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Für unsere Sache, für unsere Freiheit!
Rosa Luxemburg appelliert nach dem 1. Mai 1892 an die Einheit der Arbeiter und wendet sich scharf gegen jeden Antisemitismus
Der hier erstmals in Übersetzung wiedergegebene Text ist eine der beiden frühesten Arbeiten der am 5. März 1871 in Zamość geborenen Rosa Luxemburg. Im Mai 1892 geschrieben, deuten die Zeilen die Weichenstellung an, die sich im Sommer 1893 mit der ersten Ausgabe der Zeitung »Sprawa Robotnicza« (»Arbeitersache«) und der Gründung der ersten sozialdemokratischen Partei im Zarenreich vollzieht. Rosa Luxemburg ist in ihrem Studienort Zürich mit Leo Jogiches liiert, beide verschreiben sich dem politischen Kampf. Der Ausbruch massenhafter Arbeiterproteste in Łódź im Mai 1892 sind die größten Unruhen in Polen seit Niederschlagung des Aufstands von 1863/64, sie sind aber vor allem das erste große Fanal des nun immer gefährlicher werdenden Feindes der Zarenherrschaft - der Arbeiterbewegung. Rosa Luxemburg setzt künftig entschieden auf das Zusammengehen von polnischer und russischer Arbeiterbewegung, um politische Freiheit durchzusetzen und den Zaren zu stürzen. Im Keim verweist der Text auf die politische Revolution im Zarenreich, die fortan als unausweichlich erkannt wird.
Rosa Luxemburg - Der Feiertag des 1. Mai 1892 in Łódź
I
Über London strahlt die erste Maisonne. Der düstere Fabrikriese schweigt. Alles, was Beine hat, zieht in den Park hinter der City. Im Park wimmelt es nur so von menschlichen Köpfen, die Tröpfchen im Meer gleichen. Durch die zahllosen Tore drängen immer neue Menschenströme herein. An vierzehn Stellen erheben sich wie kleine Inseln vierzehn Tribünen, über denen im Wind das rote Banner flattert, die eine nach der anderen von Rednern erstiegen werden, die das Wort laut und vernehmlich ans Volk richten. Das Menschenmeer wogt hin und her. Jeder Redner endet mit dem Ruf: Es lebe der achtstündige Arbeitstag! Die Wellen im Menschenmeer fangen den Ruf auf und werfen ihn hinauf in den Himmel: Es lebe der 1. Mai! Vor diesem Ruf erzittern die düsteren Londoner Fabriken und schweigen, erfüllt von einem unheilvollen Gefühl, voller Nachdenklichkeit.
Durch Hamburg zieht ein herrlicher Trupp mit roten Fahnen und Musik. 150 000 deutsche Arbeiter ziehen ruhigen Schritts durch die Straßen, im Schritt und hintereinander aufgereiht. Bei jeder Bewegung schwingen die schweren Arbeiterfahnen. Die Frühlingssonne spielt im Himmelsblau, die Sonnenstrahlen fallen auf goldene Lettern auf den Fahnen: Achtstundenarbeit - Feiertag des 1. Mai.
Aus den Fenstern der umstehenden Häuser blinzeln die bangen Augen reicher Hamburger, die verwundert auf den Marsch blicken und aus den goldenen Lettern das näherkommende Ende der Ausbeutung herauslesen.
Die schöne Schweiz lacht in der Frühlingssonne. In Zürich geht es lust- wie geräuschvoll zu. Durch die Straßen schlendern feierlich angezogene Arbeiterfamilien. In Bayern überall Menschenvolk. Musik, Trubel und Vergnügen. Und die Musik, den ganzen Trubel und das Vergnügen durchdringt der eine erklingende Ton: Der achtstündige Arbeitstag! Die Maifeier! Offen und prächtig begehen die Arbeiter in ganz Europa und weltweit ihren Arbeiterfeiertag.
In Warschau schleichen sich Gruppen von Arbeitern verstohlen und heimlich aus der Stadt hinaus ins Grüne, sie halten sich von den Schlagbäumen fern, an denen die Wachmänner Posten schieben, und nur flüsternd wiederholen sie, was heftig in ihren Herzen schlägt: Achtstundenarbeit! 1. Mai! Politische Freiheit!
