Befristungsexzess in der Wissenschaft

92 Prozent aller Stellen wissenschaftlichen Stellen sind befristet. Dabei ließe sich dies ohne Einbußen ändern, beschreibt Peter Ullrich

  • Peter Ullrich
  • Lesedauer: 3 Min.
Kürzlich ist der neue »Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs« (BuWiN) erschienen. Eine irreführende Bezeichnung – behandelt er doch die Lage aller Beschäftigten in der Wissenschaft, die keine Professur haben. Zwar »wachsen« manche davon tatsächlich noch irgendwie in die Hochschule »hinein«. Doch der Bericht untersucht alle unter 45-Jährigen ohne professorale Würden und offenbart damit schon begrifflich eine Perfidie des deutschen Hochschulsystems: Bis in die Mitte des Lebens hinein, in die Phase größter Schaffenskraft, nach oft schon Jahrzehnten höchstqualifizierter Tätigkeit, ist man in diesem System in einer abhängigen und unsicheren Beschäftigungssituation. Man hält zwar den Betrieb am Laufen, aber ob man langfristig dazugehören kann, steht in den Sternen.

Eine Zahl symbolisiert das eindrücklich: 92 Prozent. Das ist die Quote der befristet Beschäftigten im Wissenschaftsbetrieb. Im Vergleich zum Bericht aus dem Jahr 2017 immerhin eine »Verbesserung« um ein ganzes Prozent. Nur zum Vergleich: Insgesamt ist das Verhältnis von befristeten zu unbefristeten Stellen in Deutschland in etwa umgekehrt.

Die Problematik ist seit Jahren bekannt. Im Zuge der Verhandlungen zum Hochschulpakt im vergangenen Jahr haben sich sogar konservative Kreise, namentlich das Bundesministerium für Bildung und Forschung, unter dem Kampagnendruck von Mittelbauinitiativen und Gewerkschaften dazu bekennen müssen, dass wenigstens dieser Befristungsexzess verringert werden muss. Doch konkret getan hat sich nichts. Es gilt für die Wissenschaft weiter ein Sonderbefristungsrecht. Den Befürworter*innen der künstlich geschaffenen Extremkonkurrenz, die durch diese lange Jobunsicherheit ausgelöst wird, fallen immer wieder Argumente gegen auch nur ein bisschen Normalisierung ein. Besonders beliebt sind: »Das könnten wir uns nicht leisten!« sowie »Zu viele Dauerstellen führen zur Verstopfung des Systems!«. Beides war nie sonderlich plausibel: Sind in der freien Wirtschaft alle faul und träge, weil sie unbefristete Verträge haben? Hören Professor*innen mit dem Erreichen dieses – endlich sicheren – Status auf zu arbeiten? Nein.

Doch jetzt liegt schwarz auf weiß vor, wie das System zum allseitigen Nutzen umgestaltet werden könnte. Man kann mit einer anderen Personalstruktur die unbefristete Beschäftigung nach der Promotion zum Regelfall machen, einen Großteil der Beschäftigten in der Wissenschaft halten und trotzdem für kontinuierliche Personaldynamik sorgen. Dass all dies möglich ist, hat das Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft (NGAWiss), der Zusammenschluss der Mittelbauinitiativen, gezeigt. NGAWiss veröffentlichte, unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung, quasi den Gegenentwurf zum BuWiN-Problembericht – ein Papier mit dem etwas sperrigen Titel »Personalmodelle für Universitäten in Deutschland. Alternativen zur prekären Beschäftigung«. Wer sich von den enthaltenen Modellrechnungen und komplexen Parametern nicht einschüchtern lässt, kann anhand eines Beispielinstituts konkrete Lehrkapazitäten, Zu- und Abgänge, Gehaltsaufwüchse, Promotionsquoten und vieles mehr in alternativen Szenarien nachvollziehen. Mit Betätigung einiger Stellschrauben könnten viele Dauerstellen entstehen, die universitäre Lehre könnte fairer verteilt werden und die akademische Karriere wäre nicht mehr ein so risikoreicher Hasard. Das wäre im Minimalszenario sogar ohne zusätzliches Geld für das Wissenschaftssystem möglich.

Das Papier hat deshalb einige Sprengkraft, weil es wohlfeile Begründungen für die Unantastbarkeit dieses von einer Mischung aus Radikalkapitalismus und Feudalismus geprägten Systems fundamental aushebelt. Einzige Krux: Voraussetzung dieses Umbaus wäre die massive Kürzung der Drittmittel zugunsten solider Grundfinanzierung und damit auch das Ende der Deutschen Forschungsgemeinschaft in ihrer jetzigen Form. Das wird massive Widerstände wachrufen, doch der Weg kann jetzt beschritten werden – und sollte es auch.

Peter Ullrich ist Soziologe an der Technischen Universität Berlin, Referent im Studienwerk der Rosa-Luxemburg-Stiftung und engagiert im Netzwerk für Gute Arbeit in der Wissenschaft.

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