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Verein Opferperspektive: 130 Fälle von rechter Gewalt in Brandenburg
Initiative sieht leichten Rückgang zum vorvergangenen Jahr / Anlass zur Entwarnung sehen die Beratungsteamsnicht
Potsdam. Attacken mit dem Auto auf Flüchtlinge auf dem Fahrrad, Angriffe auf dem Spielplatz, ein Überfall mit Baseballschläger: Der Verein Opferperspektive hat in Brandenburg im vergangenen Jahr erneut eine Vielzahl von Fällen rechter und rassistischer Gewalt erfasst. Insgesamt sei 2020 im Vergleich zu 2019 aber ein leichter Rückgang um zwölf auf 130 bekanntgewordene Fälle verzeichnet worden, sagte Geschäftsführerin Judith Porath am Donnerstag in Potsdam bei der Vorstellung des Jahresberichts 2020.
Von diesen Angriffen seien insgesamt 253 Menschen betroffen gewesen, sagte Porath. 2019 seien 283 Opfer rechter und rassistischer Gewalt erfasst worden. Schwerpunkte seien im vergangenen Jahr die Uckermark mit 18 Angriffen, darunter zwölf Fälle allein in Prenzlau, die Landeshauptstadt Potsdam mit 15 Fällen und Cottbus mit zwölf Fällen gewesen. In Südbrandenburg sei die Zahl rechter und rassistischer Gewalttaten entgegen dem Trend zum leichten Rückgang insgesamt gestiegen.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Unter den Angriffen waren laut Opferperspektive 52 einfache und 48 gefährliche Körperverletzungen, zwei versuchte Tötungsdelikte, 21 Fälle von Nötigung und Bedrohung und eine Vorbereitung einer rechtsterroristischen Straftat. Ziel des geplanten Anschlags, der rechtzeitig aufgedeckt wurde, seien die muslimische Gemeinde und Gewerbetreibende in Wittenberge gewesen.
Die meisten Gewalttaten, 101 Fälle, seien rassistisch motiviert gewesen, hieß es. Zehn Angriffe hätten sich gegen politische Gegner, sechs gegen Nicht-Rechte oder alternativ Orientierte gerichtet. In vier Fällen sei Antisemitismus das Motiv gewesen, drei dieser Fälle seien in Potsdam erfasst worden.
Die Bedrohungslage sei trotz des Rückgangs der bekanntgewordenen Fälle weiter sehr hoch, sagte Porath. Problematisch sei unter anderem, dass während der Corona-Pandemie Angriffe im Wohnumfeld zugenommen hätten. Dies sei besonders bedenklich, weil der Wohnbereich für alle Menschen ein wichtiger privater Rückzugsraum sei.
Es müsse zudem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, betonte Porath: »Viele Attacken werden uns nicht bekannt.« Die Taten hätten zudem inzwischen eine »erschütternde Beiläufigkeit und Normalität« bekommen.
Der Anteil der Frauen und Mädchen unter den Opfern rechter und rassistischer Gewalt sei auf 26 Prozent gestiegen, sagte Porath. Dies sei der höchste Wert der vergangenen fünf Jahre. 2020 seien 49 Attacken auf Frauen und Mädchen im öffentlichen Raum bekanntgeworden. »Da hat eine Enttabuisierung stattgefunden«, sagte Porath. Die Vorfälle reichten von Angriffen auf Spielplätzen bis hin zu Attacken auf Schwangere, denen Einkaufswagen in den Bauch geschoben würden.
Wie im Vorjahr waren dem Bericht zufolge 2020 knapp 40 Prozent der Opfer rechter und rassistischer Gewalt Minderjährige. 2018 waren laut Opferperspektive 20 Prozent der insgesamt 373 von den Angriffen Betroffenen Kinder und Jugendliche.
Tatmotiv Rassismus. Berliner Opferberatung ReachOut zählt 357 menschenfeindliche Gewalttaten 2020
Die Opferperspektive dokumentiert seit 2002 rechte Gewalttaten in Brandenburg, die für die Opfer erhebliche Folgen haben. Reine Sachbeschädigungen und Diskriminierungen werden nicht erfasst. Nach einem starken Anstieg der Angriffe von 98 Fällen im Jahr 2014 auf 203 im Jahr 2015 und 221 im Jahr 2016 wurden wieder weitgehend sinkende Zahlen verzeichnet. epd/nd
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