Der Wachmann mit dem Säbel schaut grimmig nach ihnen, der Gendarm aber greift sich die Rückkehrer am Schlafittchen und bringt sie ins Gefängnis, sperrt sie ein. Und in Łódź …, in Łódź leuchten die Straßen nicht vom Rot der Fahnen, sondern vom roten Blut. Statt Liedermelodie ertönen Peitschenknall und Gewehrsalven.
II
Die Arbeiter in Łódź haben den Tag des 1. Mai mit der ganzen Welt gefeiert. Wie ein roter Faden durchzog der 1. Mai das Stimmengewirr auf Straßen und Plätzen. Um diesen Faden herum bewegten sich im Trubel die Gespräche, die Klagen über das schwere Leben, das beklagenswerte Elend, Flüche gegen die Ausbeuter … Der Geräuschpegel stieg deutlich an, die Klagerufe erschollen immer höher, bis sie an den herausgeputzten Wohnhäusern der Reichen zurückprallten. Die Häuserwände erzitterten, der Glanz ermattete. Erzittert ruhig, ihr Unterschlüpfe für Ausbeutung, Müßiggang und Wollust! Erzittert, denn bald schon werdet ihr zu Boden stürzen. Vor euch stehen Arbeiter. In den Brüsten der Arbeiter machen sich altes Unrecht, Wut und Empörung breit. Sie stehen zusammen, vereinigt im Elend und in der Empörung, vereinigt untereinander und mit den Arbeitern in der ganzen Welt. Zusammen und einig sind sie eine Kraft, ein Riese; sie können euch Wohnhäuser der Reichen zertrümmern und hinwegreißen, so wie die reißende Welle im Hochwasserfluss! ... Sie haben lange genug still und geduldig die Last ihres Elends ertragen. Der Rücken hat sich gekrümmt unter dieser Last. Der Körper ausgemergelt von den saugenden Schmarotzern. Die Hände mit Schwielen durchsetzt von der ewigen Arbeit. Die Teuerung hat ihnen die elendigen Krümel aufgefressen, von denen sie sich noch ernährt haben. Und so haben die Arbeiter von Łódź, einig in der Empörung, stark in der Einheit, beschlossen: Keiner rührt einen Finger, bevor die Fabrikanten nicht die Arbeit gekürzt, den Lohn erhöht haben!
Die Sonne ging wieder unter am 1. Mai. Über Łódź breitete sich die Nacht aus, die Menschen legten sich schlafen. Die Fabrikanten schliefen in ihren weichen Betten nach prächtigem Abendessen und Wein. Schliefen und ahnten nicht, welch ein Sturm sich über ihnen zusammenbraut, wie der Boden unter ihnen zu wanken beginnt. Es schliefen auch die Arbeiter auf ihrem harten Lager, doch die Lungenflügel atmeten Zuversicht, Hoffnung und Mut.
Am zweiten Tag schwiegen die größten Fabriken: die Arbeiter gingen nicht zur Arbeit. Am dritten und vierten Tag verstummten die restlichen Fabriken. Die Tüchtigsten und Mutigsten zogen die Schwächeren und Ängstlichen mit. Łódź, sonst an einem Werktag aufgewühlt und arbeitsam, wurde still, ohne das Rattern der Maschinen und das Pfeifen der Fabriken. Der glänzende Arbeiterstreik in Łódź dauerte bereits den fünften Tag. 100 000 Arbeiter standen einmütig und eingereiht. 100 000 Arbeiter forderten ihre Herren zum Kampf heraus: Sie forderten den kürzeren Arbeitstag und höheren Lohn, von der Regierung aber verlangten sie Freiheit!
Die Arbeiter hatten sich in der Einschätzung ihrer Kraft nicht geirrt. Die Fabrikanten erschraken vor der unglaublichen Menge, vor den Abertausenden, die sie gefährlich herausforderten. Sie, die jeden Arbeiter einzeln in ihren Klauen halten, sein Blut aussaugen, ihn erniedrigen und brechen, die nun aber ihre Opfer zusammengeschlossen fanden zu einer tausendköpfigen Menge, einig und unnachgiebig, fühlten gleich einem welken Blatt die Schwäche hochkommen, fühlten, dass ihr Schicksal in den Händen der Feinde liegt. Die Angst ergriff von ihren Herzen Besitz. Sie, die gestern noch voller Stolz dem Arbeiter das Recht diktierten, sie, die »Brotgeber«, verneigten ergeben die Häupter. Sie nahmen die Forderung der Arbeiter an, einigten sich auf Kürzung des Arbeitstages und Lohnerhöhung. Sie baten die Arbeiter, Vertreter zu wählen, um mit denen gemeinsam und näher über die Maiforderungen zu sprechen. Unsere Brüder hatten gesiegt! Würde und Einigkeit hatten gesiegt! Die Maifeier hatte gesiegt! Die Worte der Sozialisten waren gehört worden!
