- Wirtschaft und Umwelt
- Remissen
Fluch oder Segen?
Global überweisen 800 Millionen Menschen Geld in ihre Heimat
Geldüberweisungen ins Ausland können sehr unterschiedliche Gründe haben. Einer der häufigsten sind Remissen - Transfers, die Menschen zur Unterstützung an ihre Familien außerhalb ihres Arbeitslandes schicken. Weltweit transferieren schätzungsweise 800 Millionen Beschäftigte Geld in ihre Heimatländer. Die UN-Landwirtschaftsagentur IFAD in Rom erwartet, dass in den Jahren von 2010 bis 2030 umgerechnet etwa 6 Billionen Euro in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen geflossen sein werden. Das ist ein Mehrfaches des Umfangs der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit der reichen Geberländer.
Remissen (auch Rimessen genannt) sind auch ein Thema für Europa. Der Großteil der europäischen Heimatüberweisungen wird innerhalb der Union getätigt. Die Statistikbehörde Eurostat gibt diesen Anteil mit über 55 Prozent an. Mehrere Mitgliedstaaten wie Bulgarien, Lettland und Kroatien sind von diesen Überweisungen besonders abhängig.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Allein in den Kosovo fließen pro Jahr 1,8 Milliarden Euro
Dabei ist die Wirkung der Remissen durchaus umstritten. Einerseits heben sie den Lebensstandard von Millionen Familien, und die zusätzliche Kaufkraft beflügelt die heimische Wirtschaft. Anderseits kommt auch Kritik aus Zielländern. Der frühere Wirtschaftsminister des Kosovo, Valdrin Lluka, plauderte einmal aus dem Nähkästchen: »Remissen machen die Leute faul.« Denn wer von Verwandten aus dem Ausland so viel Geld erhalte wie der Nachbar mit seinem Job, verliere den Anreiz, selber zu arbeiten. Lluka schätzt den Zufluss auf 1,8 Milliarden Euro pro Jahr. Ein sehr hoher Betrag angesichts eines Bruttoinlandproduktes, das etwa 7 Milliarden beträgt. Dabei flössen die Remissen vorrangig in den Konsum, nicht aber in Investitionen, so Lluka. Und Konsum sei meist gleichzusetzen mit dem Import von Gütern. Viele arme Länder fördern daher die Arbeitsmigration, um nicht in Zahlungsbilanzschwierigkeiten zu geraten.
Rund die Hälfte des Geldes fließe laut Lluka legal über Banküberweisungen. Aber das ist oft kostspielig. Vor allem, wenn das Zielland außerhalb Europas liegt. Die durchschnittlichen Kosten für eine Transaktion an Freunde und Familienangehörige liegen laut Weltbank bei 6,51 Prozent des überwiesenen Betrags. Insgesamt werden pro Jahr mehr als 40 Milliarden Euro an Gebühren fällig. »Der Weltbank zufolge ist der wichtigste Einzelfaktor, der zu hohen Überweisungskosten führt, ein Mangel an Transparenz im Finanzsektor«, sagt Flora Coleman von Transferwise. Klare Regeln zur Preistransparenz, die alle grenzüberschreitenden Überweisungen aus Europa sowie Barzahlungen abdecken, könnten sicherstellen, dass Kunden die Angebote besser vergleichen können. Klare Regeln fordern seit Langem Weltbank und IFAD. Transferwise sieht sich heute als Technologieführer bei Remissen. Als Plattform bietet das im Jahr 2011 von zwei Esten in London gegründete Unternehmen mehr als 2000 Währungsrouten. Durchschnittlich kostet eine Transaktion laut Firmenangaben rund 0,7 Prozent des Überweisungsbetrages.
Auch informelle Kanäle werden genutzt
Nicht allein die anhaltend hohen Überweisungskosten fördern die Nutzung informeller Kanäle. Hawala, so nennt sich das Transfersystem, mit dem heute laut Sicherheitsbehörden etwa 200 Milliarden Euro jährlich grenzüberschreitend transferiert werden. Es funktioniert ähnlich wie das Korrespondenzsystem der Banken.
Der »Sender« gibt einem hiesigen Händler A sein Geld und erhält dafür einen Code, den er dem späteren Empfänger mitteilt. Der Händler übermittelt Code und Summe an einen »korrespondierenden« Händler B, beispielsweise in einem Dorf in einer afghanischen Provinz. Bei diesem kann der dort ansässige Empfänger das Geld leicht abholen. Zwischen den Händlern fließt dabei kein Geld - sie verrechnen alle Zahlungen untereinander. Denn Geld fließt auch in die andere Richtung zurück. Vor allem in arabischen und einigen asiatischen Ländern ist das Hawala-Netz eng geknüpft. Es hat sich dort seit dem Mittelalter bewährt und gilt als legal. In Deutschland ist es verboten. Nicht zuletzt, weil es Kriminellen die Geldwäsche ermöglicht, ohne Quittungen und ohne Spuren auf Computern zu hinterlassen - und korrupten »Eliten« die Kapitalflucht nach Deutschland.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.