Die richtige Mischung im Hipsterdorf

Auch in kleinen brandenburgischen Orten wird Gentrifizierung zum Problem

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Märzsonne fällt auf die grauen Lehmwände hinter Vera Hemme, sie blinzelt. »Die hast du schön für uns geplant, Friederike«, lacht sie in die Kamera. Die Architektin Friederike Fuchs, die in ihrem Arbeitszimmer in Buckow in der Märkischen Schweiz vor dem Rechner sitzt, lächelt zurück. In echt gesehen haben sich die beiden Frauen schon eine ganze Weile nicht mehr, was auch der Corona-Pandemie zu verdanken ist. Hemme lebt seit gut einem Jahr in ihrem lehmverputzten Haus aus Strohballen in der Gemeinde Gerswalde in der Uckermark, eine Stunde nördlich von Berlin. Fuchs hat es für sie geplant ab 2016, 2018 begann der Bau, 2019 war Richtfest. Auch Fuchs lebt seit sieben Jahren in einem solchen Strohballenhaus bei Müncheberg, zehn Kilometer von Buckow entfernt, das viele als Kur- und Lebensort von Bertolt Brecht und Helene Weigel kennen.

Geträumt habe sie von so einem Haus schon viele Jahre, erinnert sich Hemme, etwa seit den frühen 2000er Jahren. Da lebte die heute 52-Jährige noch im Berliner Bezirk Neukölln und begann, sich für ökologische und nachhaltige Landwirtschaft in Form von Permakultur zu interessieren. »Mit 30 konnte ich kein Haus kaufen oder bauen, aber mit 50 konnte ich es«, sagt die Frau mit den schulterlangen weißen Haaren, die heute als Gestalterin und als Dozentin für permakulturelle Bewirtschaftung arbeitet. Trotzdem zieht es sie schon 2008 raus aus Berlin, hinauf in die seen- und waldreiche Landschaft der Uckermark.

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Hier, wo der Fotograf Roger Melis noch 1987 Landarbeiterinnen fotografierte, als stammten sie aus dem 19. Jahrhundert, ließen sich schon in den 1990er Jahren zahlreiche Großstadtflüchter*innen nieder, hatten halbverlassene Dörfer in der strukturschwachen Region aufgekauft, sich als Familien, Hofgemeinschaften oder Kommunen angesiedelt. Die meisten von ihnen Berliner*innen mit westdeutscher Biografie, lassen sie nun ihren Träumen von Naturverbundenheit und neuen Experimentierfeldern freien Lauf. Anfangs von Teilen der Dorfgemeinschaft misstrauisch beäugt, kommt man sich über die Zeit zuweilen doch näher. Dörfer beleben sich, Kinder spielen wieder auf den Straßen. Tourismus und Einzelhandel profitieren von den vielen Besucher*innen, gemeinnützige Projekte entstehen, die auch für manche Alteingesessenen Vorteile bringen. Mitunter fährt sogar der Bus einmal öfter.

Auch Hemme lebte zunächst in einem Hofprojekt, nach Gerswalde, in dessen Schloss einst die von Arnims residierten, kam sie vor zehn Jahren. Aber nicht die Geschichte der Adelsfamilie zieht die Naturliebhaberin an, sondern, wie manch andere Neuzugezogene auch, die Projekte von »visionären Macherinnen«, die sich hier im Bereich Permakultur verwirklichen. Andere kommen wegen der Regisseurin Lola Randl hierher. Randl, Münchnerin und Jahrgang 1980, lebt hier mit ihrer Familie und wirkt im »Kulturgarten« der ehemaligen Schlossgärtnerei: Seminare, Essen, Übernachten, selbst gemachtes Eis in der Bar »Paradieschen«.