Doch nicht lange! Nicht lange triumphierte die Gerechtigkeit! Es gibt noch einen weiteren Feind der Arbeiter, einen stärkeren als die Fabrikanten. Die Zarenregierung! Eine Regierung, die das Blut aus dem Volk saugt und von dem Blut lebt, die es mit eiserner Hand am Boden hält, damit es nicht sein Haupt erhebt. Denn sobald das Volk sein Haupt erhebt, würde es diesen Alb abwerfen. Die Regierung gibt sich als Freund und Beschützer der Arbeiter aus. Denn schließlich hat sie ja guten Herzens ein elendiges Fabrikgesetz für die bestechlichen Inspektoren erlassen. Doch wenn die Arbeiter sich nicht zufriedenstellen lassen durch die falsche Gnade, wenn sie Menschen sein und ernsthaft über ihre Bedürfnisse nachdenken wollen, wenn sie wirkliche Rechte durchsetzen wollen - dann wird aus dem guten Freund ein wildes Tier, das sich auf die Arbeiter wirft, sie erstickt und niedermetzelt, sie zum Stillhalten zwingt.
Sobald er vom Streik hörte, eilt der Gouverneur nach Łódź. Er untersagt den Fabrikanten, Zugeständnisse zu machen, untersagt ihnen, die Arbeiterdelegierten zu empfangen. Auf Łódź rücken Hundertschaften von Soldaten und Kosaken zu. Mit Gewalt werden die Arbeiter zurück in die Fabriken getrieben. Sie werden gezwungen, zurückzukehren zum alten Elend, zur ewigen Arbeit, zu gewohnter Unterwürfigkeit und Nachgiebigkeit. Sie wollen, dass sie die Augen abwenden von den eigenen Angelegenheiten, von den wirklichen Gründen für ihre Lage - von der Ausbeutung durch die Fabrikanten. Im jüdischen Stadtviertel gehen Angst und Schrecken um, die schlechtesten Leute - Diebsgesindel, Landstreicher und Straßenjungen - werden aufgewiegelt, um zu rauben.
Doch die Arbeiter - Menschen ehrlicher Arbeit - lassen sich nicht in diesen Sumpf ziehen. Ihre Hände mischen nicht mit bei denen, die Hab und Gut der armen Judenschaft plündern. Die Arbeiter lassen sich nicht verwirren, bleiben fest bei ihren Forderungen. Die Regierung bekommt jetzt mit, dass sie sich so mit ihnen nicht zu helfen weiß. Also beginnt der Überfall, so wie auf wilde Tiere. Die Peitschen knallen links und rechts. Auf das wehrlose Volk wird geschossen. Hurko telegrafiert aus Warschau, um bei den Patronen nicht zu geizen. Und sie geizen nicht. Die getöteten Arbeiter, die für ihre Rechte kämpfen, fallen auf das Straßenpflaster. Verletzte Frauen färben mit den Körpern die Straßen blutrot.
Geschlagen und abgekämpft, getrieben wie die Tiere auf der Jagd, den letzten Nahrungsmitteln nachjagend, geben die Helden von Łódź nach zehntägigem verbissenem Kampf schließlich Schritt für Schritt auf, gleich einem Löwen auf dem Kampfplatz, und kehren in die Fabriken zurück. Die Soldaten umstellen die Fabriken und wachen mit dem Bajonett in der Hand darüber, dass die alte Ausbeutung unter der alten Ordnung weitergeht.
III
Wir haben euch Helden genannt, Brüder in Łódź. Das ward ihr auch, als ihr heldenhaft kämpftet für die Sache der polnischen Arbeiter. Euer Unrecht ist das gemeinsame des ganzen Arbeitervolks. Euer Kampf war einer für alle, euer Sieg wäre der Sieg aller gewesen. Ohne die Regierung, ohne die aufgereihten Soldatenbajonette, hinter denen sich die Herren Fabrikanten verschanzten, würdet ihr jetzt eine Stunde weniger arbeiten, würdet ihr menschlicher essen und wohnen, hättet ihr ein Weilchen Zeit für einen Spaziergang, eine Zeitung, um zu beraten in eigener Sache. Die Herren Fabrikanten, die nun eure Macht kennen, wenn sie an den 1. Mai zurückdenken, hätten sich jede von euren Forderungen angehört. Ihr habt gezeigt, was Arbeiter auszurichten vermögen, wenn sie in einer Menge zusammengeschlossen sind, einig und treu im Ratschlag der Sozialisten. Ehre euch, den Helden der Arbeitersache!
