ihren Führungsanspruch als »Weltordnungsmacht« und »Führungsmacht in der Hemisphäre« effizient durchzusetzen, werden sich auf den innen- und außenpolitischen Handlungsspielraum Mexikos auswirken. So werden die »Vierte Transformation« und die neue Rolle des Militärs in Mexiko großen Herausforderungen gegenüber stehen. Die wirtschaftlichen Mega-Projekte der Regierung, mit denen Obrador nationale Souveränität und staatliche Kontrolle zurückgewinnen will, werden den Umweltauflagen des Pariser Klima-Abkommens, das die USA wieder unterstützen, und dem T-MECA-Vertrag nicht entsprechen können.

Ebenso verhält es sich mit der Militarisierung des Landes. Gegenüber den USA wurde die Militarisierung durch die Absicherung der Grenzen gegen Migration gerechtfertigt. Nun schlägt die US-Regierung einen Kurswechsel in der Migrationsfrage ein; das Schwergewicht wird auf die Bewahrung der Menschenrechte und die Migrationsbekämpfung in den Herkunftsländern gelegt. Das macht eine militärische Absicherung unnötig. Doch hat die neue US-Administration trotz Maßnahmen zur Legalisierung der in den Lagern wartenden Migrant*innen keine Lösung für die nachrückenden Ströme, die Mexiko durchqueren. Eine von der kontinentalen Sicherheitsstrategie der USA und der Nato unabhängige Militarisierung im Nachbarland, die der Absicherung eines eigenen Entwicklungsweges dienen soll, werden die USA zu verhindern versuchen.

Die Auseinandersetzungen um die Souveränität Mexikos gegenüber den USA spiegeln sich besonders im Fall des Ex-Verteidigungsministers Salvador Cienfuegos wider. Dieser wurde wegen Drogenhandels und Geldwäsche, ohne Absprache mit Mexiko, während eines USA-Urlaubs verhaftet. Die US-Drogenschutzbehörde DEA hatte ihn zwölf Jahre beobachtet. Die mexikanische Regierung kritisierte das Vorgehen der DEA wie auch deren Agieren in Mexiko. Die DEA kam auch dem mehrfachen Ersuchen des mexikanischen Präsidenten nicht nach, über die Aktivitäten US-amerikanischer Kartelle in Mexiko zu informieren. Offensichtlich ist das Vertrauen in den Nachbarstaat durch diese US-amerikanische Behörde erheblich gestört.

Die Verhaftung von Cienfuegos in den USA rief den Widerstand des mexikanischen Militärs hervor, was Obrador veranlasste, die Auslieferung des Ex-Ministers zu erwirken, indem er die Beziehungen zu den USA in Frage stellte. Gleichzeitig versprach Obrador, den Prozess gegen Cienfuegos in Mexiko fortzusetzen. Nach der Prüfung des Falles durch die mexikanische Staatsanwaltschaft wurde Cienfuegos jedoch wegen fehlerhafter Beweise der DEA freigelassen. Um sich dem Vorwurf der Straflosigkeit zu entziehen, ließ Obrador die geheime Akte der DEA veröffentlichen und verabschiedete ein Sicherheitsgesetz, nach dem ausländische Geheimdienste nur in Zusammenarbeit mit den Behörden in Mexiko agieren dürfen. Das führte zu erheblicher Verstimmung in den USA. So lässt der Fall Cienfuegos neue Auseinandersetzungen zwischen der mexikanischen und US-Regierung sowie eine intensivere Annäherung Mexikos an Lateinamerika als mögliche Option erscheinen.

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