Hierher kommen die, die sich selbst gern an langen weißgedeckten Tafeln unterm Apfelbaum sitzen sehen, manche Berühmtheit, oder solche, die gern eine wären. Die Geld ausgeben für Kleidung, Stil und - ganz wichtig - Bewusstsein. All dies vor dem leisen Rauschen des »Stillen Landes«, Roger Melis’ Bildern - man weiß nicht, ob man sich freuen oder fremdschämen soll, ob man es mit denen hält, die hier von April bis Oktober Bionade schlürfend auf der öffentlichen Wiese liegen, oder mit denen, die sich über Lärm und Autos mit Berliner Kennzeichen beschweren.

Randl drehte vor einigen Jahren einen Film über Gerswalde, das den einen als »Utopisten-Siedlung«, anderen als das »Hipsterdorf der Uckermark« gilt, schrieb dann noch den Roman »Der große Garten« hinterher, der das urbane Dorfleben auf die Schippe und das Korn zugleich nimmt. Randl spielt mit der »Gentrifizierung der Dörfer«.

Friederike Fuchs und Vera Hemme treibt das Thema anders um. Fuchs nennt die Entwicklung dörflicher Gemeinschaften, in denen sich die Zusammensetzung der Bewohner*innen verändert, »fragile Organismen«, die soziale Spaltung nehme zu. Aber es gebe auch Dörfer, die scheinbar nur noch aus stilvoll sanierten Häusern und Höfen bestehen, wobei dort jedoch unter der Woche niemand sei, der abends das Licht anmachen könnte. Durch andere flanieren am Wochenende Großstädter*innen mit Sonnenbrille und schlicht-elegantem trendy Outfit - auf der Suche nach ihrem neuen Landhaus: »Die Haltung von ›Ich lauf hier rum und kauf mir was‹ ist ein anderer Spirit, als bei einer Kommune, die in den 90ern gekommen ist, und sie ist schwieriger für eine soziale Gemeinschaft, die so ein Dorf nun mal ist, zu verknusen«, empört sich Hemme. Nicht selten sei dann schnell die Befürchtung da: Es sind »die Wessis«, die kommen, mit viel Geld und Arroganz und wenig Interesse für die Menschen, die hier bereits leben. Als Klischee ebenfalls sehr nachhaltig.

Die Mischung sei in manchen Orten »gekippt«, erklärt Friederike Fuchs. »Wir hatten eine Ankommensphase, wo wir die Chance hatten, uns zu integrieren in etwas, was es schon gibt. Für mich wurde extra ein Sojawürstchen auf den Dorfgrill gelegt, und diese integrierende Geste habe ich total geschätzt«, erinnert sich die Architektin. Nun müssten sich die alten Dörfler*innen in eine Szene von Zugezogenen integrieren. »Man muss darauf achten, die Alten nicht unterzubuttern.« Das passiere auch, wenn auf dem wieder in Schwung gebrachten Dorffest der Kaffee statt 50 Cent plötzlich dreimal so viel koste. »Ich habe manchmal das Gefühl von einem Topf Brei, der überkocht. Am Anfang freuen sich noch alle und dann kannst du es plötzlich nicht mehr stoppen«, zitiert Friederike Fuchs das »Märchen vom heißen Brei« auf der Suche nach einem Bild für Gentrifizierung, wie sie sie erlebt. Und auch in Berlin erlebt hat. Entwicklung bringt der, der es sich leisten kann - auch die Zweitwohnsitzsteuer, die vielerorts noch nicht einmal eingeführt ist.

Die Frauen wollen diskutieren, wie man Zuzug verträglicher gestalten kann. Von Punktekatalogen ist da die Rede, mit denen Gemeinden Bauland vergeben: Wer ist ein Rückkehrer, hat Kinder, engagiert sich in der freiwilligen Feuerwehr? Wie hält man aber an so einem »Einheimischmodell« fest, wenn für Rückkehrer*innen Bauland zu teuer ist?

Fuchs findet, Gemeinden sollten genossenschaftlichen Wohnraum betreiben. So wie in manchen Städten das Kommunale wieder wächst, könnte es auch für die Mischung in manchem »Hipsterdorf« eine gute Sache sein.

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