Ihr habt gezeigt, wie dem Feind tapfer zu widerstehen und wie für seine Rechte zu kämpfen ist, und wie, wenn die Not es zwingt, sobald es zum Zusammenstoß kommt, in diesem Kampf zu sterben ist.
Ihr habt die Ehre der Arbeitersache verteidigt, weil ihr euch nicht anstecken ließet von der judenfeindlichen Hetze der Regierung. Ihr habt der ganzen Welt gezeigt, dass es für euch keinen Juden oder Deutschen gibt, dass ihr euren Feind gut kennt - den Kapitalisten aller Glaubensbekenntnisse und in jeder Nationalität. Dass ein Jude wie [Izrael] Poznański oder ein Deutscher wie [Karl] Scheibler eure Todfeinde sind, doch der arme jüdische Blechschmied und der deutsche Weber eure Genossen sind im Elend und in der Unterdrückung. Ehre euch, den Verteidigern der Arbeiterehre!
Ihr habt euch nicht abbringen lassen von euren Forderungen, denn weder der Regierung noch anderen Leuten habt ihr erlaubt, euch als billiges Werkzeug zu missbrauchen. Dass ihr gut um eure Interessen wisst und alleine für diese kämpft.
Ihr habt bewiesen und mit eurem Blut für die Wahrheit bezahlt, dass die Zarenregierung jetzt der Hauptfeind der Arbeiter ist. Nachdem ihr den Fabrikanten Zugeständnisse abgerungen habt, standet ihr Auge in Auge mit der Regierung. Euch haben Peitsche und Bajonett den Sieg genommen. Ihr habt gezeigt, dass der Arbeiter heute bereits alle seine Feinde besiegen kann, wenn ihm nicht die Zarensoldaten den Weg versperren. Ihr habt die Regierung mit eurem heldenhaften Auftreten gezwungen, entschiedene Schritte zu unternehmen, euch mit Gewalt den Sieg über die Fabrikanten zu entreißen, ihr habt ihr die Maske eines Verteidigers des Volkes, die Maske des Beschützers eurer Interessen heruntergerissen. Ihr habt sie gezwungen, zuzugeben, dass sie nicht euer, nicht des Volkes Freund ist. Ihr habt gezeigt, dass die Regierung die Reichen und die Ausbeuter beschützt, die Ausgebeuteten und Armen bekämpft! Jetzt steht sie nackt da, schamlos, besudelt, blutgierig … Unsere Schläge werden wir also mit ganzer Kraft gegen sie führen. Als ihr blutverschmiert auf das Straßenpflaster niederfielt, als ihr zornerfüllt in die Fabriken zurückkehrtet, da habt ihr all euren Brüdern die Losung vorgegeben: Hier ist euer Feind! Kämpft jetzt gegen ihn!
Und wir werden auch weiterhin nicht von dieser Losung abgehen. Arbeiterbrüder auf dem gesamten polnischen Gebiet! Führt nach dem Beispiel der Brüder in Łódź den Kampf weiter gegen die allgewaltige Regierung. Gründet Kassen, verständigt euch, organisiert euch und bereitet euch auf den Kampf gegen die Zarenherrschaft vor!
Wir werden nicht eher ruhen, bis der Thron gestürzt ist, der über uns steht, umgeben von einem Meer an Bajonetten und Peitschen und uns zu Boden drückt. Wir werden nicht eher ruhen, bis alle Generäle, Gouverneure und Zarenbeamten weggefegt sind, die von unserer schweren Arbeit leben.
Wir werden nicht eher ruhen, bis die Regierung in die Hände der Regierten fällt. Bis alle die Vertreter in den Staatsrat wählen. Bis wir selber das Recht für uns erlassen, selber die Beamten bestimmen. Bis wir die Kriegshorde verjagen, die nicht zur Verteidigung gegen äußere Feinde, sondern uns zu unterdrücken gebraucht wird. Wir werden nicht eher ruhen, bis sie in den Arbeitern den Menschen akzeptieren und sich niemand mehr erkühnt, sie zu schlagen und wie Hunde zu behandeln.
