Die Hölle eines Durchgangslagers
Biografische Skizzen und ein Tagebuch aus Bergen-Belsen
Als am 15. April 1945 Angehörige der Britischen Armee das KZ Bergen-Belsen im Kreis Celle befreiten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens. Etwa 10 000 Leichen, zum Teil halb verwest, lagen über das gesamte Gelände verstreut. Die Überlebenden waren in einem schrecklichen Zustand, geschwächt durch Hunger, erkrankt an Seuchen. Für viele kam jede Hilfe zu spät. 14 000 Menschen starben noch in den folgenden Wochen. Insgesamt wird die Gesamtzahl der Opfer dieses KZ auf mindestens 52 000 geschätzt.
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Thomas Rahe/ Jens-Christian Wagner (Hg.): Menschen in Bergen-Belsen. Biografische Skizzen. Wallstein, 271 S., geb., 22 €.
Jenő Kolb: Glaube an den Menschen. Bergen-Belsen-Tagebuch.
Hg. v. Thomas Rahe u. Lajos Fischer. Wallstein, 310 S., geb., 22,90 €. •
In Bergen-Belsen wurden ab Juli 1943 vor allem jüdische Häftlinge, ganze Familien, festgehalten, die gegen inhaftierte Deutsche in »Feindesland« ausgetauscht werden sollten. Nur etwa 2560 der circa 14 600 Geiseln gelangten auf diese Weise tatsächlich in die Freiheit. Bis Ende 1944 lebten sie zwar unter besseren Bedingungen als in anderen Konzentrationslagern, doch auch sie waren Misshandlungen der SS ausgesetzt und erhielten gegen Ende des Krieges nur noch Hungerrationen.
Mit 19 biografischen Skizzen wollen Thomas Rahe und Jens-Christian Wagner die gesamte Bandbreite der Häftlingsgesellschaft abbilden. Kriterien ihrer repräsentativen Auswahl waren Herkunftsland, Haftgrund, Geschlecht und Alter. Ein weiteres, sicher interessantes Kriterium wäre gewesen, welchen Staat die Überlebenden nach dem Krieg als Heimat wählten. Auffällig ist jedenfalls, dass in diesem Band die sowjetische Besatzungszone beziehungsweise die DDR fehlt, was unverständlich ist. An dieser Stelle sei nur an die weltberühmte Interpretin jiddischer Lieder Lin Jaldati erinnert, die in Bergen-Belsen Anne und Margot Frank begegnet ist und in der DDR lebte - zumal Anne Frank im Buch von Rahe/Wagner gedacht wird. Ebenso des tschechischen Malers Josef Čapek, der noch im April 1945 in Bergen-Belsen starb, sowie Heinz Galinskis, später Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sowie Simone Veils, die einige Jahre Präsidentin des Europäischen Parlaments war. Eine biografische Skizze gibt es auch zu Hans Grans aus Hannover, ein Gehilfe des berüchtigten Serienmörders Fritz Haarmann. Bewegend ist das kurze Leben von Willi Zimmt, der wegen seiner Homosexualität besonderen Schikanen ausgesetzt war.
Bekannt sind bis dato 34 heimlich in Bergen-Belsen geführte Tagebücher. Der Wallstein-Verlag brachte nun, sorgfältig ediert, die Aufzeichnungen des ungarischen jüdischen Journalisten Jenő Kolb heraus. Der 1898 in Sopron geborene Kunsthistoriker gehörte mit seiner Familie zu den 1684 Personen, darunter viele Intellektuelle, die am 9. Juli 1944 mit dem sogenannten Kasztner-Zug in Bergen-Belsen eintrafen. Für diese Personengruppe wurde ein neues Teillager, das »Ungarnlager«, eingerichtet. Sie waren für eine mögliche Ausreise in die Schweiz gegen entsprechendes Entgelt vorgesehen.
Es ist erstaunlich, dass so eine bedeutsame historische Quelle wie Kolbs Tagebuch erst jetzt auf Deutsch erscheint. Der Grund hierfür ist Dr. Rudolf (Rezső) Kasztner selbst. Der ungarische jüdische Journalist und Jurist gilt bis heute als eine der umstrittensten Persönlichkeiten in der Geschichte der Rettungsaktionen für Juden. Kasztner verhandelte mit der SS, sogar mit Adolf Eichmann persönlich. Im August 1944 konnten die ersten 300 »seiner« Juden in die Schweiz ausreisen, im Dezember 1944 noch einmal einige Hundert. Während die einen seine Bemühungen als ein zionistisches Rettungsprojekt würdigen, nennen andere ihn einen Verräter.
Kasztner, wurde in Israel von einem Gericht schuldig gesprochen, »seine Seele dem Teufel verkauft« zu haben. Im März 1957 wurde er vor seiner Wohnung in Tel Aviv angeschossen, wenige Tage später erlag er seinen Verletzungen. Die drei Attentäter wurden gefasst.
Kolb schildert in seinem Tagebuch den Mikrokosmos des Lagers, die verzweifelte Lage und Ungewissheit der Geiseln, stundenlange Appelle bei jedem Wetter, Streit um die dürftigen Lebensmittelrationen, parteipolitische Grabenkämpfe und persönliche Animositäten. Er berichtet über Schwangerschaften, Geburten und eine heimliche Abtreibung. Und über Solidarität. Um in ihr Leben hinterm Stacheldraht eine gewisse Struktur zu bringen, gaben sich die Gefangenen des »Ungarnlagers« am 16. Oktober 1944 eine eigene Lagerverfassung. Es wurden Vorträge organisiert, Hebräisch-Unterricht erteilt, jüdische Gottesdienste gefeiert und für die etwa 500 Kinder eine Art Schule ermöglicht. Jenő Kolb gelangte im Dezember 1944 in die Schweiz. In Israel war er bis zu seinem Tod 1959 Direktor des Tel-Aviv-Museums.
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