Wir werden nicht eher ruhen, bis wir vorläufig die Achtstundenarbeit, einen menschlichen Lohn und die Versicherung für das Alter und die Gebrechlichkeit erreicht haben.
Wir werden nicht eher ruhen, bis es bei uns wenigstens so zugehen wird, wie es jetzt überall auf der Welt zugeht, bis wir offen sagen und schreiben können, was wir wollen, bis wir uns versammeln und über unsere Angelegenheiten beraten können, bis wir offen den Kampf gegen die Fabrikanten und Herren führen und am Arbeiterfeiertag mit Musik und Fahnen durch die Stadt ziehen können.
Politische Freiheit! Das ist heute unsere hauptsächliche Losung, die von den Genossen und Brüdern in Łódź mit Blut besiegelt wurde! Für diese Freiheit haben sie mit ihrem Leben bezahlt. Für diese Freiheit haben sie Peitschen- und Säbelhiebe eingesteckt. Nehmt nun alle dieses Blut und diese Wunden auf euch! Rächt ihre Opfer, polnische Arbeiterbrüder!
Heute und auch morgen treten wir allerdings noch nicht zum letzten Gefecht an. Unsere Arbeiterkolonne ist noch nicht stark und geschlossen genug. Doch möge die Erinnerung an die Opfer von Łódź tief in euer Herz dringen, polnische Arbeiter! Möge sie euch ein Leitstern sein im Leben. Der wird euch aufrufen, sich zusammenzuschließen, sich gegenseitig zu bilden und sich solidarisch zu zeigen. Lasst nicht nach in eurem alltäglichen Kampf gegen Ausbeutung und Elend, entreißt euren Ausbeutern Tag für Tag selbst das kleinste Stück eurer Rechte. Doch verliert niemals das heutige Hauptziel aus den Augen. Vergesst nicht, dass der Kampf euch erst dann etwas einbringen wird, dass ihr auf eure Rechte erst dann gehörig pochen könnt, wenn die Zarenregierung fällt, wenn euch Mund und Hände losgebunden werden! Jedes Jahr wird der 1. Mai euch an eure allererste Losung erinnern: Ehre den Gefallenen in Łódź - nieder mit der Zarenregierung!
Nicht mehr lange, nicht mehr lange wird der Zar über uns herrschen. Der russische Arbeiter regt sich bereits und lehnt sich auf. Auch er erinnert an sein Unrecht. Auch er verbindet sich mit den Sozialisten und macht sich bereit für den Kampf gegen Ausbeutung und Knechtschaft. In der Hauptstadt der Unterdrückung selbst, direkt neben dem Zarenthron feiern die Arbeiter heimlich den 1. Mai, drohen dem ewigen Feind und reichen uns sowie der ganzen Arbeiterwelt brüderlich die Hand. Auch wir werden diese Hand ergreifen! Zusammen in den Kampf gegen den gemeinsamen Feind. Nieder mit der Selbstregierung! Nieder mit der Feste, hinter der sich jetzt alle Feinde und Ausbeuter des Volkes verschanzen!
Politische Freiheit! Konstitution! Das brauchen wir heute und darum werden wir vor allem kämpfen. Ihr werdet uns als Vorbild dienen, Brüder in Łódź! Euer zeitweiser Sieg macht uns zuversichtlich. Eure Opfer und Wunden lassen uns tapfer werden!
Ehre euch, brüderliche Helden! Ihr habt für unsere Freiheit, für unsere Sache, für unsere Ehre gekämpft! Wir werden euch rächen und zusammen mit euch für die Freiheit aller kämpfen!
Und wenn über uns die Sonne der Freiheit aufgeht, wenn keine eiserne Kraft uns den Mund knebelt und die Hände bindet, dann werden wir unser rotes Banner hissen und den Ruf der Freiheit erklingen lassen zusammen mit den Brüdern der ganzen Welt.
Es lebe der Sozialismus! Es leben gemeinsames Eigentum, Brüderlichkeit, Freiheit und Gleichheit!
Im Mai 1892
Übersetzung aus dem Polnischen und kurze Einleitung von Holger Politt Leiter des Regionalbüros Ostmitteleuropa der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Warschau
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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